Skrillex im Interview: „Es gibt noch so viel coolen Scheiß da draußen!“

Unser US-Kollege Patrick Doyle traf den viel beschäftigen Skrillex am Rande seiner Show auf dem Bonaroo-Festival. Ein Gespräch über die neue Electro-Bewegung, musikalische Einflüsse, den Rummel um seine Person und seinen charakteristischen Bassföhn, den er selbst "The Drop" nennt.

Die Umstände dieses Interviews zeigen sehr gut, wie hochtourig Skrillex an diesem Punkt seiner Karriere dreht: Wir trafen ihn am späten Abend backstage auf dem Bonnaroo, wo er neben unseres Interviews noch einen Remix fertigstellte und an einer Backstage-Radioshow teilnahm – all das wohlgemerkt vor seinem Auftritt um halb zwei Uhr nachts. Fast entschuldigend sagt er: „Mein Körper braucht erst in der späten Nacht oder früh am Morgen kurz nach Sonnenaufgang Schlaf.“

Wann hast du gemerkt, dass deine Musik teil einer Bewegung geworden ist?

Es war totaler Underground, als ich damit anfing, vor allem mit Bass Music. In L.A. kamen nie mehr als 200 Leute zu den Dubstep Shows – das war so 2006, 2007. Im Smog in L.A. war es ein guter Abend, wenn 150 Leute da waren. Es begann völlig ohne große Promotion, Singles, Pop Songs oder so zu wachsen. Als wir dann anfingen, in Städten auf der ganzen Welt zu spielen, wussten die Leute irgendwie immer, wo was ging. Und plötzlich waren die Venues gepackt voll.

Warum bewegt diese Musik plötzlich so viele Leute?

Ich weiß es nicht. Ehrlich. Ich könnte dir nur eine Antwort geben, wenn ich die Leute auf meinen Shows fragen würde. Es gibt zig Theorien. Aber wenn ich anfange über die Gründe nachzudenken, warum das alles so gut funktioniert, hat das sicher negative Auswirkungen auf meine Musik. Dann kommt das eigene Ego zu sehr ins Spiel, und man konzentriert sich schnell auf die falschen Dinge.

Wo willst du musikalisch hin in den nächsten Jahren?

Ach, ich rühre momentan in vielen Töpfen. Ich arbeite gerade zum Beispiel mit Harmony Korine und mache den Score für seinen Film „Spring Breakers“. Das hat so gar nichts mit Dance Music zu tun. Meine Musik soll auch nicht in einer Zeit verankert sein. Sie klingt nach dem, worauf ich gerade Lust habe. Ich versuche gar nicht Teil dieser Szene zu sein, weißt du, obwohl ich sehr stolz darauf bin, wo ich herkomme – und die Szene supporte. [Skrillex hält inne, abgelenkt von einer Gruppe, die sich um uns gesammelt hat und ihn wie wild fotografiert]. Sorry! All diese Leute, die mich immer fotografieren wollen. Das bringt mich immer raus…

Du bist ja auch einer der bekanntesten DJs der Welt zur Zeit…

Es kommt mir vor, als gucke ich den ganzen Tag in diese Dinger [hält sein iPhone hoch]. Es ist schräg – genau DAS war niemals der Grund, warum ich Musik machen wollte. Schon in meiner alten Band wollte ich nie berühmt sein. Ich habe diesen Teil nie gemocht. Und plötzlich unterschreibst du bei einem Majorlabel und der Quatsch geht los.

Du hast vermutlich immer Leute an den Hacken, die dich fotografieren wollen. Wann war es am Schlimmsten?

Ehrlich gesagt, stört es mich gar nicht, wenn die Leute ankommen und ‚Hallo‘ sagen. Das ist cool. Es ist lustig. Ich nehme das nicht zu ernst. Aber früher war es so, dass die Stars im Restaurant saßen und man tuschelte am Nebentisch: ‚Hast du gesehen! Das ist der und der…‘ Heutzutage gibt es überhaupt keine Scham mehr. Überall Kameras, Leute filmen dich heimlich mit ihren Smartphones. Ich denke immer : ‚Guys, come on!‘ Ich meine, ich verstehe es vielleicht noch, wenn man Paparazzi ist und damit seinen Lebensunterhalt verdient – aber selbst dann ist es weird.

Wie hat sich dein Leben denn sonst noch verändert im letzten Jahr?

Ich weiß gar nicht, wo ich da anfangen soll. Ich hatte noch gar keine Zeit das alles zu verarbeiten. Immerhin habe ich jetzt ein eigenes Zuhause. Na ja, eigentlich ist es noch eine leere Lagerhalle. Sie machen gerade die letzten Abnahmen, weil es ein Neubau ist.

Wie fühlt es sich an, wenn du in einer großen Location den „Drop“ in die Menge schickst. Nennst du es überhaupt “ the drop“?

Es ist lustig, wie solche Worte plötzlich an Bedeutung gewinnen, wenn die Presse sie aufgreift. Der ROLLING STONE hat mir das eingebrockt. Ihr nanntet es in einer Story „the drop“. Dabei ist es eigentlich schnödes Produzentensprech – wenn man über den „buildup“, das „intro“ und den „drop“ redet, um einen Stelle im Song zu benennen. Aber es macht Sinn. Es ist, was es ist. Aber ein Song braucht keinen drop, um ein Song zu sein. Nur manchmal ist er ein wichtiges Element in seiner Struktur.

Wie fühlt es sich für dich an, dass du als Teil oder Speerspitze einer Bewegung angesehen wirst?

Ich weiß gar nicht, wie ich das erklären soll. Die Leute sehen viel in mir – aber für mich ist es eher eine Plattform als eine Bewegung. Die Leute verstehen nicht, was wir tun. Es ist wie in der A Tribe Called Quest-Dokumentation („Beats Rhymes & Life: The Travels of A Tribe Called Quest“): Sie zeigt, wie die MC und die DJ-Kultur aufkam. Jeder hatte damals eine Boombox. Die Kids hingen in Parks und auf Basketball-Plätzen ab und hatten ihre Boomboxes. Du hattest leere Kassetten mit und hast die Mixtapes quasi live vor Ort gemacht. Und außerdem hast du Zeug aus dem Radio aufgenommen. Und daraus hast du neue Songs gemacht, die du dann deinen Freunden vorgespielt hast. Du hast Block Partys veranstaltet, abgehangen und immer wieder kamen MCs vorbei, um ihre Lines beizusteuern. Es ist Kuration und Kreation zugleich. DJing und EDM (Electronic Dance Music) heißt für mich: Wie schnell können wir neue Musik rausbringen? Und wie schnell können wir sie den Leuten zeigen? Wir wollen alle in alles einbeziehen, weil wir eh alle möglichen unterschiedlichen Sounds zusammenbringen – das ist für mich die Mentalität hinter dem DJing und dem Trackbasteln. EDM kann so viel sein. Wenn es elektronisch ist, wenn du zu tanzen kannst – es könnte alles sein in Zukunft.

Und es könnte von jetzt auf gleich völling anders klingen…

Yeah. Es wird alles verändern. Was man jetzt noch einen typischen Sound nennt, kann morgen schon wieder vorbei sein. Es wird immer einen neuen Sound geben, es wird immer weitergehen und es wird richtig cool sein. Es gibt noch so viel coolen Scheiß da draußen!

Auf welche Sounds fährst du gerade ab?

Ich habe mich ziemlich in die Dub Roots reingehört, und dabei nicht unbedingt nur in die Dubstep Roots. Ich versuche sie, in meinen eigenen Sound zu uberführen, was kombiniert mit Old School Elementen und Vocal Parts verdammt futuristisch klingt. Es passiert gerade überall so cooles Zeug, viele Underground Produzenten, die mich und jeden, den ich kenne, umhauen. Die Leute werden noch viel coolen Scheiß zu hören kriegen…

Wen zum Beispiel?

French Fries sind großartig. Wir haben auf meinem Label OWSLA gerade Birdy Nam Nam gesignt. Es ist eine Art Trap-HipHop-Techno-Mischung mit einem Four-Piece-Turntable-Set und sie haben die beste Live-Show, die ich je gesehen hab. Es gibt einige tolle Live-Videos, aber man muss sie wirklich live gesehen haben. Es gibt so viel coolen Scheiß da draußen, den noch keiner kennt, und der plötzlich groß werden wird. Es wird immer weiter gehen. Die Leute werden immer kreativer. Und die Kids sind so jung! Wir kriegen Mails von zehnjährigen, die schreiben: „Hey, ich mache Dubstep, könnt ihr den Song mal Skrillex vorspielen?“ Das ist großartig, nicht weil es großartige Songs sind, sondern weil sie jung sind und selbst etwas schaffen. Vielleicht werden sie eines Tages auch einen großartigen Song kreieren, wer weiß? Das ist das größte Geschenk unserer Zeit ist, dass wir Kreativität wie eine Infektion in die Welt schicken, weil die Leute keine Zeit mehr darauf verschwenden, negativ zu sein. Ich wüsste zu gerne, wie es wäre, wenn alle so wären, sich hinsetzen und etwas Positives schaffen würden. Aber wir haben einen Schritt in diese Richtung gemacht – und das ist es auch, was wir mit OWSLA erreichen wollen.

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