Sounds: Factory Floor und Oneohtrix Point Never

Der Blues scheint verflogen, es bleiben die Sounds: unsere monatliche Kolumne von Redakteur Jens Balzer. Im Monat Oktober mit: Factory Floor und Oneohtrix Point Never.

Diesmal vorgestellt:

Factory Floor – Factory Floor ****1/2

Oneohtrix Point Never – R Plus Seven ****

Der Sommer geht, die Tage werden kürzer und kälter, und auch die Temperatur der neuesten Elektromusik sinkt unaufhörlich dem Nullpunkt entgegen. Aus Manches­ter kommt das tolle Trio Factory Floor, das sich schon in seinem Namen vor der berühmtesten Plattenfirma aus dieser Stadt, Factory Records, verneigt. Dessen epochal kaltes Postpunk-Funk-Disco-Schaffen jenseits der bekanntesten Label-Bands Joy Division und New Order wurde kürzlich ja auf den „Fac.Dance“-Kompilationen des Strut-Labels auch jüngeren Hörern wieder zugänglich gemacht; und wer sich heute noch einmal in die eckig-klirrenden Rhythmen von Factory-Bands wie Section 25 versenkt, weiß, woher Factory Floor ihre Inspirationen erhalten. Aber auch die kalkuliert unbehaglichen Soundkreationen von Throbbing Gristle spielen bei ihnen eine Rolle: Auf dem postumen „Desertshore“-Album der letzten verbliebenen Throbbing-Gristle-Mitglieder Chris Carter und Cosey Fanny Tutti war Factory-Floor-Sängerin und Gitarristin Nik Colk Void im vergangenen Jahr als Gast zu hören.

Nach diversen Einzel-Tracks und EPs hat das Trio nun sein Albumdebüt herausgebracht. Auf „Factory Floor“ (DFA/Coop) lassen die beiden Laptop-Bediener Gabriel Gurnsey und Dominic Butler einen endlosen Fluss aus gleichsam abstrakten wie druckvoll-körperlichen Beats strömen, aus dem die zerschredderte Stimme von Nik Colk Void zombiehaft auftaucht und wieder verschwindet und sich gelegentlich zu melodischen Linien verflicht; gewittrige E-Gitarren-Geräusche entladen sich wie in dem Track „Two“ knirschend und kreischend; mit simplen Filter-Effekten werden große Klangräume errichtet und dann wieder in sich gebeugt und gefaltet. „Two Different Ways“ klingt schließlich, als hätten Joy Division mit Nico einen Techno-Track eingespielt: grandios! Und gerade in seiner masochistischen Kälte sehr, sehr erotisch.

Auch der New Yorker Produzent Daniel Lopatin, der seine Musik zumeist unter dem Namen Oneohtrix Point Never veröffentlicht, hat seine Karriere mit Throbbing-Gristle-beeinflussten Lärmgebilden begonnen. Bei ihm aber wirkte schon immer alles sonderbar warm und organisch. Auf seinem Debüt „Returnal“ aus dem Jahr 2010 meinte man schäumendes Wasser und zwitschernde Vögel zu hören; plappernde Pflanzen sprossen aus feuchten Wäldern in einen bezwitscherten Himmel hinauf. Auf der gleichnamigen Single sang Antony Hegarty, nur von Lopatin am Piano begleitet, von der ewigen Wiederkehr; und nach dieser klingt auch die ganze Musik von Oneohtrix Point Never: zeitlos und zugleich von einer diffusen Wehmut beseelt; abstrakt und auf sonderbare Weise human.

Das ist auch auf seinem neuen Album „R Plus Seven“ (Warp/Rough Trade) nicht anders, nur dass Lopatins Musik inzwischen eine geradezu sakrale Note gewonnen hat. Das Eröffnungsstück „Boring Angel“ hebt an mit einem schwellenden Orgel-Drone und lässt darüber dann klitzeklein gehäckselte Stimmen-Samples rhythmisch schwankend erblühen; in kathedralenweit sich öffnenden Räumen rauschen ozeanische Klänge, ein heller Easy-Listening-Chor wimmert und wird von billigen Störgeräuschen bedrängt. In dem Stück „Inside World“ gibt es rückwärtslaufende Kas­tratengesänge zu hören, von flackernden Analog-Keyboard-Klängen umspielt und zerwühlt: Auf sonderbare Weise verbinden sich hier – wie auf der gesamten Platte – erhabene Ruhe und Hektik, mönchische Einkehr und rasende Hypermoderne.

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