Spurensuche auf dem In-Edit Musikfilmfestival in Berlin

Vergangene Woche fand das zweite Berliner In-Edit-Musikfilmfestival statt. Wir präsentieren eine kleine Auswahl des Repertoires: Von Iggy Pop, David Bowie und Lou Reed über die Libertines zu dem Real-Drama um Rodney King.

Man muss sich bewusst sein, woher man kam, um herauszufinden wie es weitergeht.

Zuletzt gefallen ist dieser Satz bei dem eher pragmatischen Carl Barât in der neuesten Breitbild-Romanze namens „There Are No Innocent Bystanders“, anlässlich der freudigen Wiedervereinigung des Brit-Pop-Rock-Kollektives. Die Idee haben die Libertines nicht für sich reserviert. Spurensuche betreiben sie irgendwie alle.

Vergangene Woche präsentierte das In-Edit-Musikdokumentarfilmfestival diverse dieser Streifen auf Leinwand (wir stellten die Veranstaltungsreihe im Vorfeld vor). Man durfte hier das ausleben, was eigentlich für Live-Shows reserviert ist: Musik massenmedial miterleben.

Hinter dem, was sich vielleicht anhört wie ein schlechtes Commercial für das neueste Sky-Format, verbirgt sich eine mehr als hübsche Idee. In Locations, wie beispielsweise dem Kater Holzig, das für dergleichen gar nicht ausgelegt ist, bot man die Auswahl zwischen 27 Filmen. Einen schöneren Tribut um die Detailverliebtheit von Musik gibt es wohl nicht. Leider konnte man nicht alles sehen.

Persönlich fiel die Wahl auf drei Filme: den oben angedeuteten Libertines-Streifen „There Are No Innocent Bystanders„, den Film „The Sacred Triangle“ um die gegenseitigen  Einflüsse um David Bowie, Iggy Pop und Lou Reeds und „Uprising- Hip Hop And The L.A. Riots“.  Zufälligerweise liefen alle der ausgewählten Filme im Moviemento. Die Wahl fällt immer auf die am weitesten entferntesten Theaterräumlichkeiten.

Gestresste Veranstalter hatten wohl mit zu lange im Kinosessel verweilenden Besuchern zu kämpfen. So wartete man ein wenig länger und durfte sich ein wenig anpöbeln lassen. Wie vertraut: diese Big-Event-Großkotz-Atmosphäre. Hach, schöne Nostalgie. Pathetisch rückt auch das Gebäude in brachialer Beton-Atmosphäre in die Szene. Berlin-Kitsch, könnte man sagen. Man fühlt sich wohl.

Und wie das so ist mit den Wohlfühlmomenten, wird man direkt geschwätziger. Ging es dann los, mit „The Sacred Triangle“ zum Beispiel, wurden die Menschen nicht leiser. Andächtige Stille, die nur das vertraute Rascheln einer Popcorn-Tüte unterbricht, konnte man hier knicken. Manch einer findet das vielleicht super nervig, geht ja gar nicht und so, persönlich fand man es angenehm. Ein aufgeregtes Mitgewippe, wenn David Bowie sein „Changes“ anstimmte, folgte auf kollektives Gelächter und mit dem Ellbogen-Gestoße bei grandios ehrlichen Statements einer unverfälschten Angie Bowie, Ex-Frau von David Bowie. Natürlich ist das für den reinen Informationsgehalt ein wenig abträglich, aber es vermittelte, wenn man so will, den Vibe des Films. Der Film selbst stellt die gegenseitige Beeinflussung zwischen Pop, Bowie und Reed heraus, beleuchtet Strukturen, die den meisten verborgen blieben. Ausgehend von drei Musikern, die beinahe als One-Hit-Wonder im Drogennebel verschwunden wären. Es ist der Beginn einer neuen Ära. Auffällig leider, dass die Boxen des Kinos seltsamerweise nicht mitkamen. Was man bei Iggy Pops Gitarren-Geschredder an Reverbs, Knacken und Akzentuierung vermisste, versucht man mit dem Aufdrehen des Lautstärkereglers auszugleichen: deplatziert. Das Kino zuckte immer wieder schön synchron zusammen. Kollektive Erlebnisse können auch so funktionieren.

Der HipHop-Film namens „Uprising-Hip Hop And The L.A. Riots“ dokumentiert die Geschichte eines Straßenkampfes, den Aufstand zwischen Polizei und Rodney King, der von Ersteren zu Tode geprügelt wurde. Vor allem aber geht es um Rapper, die das nicht akzeptieren. Die Rebellion war im Kino förmlich zu spüren, jeder Einzelne im Saal hielt die Luft an, wenn der Film zu den Miterlebenden  Kontakt sucht, solidarisierte sich mit ihnen, stimmte zu. Geschichte Revue passieren lassen. Am Ende blieb nur noch der Applaus.

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Auch die Libertines wandeln in „There Are No Innocent Bystanders“ auf dem Pfad ihrer Vergangenheit, fahnden nach Gründen für das lange Pausieren der Band und graben an geschichtsträchtigen Orten. Dem damaligen Appartement zum Beispiel. Und da findet man es wieder: Den alten Antagonismus zwischen Barât und Doherty, Kampf zwischen hoffnungslos romantisiertem Perfektionismus im strukturierten Chaos, dem Streben nach Ruhm und um Pünktlichkeit. Gründe, die das große Talent um The Libertines auseinanderbrechen lassen. Zuvor schien alles noch ganz anders: Doherty ging zur Uni, hatte die High School mit sehr gutem Abschluss beendet, das beste Resultat in der Band, und suchte nun jemanden, der ihm auch musikalisch ebenbürtig war und ihm beibringen konnte, wie man richtig Gitarre spielt. Er traf auf Carl Barât, dem „einzigen talentierten Gitarristen“ der Stadt. Man spielte- nicht The Smiths. Keiner von beiden dachte vom anderen, er wisse das Genie dieser frühen Helden zu schätzen. Doherty versuchte, Barât Poesie zu lehren. Denn darum geht es bei den Libertines: Verquere Alltags-Romantik. Und so nahm alles seinen Lauf. 2004 ging die Band auseinander, um 2012 zurückzukehren. Der Break-Down dazwischen, beinahe Drogentode, Nebenprojekte: Alles weg rationalisiert.    

There Are No Innocent Bystanders“ wühlt nicht gründlich  genug. Verschwunden scheinen die antiquierten Fehden, der Druck sich immer wieder neu zu erfinden, kreativ und weltoffen zu sein und gleichzeitig professionell und organisiert. Vor allem zartbesaiteter Pete Doherty, Dichter der Band, schien dabei unterzugehen. Der Film, der vor erneuten Fehlern bewahren sollte, weil er Alte sucht, erweist sich doch als schmucker Schachzug in einem Image-Spielchen der Libertines. Der Film ist geschrieben wie eine große Liebesgeschichte mit abschließendem Happy End: Weise geworden aus zahlreichen Fauspax, hätte man jetzt verstanden, was schief lief: Es war der Schlaf. Oder besser: Sein Fehlen. Ohne ihn kann ein Mensch nicht funktionieren, so die libertine’sche Erkenntnis. Heute verzeiht man es auch einem Doherty, wenn er nicht zur Probe erscheint, weil er müde ist.

Dann der Szenenwechsel mit finalem Supergau: Renaissance des Randall-Rock auf dem Reading Festival.

Man kann nur beeindruckt sein von den tollen Aufnahmen und dem fantastischen Sound. Das darf man bei diesem Film nicht unberücksichtigt lassen. Roger Sargent  könnte die Briten nicht besser in Szene setzen. Wer ebenfalls Libertines-Anhänger ist, fühlt sich hierin nur noch einmal bestätigt. Das weiß auch die Band,  am Ende des Gigs fallen sich alle glücklich in die Arme.  Alles wieder gut. Stimmungsvoll passend dazu: Der komplette Vollpfosten im Sitz hinter einem, der laut mit grölt und einem- noch nicht einmal im Takt!- die Füße in den Rücken rammte. Die Libertines ziehen so etwas also doch an. Auf einem Konzert der Band wäre es nicht anders gewesen. Hat also wirklich seinen Reiz, dieses Public Music-Viewing. Erfahrungen und Impressionen können direkt ausgetauscht werden. Ein wenig recht hat der Typ weiter hinten ja dann doch: „Was für ein Kitsch.“ Am Ende stehen wir alle ein wenig auf die großen historischen Momente.

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