So war die Brooklyn-Show der Rolling Stones: Weniger ist mehr!

Die Karavane zieht weiter: Die Rolling Stones spielten am Samstag im Barclays Center in Brooklyn, New York - diesmal ohne Bill Wyman und Mick Taylor. US-Kollege David Fricke war für uns vor Ort. Dazu gibt's die schönsten Fotos des Abends.

Kurz vor Ende des regulären Sets der ersten US-Show der Rolling Stones in sechs Jahren, nahm sich Mick Jagger die Zeit, ein paar Worte über die 50 Dienstjahre seiner Band zu verlieren. „People keep asking us, ‚Why do you keep doing this?'“, sagte er und, dabei hörte man wieder diesen dezenten Anflug des Genervtseins, der bisher immer aufblitzte, wenn ich ihn wieder und wieder fragen musste, ob diese oder jene Show oder Tour nun wirklich die letzte sei. „You’re the reason we keep doing this“, rief Jagger in die Menge, die es ihm mit tosendem Jubel dankte. „Thank you very much“, ergänzte Jagger daraufhin schnell.

Es war ein Moment ehrlicher Wertschätzung, von einer Band, die sich solche Sentimentalitäten eher selten leistet. Da war keine Ironie in Jaggers Stimme, abgesehen vom leisen Lachen am Ende, das wohl zeigen wollte, dass man ihre Worte nicht zu rührselig nehmen sollte. Dann stürzten sich die Stones in „Brown Sugar“, dem vorletzten Song des Sets, das sie mit „Sympathy For The Devil“ beendeten. Ein guter Zeitpunkt. Hätte Jagger ein wenig länger gewartet mit seiner Dankbarkeitsbekundung hätte er den Moment vielleicht versaut.

An der dritten Show der London-Brooklyn-Newark-Jubiläums-Tour der Stones war vor allem bemerkenswert, was fehlte: Originalbassist Bill Wyman und Früh-Siebziger-Gitarrist Mick Taylor. Die Ex-Mitglieder wiederholten die Cameo-Auftritte, die sie in London gaben, diesmal nicht. Auch die Größe der Produktion war im vergleich zu den letzten Mega-Touren der Stones erstaunlich in ihrer Limitierung: Eine angemessene Menge an Amps, ein Video-Screen im Hintergrund (der überwiegend die Stones bei der Arbeit zeigte), ein aufgeblasenes Zungenlogo, das die Bühnenaufbauten verdeckte und eine lange halbkreisförmige Rampe, die durch das Publikum führte. Letztere wurde oft genug von Jagger benutzt – auch Keith Richards und Ron Wood machten den ein oder anderen Gang darauf, standen aber die meiste Zeit vor Drummer Charlie Watts, um mit ihm über die Schlagzeug-Becken hinweg zu lachen und zu witzeln, als wären sie noch immer im Proberaum.

Auch die Backingband war schlanker als sonst, mit weniger Bläsern (Saxofonisten Bobby Keys und Tim Reis) und Background-Sängern (Bernard Fowler und Lisa Fischer). Die Stones spielten ihre Eröffnungs-Sequenz – „Get Off of My Cloud,“ „I Wanna Be Your Man,“ „The Last Time“ und „Paint It Black“ – nur mit Bassist Darly Jones und Keyboarder Chuck Leavell. Ein Zug durch die Mittsechziger und durch die scheppernden Herzstücke der Stones-Touren in den Seventies. Der verschlankte Sound brachte vor allem das bissige Jaulen von Woods Bottleneck-Gitarren-Solo in „I Wanna Be Your Man“ (in dem noch der Klang des Originalsolos von Brian Jones nachhallte) und die einschüchternde Ungeduld in Jaggers Gesang zur Geltung. Als die Band „Paint It Black“ spielte, konnte sich so auch das eigentliche Highlight des Songs in seiner ganzen Pracht entfalten: der harte Schlag von Watts diabolischem Tom-Drumming.

Ein geplanter Höhepunkt – die Rückkehr von Mary J. Blige, die bereits am 25. November in London Merry Claytons Gesang in „Gimme Shelter“ übernahm – überzeugte nicht so wirklich: Sie war in den seltenen, zurückgenommenen Momenten überzeugender – lustvoller, weniger theatralisch – als in jenen, in denen sie Seite an Seite mit Jagger die hohen Tonlagen erklomm. Gitarrist Gary Clark Jr. war da die größere Überraschung. Er mag weniger Marktwert haben als Jeff Beck und Eric Clapton, die bei den vorherigen Aufritten in London das Blues-Segment übernahmen, aber in Don Nix „Goin‘ Down“ spielte Clarke seine knappen, beißenden Breaks mit der perfekten Balance aus Verneigung und Kampfansage, und zwang Woods und Richards damit, ihr Spiel noch tighter zu machen. Auf dem Videoscreen konnte man sehen, wie sich Woods Mund kurz zu einem ernsthaften „Woah!“ formte, bevor er entschlossen zurückfeuerte. Richards tat es ihm gleich und zeigte sein Können mit weitaus weniger Noten, als würde er mit einem Messer die Luft zerschneiden.

Bisweilen wirkte die Show wie eine öffentliche Rehearsal-Session – mit weniger Spektakel und mehr Barroom-Flair und einiger Verwirrung um die Setlist. „It’s blues time!“, rief Jagger vor „Goin‘ Down“, bevor er sich zum Rest der Band umdrehte und fragte: „It’s not? You’re sure?“ Aber er hatte Recht. „It’s blues time“, rief Jagger erneut, um dann Clark vorzustellen. Zwei Songs später kündigte Jagger einen Song an, den er als nächsten wähnte – „One More Shot“ von der neuen Hit-Kollektion „GRRR!“ – und wurde verbessert: Die Band spielte stattdessen „Miss You“ an.

Diese kleinen Macken werden für die Pay-Per-View-Übertragung nächsten Samstag aus Newark (Infos dazu am Ende des Artikels) sicherlich ausgebessert werden. Trotzdem passten die an diesem Abend gezeigte Bescheidenheit und die kleinen menschlichen Makel irgendwie besser zu einem Jubiläumsgig wie diesem. Die Stones betonten ihre Roots, zeigten das Rückgrat und diese noch immer spürbare Empathie, die sie so weit gebracht hat. „Wild Horses“ blieb die einzige Ballade des ganzen Abends. Sie war dennoch eine Erinnerung an die oft übersehene Spezialität der Stones: eine Art verwundete Entschlossenheit, die man vor allem in der rauen Anmut von Woods und Richards klagendem Gitarrenspiel spürt.

Das niedrige Maß an Spektakel betonte eine weitere erstaunliche Tatsache an diesem so unwahrscheinlichen Jubiläum: In ihren „50 years and counting“ (wie es im Promoschreiben hieß), brauchen sie noch immer nicht viel an Gästen, Pyros und anderem, um ihre Bestform zu zeigen. Mick Taylor mag zwar in London den „Midnight Rambler“ mit seinem Spiel bereichert haben, aber die Stones erreichten in Brooklyn den gleichen Grad an Bedrohung und Dynamik auch ohne ihn. Und Richards Solo in „Sympathy For The Devil“ wirkt auch heute noch wie ein Sperrfeuer – mit seinen kaum melodischen, wie ausgehusteten Akkorden, die den perfekten Gegenpart zum dunklen, voodoo-artigen Grundton bilden.

Und die Moral von der Geschicht: Die Stones sind nicht ein halbes Jahrhundert alt. Sie bleiben eine Konstante, angetrieben von einer seltsamen, bisweilen grotesken Entschlossenheit, vorgetäuschter Zurückhaltung und weitaus mehr Disziplin, als sie zugeben wollen. Allein dafür muss man sich nur anschauen, wie Watts – einer der unfehlbarsten Drummer der Rockwelt – jeden Song mit einem mokierend verschlürten Durcheinander aus Snare-Geschepper und Tom-Schlägen ausklingen lässt.

Zu Beginn der Show dröhnte eine Stimmte durch die PA mit der simplen Aufforderung: „New York, will you please welcome the Rolling Stones?“ Es war nicht die Rede von der „world’s greatest rock & roll band“ – aber das brauchte es auch gar nicht. Sie sind noch immer die einzige.

Das nächste Konzert der Rolling Stones wird hierzulande als pay-per-view auf Sky Select übertragen – und zwar in der Nacht in der Nacht von Samstag, 15.12. auf Sonntag. 16.12. ab 3.00 Uhr morgens zum Preis von 12 Euro (bei Anmeldung bis 14. Dezember) bzw. 15 Euro. Alle Infos zur Übertragung gibt’s auf www.sky.de/rollingstones!

Setlist:

„Get Off of My Cloud“
„I Wanna Be Your Man“
„The Last Time“
„Paint It Black“
„Gimme Shelter“ (with Mary J. Blige)
„Wild Horses“
„Going Down“ (with Gary Clark Jr.)
„All Down the Line“
„Miss You“
„One More Shot“
„Doom and Gloom“
„It’s Only Rock ‘n’ Roll“
„Honky Tonk Women“
„Before They Make Me Run“
„Happy“
„Midnight Rambler“
„Start Me Up“
„Tumbling Dice“
„Brown Sugar“
„Sympathy for the Devil“

Zugaben:

„You Can’t Always Get What You Want“
„Jumping Jack Flash“
„(I Can’t Get No) Satisfaction“

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