Stardust Memories

Ein Leben wie aus dem Pop-Bilderbuch: so farbenfroh, so einfach nachzuerzählen. Hat David Bowie etwa schon alles gesagt, was wir über ihn wissen wollen? Das Eheleben in New York hat den Exzentriker zum Mann der Mitte gemacht, aber er tut nichts lieber, als sich anlässlich des neuen Albums an Wilde Zeiten zu erinnern - und vieles neu zu bewerten.

Das Gefährlichste im Umgang mit David Bowie ist, dass man glaubt, alles über ihn zu wissen. Zum Beispiel, dass er mit 56 längst zu den alternden Rockstars aus großen, guten Zeiten gehört und es selbst nicht wahrhaben will. Dass er als agiler Ewigjunger auftritt und es verpasst, aus der Reife seiner Jahre poetisches Kapital zu schlagen. „Ich würde am liebsten alle meine Körperteile durch Plastikprodiesen ersetzen“, soll er seinem Fotografen Mick Rock gesagt haben. „Dann würde ich nie alt werden. Ich könnte einfach nur dasitzen, und alles würde perfekt funktionieren.“ Das war Anfang 1973, da war er 26.

Dann das: Im Laufe dieses Interviews, Ende Juni 2003 in New York, spricht er mehrfach vom „Ende seiner Karriere“. Und meint die Gegenwart damit Es kommt nur in Nebensätzen, wahrscheinlich rutscht es ihm nur so raus. Trotzdem stellt man erstaunt fest, dass dieser Mann seine Laufbahn (vom R’n’B-Sänger aus Beckenham bis zum gelassen wurschtelnden New Yorker Ehrenmann, der nichts mehr falsch machen kann) in ganz ähnlichen Phasen, Kategorien und auch Klischees betrachtet wie die Geschichtsschreibung, die Bowies Karriere so weit vereinfacht hat, bis eine Handvoll Bilder übrig blieb. Das Storyboard für einen Film, den Bowie vor ein paar Monaten auch noch selbst gedreht hat. Der Film ist ein aktueller Werbespot für Vittel-Mineralwasser, der im deutschen Fernsehen nicht läuft Man sieht, wie Bowie sich durch eine Reihenhaus- WG bewegt, die von seinen Alternativ- Charakteren bevölkert ist: der „Thin White Duke“ im Treppenhaus, in der Küche der „Ashes To Ashes“-Clown und Ziggy Stardust Der genervte Jetztzeit-Bowie bemerkt, dass die Mitbewohner die Vittel-Flaschen im Kühlschrank komplett leergetrunken haben, und schlendert auf die Straße. Der „Diamond Dogs“-Hund kläfft ihm hinterher.

Der Clip wird von einem donnernden Rock-Song des neuen Albums „Redfity“ untermalt, der – Obacht! – „Never Get Old“ heißt „There’s never gonna be enough money“, singt er, „there’s never gonna be enough drugs/ And I’m never ever gonna get old.“ Spottverse, die später in die ernstklingende Liebesbeteuerung an einen Menschen überfließen, der das Leben wertvoll macht- um ein paar Ecken wird Bowies Frau Iman gemeint sein. Die Geburt der Tochter Alexandria vor drei Jahren ist wohl mit dafür verantwortlich, dass er nicht mal mehr Zigaretten raucht, sein früheres Markenzeichen auf jeder zweiten Plattenhülle. „Remember it’s true, dignity is valuable/ But our lives are valuable, too“, schrieb er 1979 für „Fantastic Voyage“ auf „Lodger“. „Der Doktor ist zurück im OP!“ Bowies erster Gag (als er von der Toilette kommt), noch bevor das Interview in der Business-Suite des Thompson Hotels anfängt. Ein paar Querstraßen vom Broadway in Manhattan entfernt wo er in den „Looking Glass“-Studios von Philip Glass mit Tony Visconti die neue Platte gemacht hat. Ungefähr gleich viele Längsstraßen von seiner Privatwohnung weg. Dem Gesprächspartner stellt er lachend die Vittel-Flasche vor die Nase („Zur Erfrischung!“, Witz Nummer zwei) und sagt nach einem Blick auf das mitgebrachte Bowie-Cover des deutschen ROLLING STONE vom letzten Sommer: „No Rammstein, ha? A very valuable cover, without Rammstein!“ (Witz Nummer drei). Natürlich ist David Bowie schon seit Jahren nicht mehr der weltverträumte, bekokste, schmalsilbige Interview-Partner der Siebziger. Aber er weiß genau, welche Demut ihm immer noch entgegengebracht wird- und wie er sich durch die umarmende Freundlichkeit letztendlich die Leute vom Hals hält Schneller als gedacht gerät man mit ihm in Diskussionen über die aktuelle Pop-Szene. Er kennt sich blendend aus (wie er letztes Jahr als Kurator des Londoner „Meltdown“- Festivals bewiesen hat), geht auf Konzerte, die ihm gute Freunde empfehlen, hört nachweislich neue Platten. Und findet nicht unbedingt alles toll.

Wie erleben Sie das große Wiedererwachen der Rock’n’Roll-Szene hier?

Ich erinnere mich, als alle hier von den Yeah Yeah Yeahs geschwärmt haben. Ich hab das persönlich nie nachvollziehen können. Tolle attitude, fand ich, und ehrlich gesagt glaube ich, dass die meisten Leute von der attitude viel mehr angezogen wurden als von der Musik. Wenn schon alle sagen: Hey, hast du sie schon live gesehen? Schon klar, aber sollte die Platte nicht auch irgendwas für sich haben? Als ich zum Beispiel die Strokes gehört habe, dachte ich gleich, das ist eine wirklich gute Band. Ich fand die Musik an sich aufregend, ich dachte: Das sind sehr gewiefte Songwriter, die sind gut. Aber die Yeah Yeah Yeahs klingen einfach wie etwas Aufgewärmtes. Und die Sängerin hat diese cocky attitude und so weiter, und ich hab schon verstanden, dass das bestimmte Jugendliche anspricht, auf der Fuck-you-Ebene. Aber die Musik…Die EP vor zwei Jahren war noch ganz gut. Ja, die EP war gut. Kennst du die Raveonettes?

Ja.

Jemand hat mir die Platte geschickt Ich kannte sie schon ein bisschen, weil sie im selben Studio aufgenommen haben wie ich.

Die sehen gar nicht aus wie Leute, die im Studio von Philip Glass arbeiten.

Nein, aber sie waren da. Die Platte ist im Prinzip ganz interessant, aber auch die Band verlässt sich zu sehr auf Pastiche und Sachen aus der Vergangenheit. Und dieser Witz, dass sie alles in B-Dur spielen, also, ich weiß nicht.. Einen richtigen Musiker muss das doch in den Wahnsinn treiben.

Ihre Plattencover sind schön, die B- Movie-Ästhetik…

Ja, visuell ist das sehr sehr gut…mehr Stil als Gehalt ist es das? Typisch für die neunziger Jahre. Ich glaube, das haben wir hinter uns, da stehen wir doch längst woanders. Ich finde, es gibt keine Ironie mehr. Keinen Witz.

Wissen Sie, woran das liegt?

Ja. An dem Scheiß-Bombenanschlag auf die Türme. Humor ist aus. (hält inne, lacht laut und gießt sich Vittel-Wasser ein)

Dabei hat er sich zwischendurch schon wieder totgelacht, als er eine Frage nach den Yeah Yeah Yeahs geistesabwesend mit „Yeah, yeah, yeah“ beantwortet hat. Man könnte Bowie auf Deutsch nicht duzen, und man würde sich von ihm niemals siezen lassen. Ihn zu unterbrechen, geht auch nicht. Zwischenfragen überhört er, wenn er noch nicht alles gesagt hat. Oder er beantwortet sie mit einem gut gespielten „Absolutely!“ und spricht dann an der Stelle weiter, an der er abbrechen musste. Reden soll er, das ist schon richtig so.

Die oft vorkommenden Wörter „writer“ und „terrific“ prononciert er dabei mit sehr langem, britischem Gaumen- „r“ – die Herkunft muss er nach so langer Zeit in New York nicht mehr verbergen. Ob er seit dem britisch-amerikanischen Schulterschluss im Anti-Terror-Krieg von den Mitbürgern nicht eh wie ein Bruder behandelt werde? “Nein, nein, nein“, lacht Bowie schon wieder, „die Amerikaner haben mich noch nie als ihren Bruder betrachtet!“

Haben Sie in der Vergangenheit nicht mehr Probleme in Amerika gehabt?

Im Alltagsleben?

Nein, als Künstler.

Natürlich, die ganzen siebziger Jahre über. Man hat mich nicht ernst genommen hier.

Und die Leute in den Redneck-Staaten sind nicht zu den Konzerten gekommen.

Nein, nein, das ging schon tiefer. Die Amerikaner ab puristische Nation… nein, puritanisch meine ich, kein bisschen puristisch… also Amerika als im Herzen puritanische Nation stand meinen Arbeitsmethoden immer sehr misstrauisch gegenüber. Weil ich verschiedene Musikstile ineinanderfließen ließ, dachten die Leute automatisch, dass ich nicht integer sei und deshalb ein Lügner. Ich hätte nie gesagt: Das hier sind mein wahres Ich und meine wahren Gefühle, und das geht den Amerikanern gegen ihre Mentalität. Ausgerechnet in einem Land, dass so wichtig war für die Entwicklung des Postmodernismus, haben viele Leute eine archaisch geprägte und philisterhafte Einstellung zur Rockmusik. Amerika und ich passen eigentlich nicht zusammen.

Könnte sich das mit der neuen Platte und Tour noch ändern?

In solchen Kategorien denke ich doch gar nicht mehr. Ich habe ein großes Publikum, ich habe es seit über 20 Jahren, und solange das so bleibt, kann ich mich nicht beklagen. Die genaue Anzahl an Menschen, die die neue Platte kaufen oder nicht, die hat keine Auswirkungen auf den restlichen Verlauf meiner Karriere, wie immer der auch aussehen wird.

Ich durfte die Platte zwar nur einmal hören und habe die Songtexte erst kurz vor dem Interview bekommen, aber ich habe dein Eindruck, dass dies Ihr am deutlichsten amerikanisches Album ist. Es gibt viele Bezüge auf New York.

Kann sein, aber musikalisch ist es doch mehr oder weniger meine übliche Herangehensweise. Viele Stücke klingen nach Art-Rock europäischer Prägung. Auch das wird sich nicht mehr groß ändern. Ich war doch viel amerikanischer, als ich „Young Americans“ gemacht habe, das war meine Liebesaffäre mit Amerika und besonders mit der amerikanischen Soulmusik. Ich sage es ungern, weil es so ein Klischee ist, aber die neue Platte ist doch mehr die alte English Man-in-New-York-Angelegenheit. Was vor allem daher kommt, dass ich ein New Yorker bin. Seit zehn Jahren wohne ich hier mit meiner Frau, das ist lange. Und wenn man alle Gelegenheits-Aufenthalte mitzählt, habe ich sogar länger in New York gewohnt als in jeder anderen Stadt der Welt, meinen Geburtsort eingeschlossen. Unglaublich…

Sie sind so unverkennbar Brite, dass Sie eigentlich ein typischer New Yorker sind. Es heißt doch immer, hier sei Platz für jeden individuellen Lebensstil…

Wir sind hier nicht in Amerika. Die übrigen Amerikaner denken, dass New York schon zu Europa gehört (lacht). Und das denken sie voll Verachtung. (macht Redneck-Stimme nach) „Wir trauen niemandem, der nicht in Texas wohnt!“

Trotzdem denken viele Leute, dass New York heute eine sehr konservative Stadtpolitik hat.

Ich weiß, aber davon merke ich wenig, obwohL.. oh boy, wenn du das hier für konservativ hältst, warst du schon mal im Mittleren Westen? Hot!

Nein, ich bin auch zum ersten Mal in New York. Man kommt sich hier manchmal vor wie in einem Film.

Ich habe mal David Byrne gefragt, warum er ausgerechnet in New York wohnt, und er hat gesagt (in wundervoll imitierter Byrne-Stimme, langsam und verklemmt): „In New York musst du nur aus dem Fenster gucken, und schon fällt jemand auf die Straße.“ Aber er hat Recht. Man schaut aus dem Fenster, und irgendetwas passiert. Es ist wirklich wie im Kino. New York hat einen sehr schnellen event horkon. Und für Leute, die schreiben, ist es wie ein Traum. Wie könnte man hier leben und nicht schreiben? Wahnsinn. Früher – ich weiß nicht, wie es heute ist, weil ich schon lange nicht mehr dort war – war Berlin genau so. Die Stadt hatte etwas Unverwechselbares, die Leute dort waren komplett verrückt, immer passierte etwas. Zwischen dem sogenannten Underground und den straighten Bürgern gab es ein Gleichgewicht, über das ich mich immer gewundert habe: Wie können diese Leute friedlich nebeneinander leben? Und dann noch in einer ummauerten Stadt. Ein komischer Ort. Oben an der Straße hat einer mit rotem Kopf gegen Ausländer gewettert, und ein paar Schritte weiter saß ein Hippie-Mädchen, dem die Schmuse- Ratte übers Kleid lief. Das ist die Berlin-Attitude. Die Leute scheren sich nicht drum, was die anderen machen, aber trotzdem ist da eine tiefe Menschlichkeit, die es an anderen Orten nicht gibt. Als ich in der Schweiz gelebt habe … es war auf Dauer nicht auszuhalten. Der Ordnungssinn. Die Nachbarn beschweren sich bei der Stadt, wenn man seinen Mülleimer am falschen Tag rausstellt. Ein bizarrer Ort.

Ein bizarrer Ort: die „Looking Glass“-Studios, wo David Bowie seine neue Platte „Reality“ gemacht hat. Broadway (Bowie: „the most hustly- bustly street of all time!“), Hausnummer 986, im selben Gebäude wie die „Bob Marley Music Inc.“, neunter Stock. An der Wand ein Ölgemälde mit dem Antlitz von Philip Glass, daneben eine goldene Schallplatte, die Glass in Holland für „Songs From Liquid Days“ bekommen hat (vielleicht ein Witz der Plattenfirma). Während die Journalisten „Reality“ hören dürfen, schaut Tony Visconti kurz herein und in die Gesichter – er ist in einem Raum weiter hinten noch dabei, das Album zu vollenden.

Der erste Eindruck, wie bei allen Bowie-Platten seit den Achtzigern, ist zwiespältig. Vieles dampft mit durchgedrücktem Pedal am Ohr vorbei, einzelne Momente der Verfremdung, Orientalismen, Spinett oder flirrende Effekte erinnern einen wieder daran, wie bezaubernd, gruselig und abenteuerlich dieser Musiker sein kann. Zwei Stücke ragen gerade durch ihre scheinbare Empfindlichkeit heraus, „The Loneliest Guy“, ganz ohne Schlagzeug, und „Bring Me The Disco King“, ein Song, der schon einmal vor sieben Jahren für „Earthling“ aufgenommen wurde, ein möglicher, introspektiver Klassiker. Und der Anfang, „New Killer Star“: „See a great white scar over Battery Park“, die deutlichste der 9/11-Anspielungen auf „Reality“. Bowie sagt, man könne auf allen seinen Platten den Ort heraushören, an dem er während der Arbeit gelebt habe. Auch „Heathen“ war in New York komponiert worden, aber vor dem 11. September 2001.

Verglichen mit Leuten wie Bruce Springsteen und Jon Bon Jovi hatten Sie viel Zeit, um Ihre 9/11-Songs zu schreiben.

Ich war ziemlich traumatisiert, muss ich sagen. Wir hatten uns in New York immer so sicher gefühlt Und mehrere Monate lang hatte ich nicht das Gefühl, ich könnte die neue Situation irgendwie in Worte fassen. Als ob ich meine Stimme verloren hätte. Ich verstand noch nicht alles. Die Ereignisse selbst schon, aber nicht, was die Konsequenzen sein würden, auch auf lange Sicht. Dann wurde immer deutlicher, wie sich die Regierung in der neuen Situation positionieren würde, und ich begann zu verstehen. Aber ich lebe noch immer gerne hier, (lacht laut).

Haben Sie die Texte noch vor dem Irak-Krieg geschrieben?

Ich weiß nicht genau… nein, den größten Teil habe ich während des Krieges geschrieben. Aber die Texte zeigen eigentlich nur, wie ein New Yorker diese ganze Zeit durchlebt Ich wollte mich nicht zu sehr in das Thema verstricken. Ich finde: Wer wissen will, was hier vor sich geht, soll ins Internet schauen. Es ist nicht schwer, dort unabhängige und objektive Informationen zu finden und sich den Rest zusammenzureimen. Ich empfehle die Site des „Project For A New American Century“ (www.newamericancentury.org, d. Red.), ein Think Tank, der schon 1997 von Leuten wie Cheney und Wolfowitz begründet wurde – man kann sich vorstellen, was das für ein Verein ist. Sie haben Ende 1999 ihr Manifest geschrieben, und wer das liest, für den müsste eigentlich alles klar sein. Um zur Platte zurückzukommen: Eine leise, kleine Stimme, die herumpiepst was auf der Welt alles falsch läuft, verunsichert sicher niemanden allzu sehr (lacht). Ich schreibe nur Songs über diesen Mann und seine Ehefrau.

Die Texte klingen wie eine Sammlung von seltsamen Träumen, in dem Moment betrachtet, in dem man gerade aus ihnen erwacht und zwischen Traum und Wirklichkeit steht.

(lacht) Nun ja, so schreibe ich doch immer. Da hat sich in den letzten Jahren nichts geändert

Aber um die Frage, wie man mit der Wirklichkeit klarkommt, dreht sich das Album doch.

Ja, das stimmt schon. Es ist ja nicht so, dass die Platte einen roten Faden hat So wie bei allen Platten, die ich je aufgenommen habe, ist das nur eine Sammlung von Songs, die ich eine Zeit lang um mich hatte oder an denen ich gerade gearbeitet habe, als die Aufnahmen stattfanden. Das ist einer der Vor- teile daran, bei Columbia unter Vertrag zu sein. Sie geben mir den Freiraum, eine Platte zu veröffentlichen, wann immer ich will. Früher war es oft so: Oh Gott, wie lange muss ich noch warten, bis ich ein neues Album herausbringen darf? Mein Erfahrungswert ist, dass man bei den meisten Firmen mindestens 18 Monate warten muss, manchmal sogar zwei Jahre, und das ist für mich untragbar, weil ich zu viel schreibe. Das letzte Mal ging das in den frühen Neunzigern, als ich das Tin Machine-Album machte und „Black The White Noise“ und den „Buddha Of Suburbia“ Soundtrack, alles kurz hintereinander. Mit dem Tempo habe ich mich wohlgefühlt, aber dann kam die große Bremse, als ich zu… wer war das noch mal? – ach ja, ob ich zu Virgin kam. Jetzt ist es wieder so wie früher. Columbia ist eine so unglaublich große Firma – ich glaube, die haben noch nicht mal bemerkt, dass ich bei ihnen unter Vertrag bin.

Ein wundervolles und garantiert unnötiges Album-Projekt hat Bowie trotzdem nach drei Vierteln abgebrochen. „Toy“, schon vor „Heathen“ mit Mark Plati und seiner aktuellen Band begonnen, sollte Neuaufnahmen von alten Songs enthalten, von Songs, die so alt sind, dass generell davon ausgegangen wird, sie seien dem Sänger heute peinlich: „London Boys“, „Silly Boy Blue“, „Let Me Sleep Beside You “ aus der Prä- „Space Oddity“-Phase, als Bowie von den Landsleuten als Imitator des Brit- Chansonniers Anthony Newley veräppelt wurde. „Ich wollte testen, ob die Sachen aus meiner Anfängerzeit als Songwriter heute noch irgendetwas taugen“, sagt er. Einige der Neu-Versionen (unter anderem das völlig großartige „Conversation Piece“) wurden jüngst als B- Seiten verramscht

Noch so ein Indiz dafür, dass sich Bowie freiwillig einem Zustand der Altersruhe entgegenbewegt. Viel Aufsehen hatte bereits im vergangenen Jahr die Nachricht erregt, dass der Sänger wieder hoch offiziell mit Tony Visconti zusammenarbeitet Dem Mann, der einem bei einem unzulässig moralisierenden Blick auf Bowies Karriere wie das gute Gewissen des Stars vorkommt wie sein persönlicher Jiminy Grille, der sich mehrfach auf die Hinterbeine stellte, wenn Bowie privat oder geschäftlich schlecht beraten handelte.

Wie ist es, heute mit Tony Visconti zu arbeiten? Sie hatten ja zwischendurch persönliche Probleme miteinander.

Ja, wir haben uns in den frühen Achtzigern zerstritten. Irgendetwas Persönliches, soweit ich mich erinnere, und eine Zeit lang gab es ein bisschen böses Blut zwischen uns…

Warum?

(ignoriert die Frage)…aber wir hab schon in den frühen Neunzigern darüber geredet ob wir uns nicht wieder zusammentun wollen. Wir hatten seither wieder Kontakt und haben es in langen Gesprächen geschafft, alle Probleme aus der Welt zu räumen. Genau genommen stehen wir uns jetzt sogar näher als in den siebziger Jahren. Tony und ich sind beide durch so viele gute und miese Lebensphasen gegangen. Heute kann ich sowas mit der Weisheit des Rückblickenden sagen: Man erkennt, worum es im Leben geht, und man kann sich besser auf die gemeinsame Ausgangsbasis einigen. Nein, wir haben wirklich eine sehr gute Freundschaft

Ist Visconti Ihr ältester Freund?

Nein, ist er nicht, ich habe zwei… Meinst du alt im Sinne von wie alt sie sind oder wie lange ich sie kenne?

Wie lange Sie sie kennen.

Meine zwei ältesten Freunde sind Geoffrey MacCormack und George Underwood. (Beide waren als Musiker, Underwood auch als Cover-Artist vor allem in den frühesten Phasen an Bowies Karriere beteiligt, d.Red)

Sie haben noch immer Kontakt zu ihnen?

Ohja, ständig. Wir sind alle zur gleichen Schule gegangen. Ich bin mir nicht mal sicher, wie viele Leute in meinem Alter, also mit fast 60, überhaupt noch Kontakt zu Schulfreunden haben. Das ist nicht schlecht!

Vor allem bei Ihnen, mit einer so wechselhaften Biografie, hätte ich gedacht, dass Sie die meisten Freunden irgendwo am Wegesrand verloren haben.

Naja, ein paar Leute zu kennen, ist immer gut ohne Ansehen der Person. (lacht laut und entspannt) Natürlich sind da viele Menschen, die einem irgendwann über den Weg laufen, aber nur ein paar davon sind richtig terrific und werden richtig, richtig gute Freunde. Ich finde, am Ende einer so langen Karriere: Wenn da vier oder fünf Langzeit- Freunde übriggeblieben sind, hat man großes Glück gehabt. Bei mir ist das natürlich Coco (Corinne Schwab, seine persönliche Assistentin seit 1973, d.R.) Tony kenne ich seit 1968, 69, und George und Geoffrey seit Moment., wen kannte ich zuerst? Ich lernte Geoffrey zuerst kennen, und das war – mein Gott – vor… 50 Jahren! (lacht verschmitzt) Da kann man Angst kriegen, oder?

Wissen Sie noch, wann Sie zum ersten Mal mit ihm geredet haben?

Nein, aber ich erinnere mich an den Anfang unserer Freundschaft. Das war zu der Zeit, als wir beide unabhängig voneinander angefangen hatten, Popmusik zu hören, da waren wir beide ungefähr acht Jahre alt. Deswegen wurden wir auch so gute Freunde, denn wir liebten beide Frankie Lymon And The Teenagers, und wir lernten alle ihre Lieder auswendig und saßen im Garten und sangen: (singt, und klopft den Takt auf dem Sessel) “I’m not ajuvenile delinquent, no, no, no, I’m not“, und wir sangen zum Beispiel: (singt) „My boy lollipop, de doo de doo, you make my heart go…“ das war, glaube ich, von Millie. Solche Sachen.

Hatten Sie Instrumente dabei?

Nein, wir konnten nichts spielen. Wir haben unser Talent entdeckt, ohne viel Üben zweistimmig zu singen, wir waren sozusagen Gesangs-Kumpel. Und dann lernte ich an einer anderen Schule George kennen, etwas später als Geoff. George und ich waren in derselben Pfadfindergruppe, wir gingen zusammen auf Zeltlager und gründeten Skiffle- Gruppen und sangen Lieder von Lonnie Donegan. Kennst du Lonnie Donegan?

Ja, das ist der mit „Does Your Chewing Gum Lose Its Flavor On The Bed Post Overnight?“.

Ja, aber viel wichtiger war, dass er das weiße Publikum in England mit Sängern wie Big Bill Broounzy vertraut machte. Er hat sozusagen im Alleingang die Bluesmusik in Großbritannien bekannt gemacht obwohl er die Lieder als Skiffle spielte. Er sang „Rock Island Line“ von Leadbelly, und wir dachten: Wow, was ist das für Musik? Wir dachten natürlich zuerst das sei seine eigene Musik, aber dann wurden wir neugierig und fänden heraus, dass er in Wirklichkeit schwarze Songs aus Amerika sang, Baumwollpflücker-Songs. Und er brachte uns das nahe. Eigentlich hat doch Skiffle den R’n’B-Boom in Großbritannien ausgelöst, weil Leute wie Alexis Korner als Skiffle-Musiker angefangen hatten, aus der Alexis Korner Group gingen die Rolling Stones hervor und so weiter. Wenn man das alles zurück- verfolgt, landet man bei Lonnie Donegan. Okay, er hat auch ein paar doofe Lieder gesungen, aber wenn man seine gesammelten Werke anschaut, dann sind das zum größten Teil alte Bluessongs, die er neu interpretiert hat. Sogar der berühmte Teekisten-Bass ist nur eine Adaption des afroamerikanischen porch bass. Der Veranda-Bass.

Der Veranda-Bass?

Ja, die haben die ganze Veranda als Klangkörper für den Bass benutzt. Sie hatten einen Besenstiel (Bowie steht auf und macht den Veranda-Bass pantomimisch vor) oder einen langen Stab, und sie nahmen ein Stück Darmsaite und hämmerten ein Ende in die Veranda, stemmten den Stab gegen das Holz, und – dum dum dum – die ganze Veranda machte die Basstöne. Fantastisch, oder?

Ein bisschen blöd, wenn man auf Tournee gehen will. Man müsste ei- gentlich die ganzen Zuhörer zu sich nach Hause einladen…

…oder man muss die Veranda mit- nehmen! (lacht) Was Lonnie Donegan mit der Teekiste gemacht hat war ja der Veranda-Bass zum Mitnehmen. Ein toller Kerl, ein toller Kerl. Ein Ire! Nicht mal ein Engländer!

„Möchtest du ein Star werden oder nur berühmt? Oder lieber reich, berühmt und ein Star?“ Mit der Frage, die der junge Rechtsanwalt Tony DeFries irgendwann 1971 in einem Restaurant auf der Londoner Kings Road dramatisch gestellt haben soll, war Bowies Karriere richtig losgegangen. Weil er wahrscheinlich „Bitte Letzteres!“ geantwortet hat. Die ersten Alben waren schlecht gelaufen, den sowieso etwas beamtisch agierenden ersten Manager hatte er kurz davor freigestellt. Wäre Bowie as we know him ohne einen durchsetzungskräftigen Business-Kenner wie DeFries möglich gewesen? Natürlich nicht, ihr Hippies. Erst recht nicht, wenn man sich einen Primär-Eindruck vom Künstler als jungen Mann verschafft.

Auf einigen Platten kann man hören, wie Sie als junger Mann in der Öffentlichkeit gesprochen haben. Auf den „BBC Sessions“ sind Stücke aus Interviews mit John Peel, das „Space Oddity „-Demo sagen Sie selbst an – Sie klingen wie ein sehr schüchterner Mensch.

Oh ja, das war ich auch! Ich war unvorstellbar schüchtern, fast zwanghaft schüchtern. Ich habe viele Jahre gebraucht, bis ich mich etwas öffnen konnte und mir Situationen in der Öffentlichkeit keine Angst mehr eingejagt haben. Das Problem ist auch zu einem großen Teil dafür verantwortlich, dass ich mir diese Charaktere ausgedacht habe. Das wurde dann ein künstlerisches Element, aber ursprünglich brauchte ich die Charaktere, um überhaupt auftreten zu können, ohne mich die ganze Zeit unsicher zu fühlen. Ich merkte schon, dass da was im Gange war, dass ich irgendwie gut war. Ich wusste nur nicht, ob es an meiner Stimme lag oder an meiner Persönlichkeit oder woran auch immer. Ich wusste nicht, dass ich gewisser- maßen geboren war, um auf der Bühne zu stehen. Deshalb nahm ich Rollen an, um mich verstecken zu können und in Sicherheit das zu tun, was ich wollte.

Und das hat wirklich funktioniert?

Aber natürlich. Und ich musste erst lernen, die Verkleidungen abzustreifen, um mir bewusst zu werden, dass ich eigentlich ganz gut bin und die Rollen nicht brauche. In Wirklichkeit fühle ich mich auf der Bühne am wohlsten, wenn ich einfach nur meine Lieder singe, ohne Kulisse und Theater, ganz simpel. Gib mir ein Mikrofon, und ich bin zufrieden.

Sie wollen damit sagen, dass die Erfindung des Glamrock nichts weiter war als ein autosuggestiver Trick?

Ein Heilverfahren gegen Schüchternheit! (lacht) Nun ja, könnte man so sagen. Das war zwar nicht der einzige Grund, aber ich war natürlich damals sehr dankbar für die Idee, dass man Rock’n’Roll in eine neue Kunstform überführen kann, dass man ihn präsentieren und sich gleichzeitig von ihm distanzieren kann. Meine Schüchternheit hat mich sicher in diese Richtung motiviert Ich warf mich in die Arme des Postmodernismus, weil ich zu schüchtern war! (lacht und sagt mit verstellter Stimme, wie ein Sprecher in der Radiowerbung) Sie sind schüchtern? Wir empfehlen: Postmodernismus!

Malen wäre aber noch besser gewesen als Singen, dann hätten Sie den Mund gar nicht aufmachen müssen.

Ich habe tatsächlich drüber nachgedacht. Aber am Ende hat mich die Malerei nicht genug gepackt, (überlegt mit in Falten gelegter Stirn). Als ich habe gemerkt, dass man das visuelle Element auch als Musiker haben kann. Und ich hab die Musik geliebt So richtig geliebt. Und beim Malen gibt es keine Musik, außer der Musik, die man nebenher laufen lässt. Ich wusste allerdings, dass ich schreiben kann. Da war ich mir immer sicher.

Nur Lieder oder auch Prosatexte?

Ich dachte, ich würde ein guter Songwriter sein. Ich konnte es spüren, ich fühlte es. Wenn Gleichaltrige, andere Jugendliche, Gitarre spielten und versuchten, eigene Lieder zu machen, dann konnte ich es immer viel besser als sie, und ich sagte zu mir selbst: Du hast Talent Du wirst Songwriter, weil du das kannst. Aber halt, wer wird die Songs singen? So war der Gedankengang: (simuliert Kopfzerbrechen) Oh Gott, wahrscheinlich muss ich das selbst tun, das wird so peinlich… So ungefähr.

Sie konnten das nur zu sich selbst sagen: Ich bin gut. Sie waren noch nicht soweit, diese Meinung auch vor anderen Leuten zu vertreten.

Genau! (lacht) Ich war 18, natürlich war ich gut. Mit 19 musste ich dann der Beste sein! Und dann wird man älter und merkt: Man ist, wie man eben ist, und das ist der individuelle Zug.

Er wollte der Beste sein, er nahm mit Blitz und Sternen die Rolle an und war am Ende nur er selbst. Bowie zu hören und zu sehen sollte die Menschen eigentlich dazu anhalten, hier keinen Widerspruch mehr zu erkennen – aber, Verzeihung, man bleibt trotzdem immer wieder an der Bruchkante hängen.

Im Gespräch bezeichnet er sich durchgängig als „writer“, erklärt die Krisen seiner Karriere mehr oder weniger als Folgen von Schreibblockaden. Dann sieht man sich zum Vergleich den vor kurzem restaurierten „Ziggy Stardust“- Live-Film von D A . Pennebaker an. Wie Bowie (der bis zur „Diamond Dogs“-Tour, entgegen der allgemeinen Wahrnehmung, wenig Show-Elemente und Deko hatte) mit einem Publikum aus teils identisch frisierten Teenagern fast in Sexualkontakt tritt. Eine weitere Demonstration, wie Rock’n’Roll von den ; Hörern eben nicht nur als Mittel zur äußeren Rebellion oder gar als intellektueller Anstoß benutzt wurde, sondern als Chance zum Rückzug. Bowie war ihr schillernder Fährmann.

Er kann wundervoll und sehr feurig von der Zeit erzählen, die er als großen ästhetischen und lebenspraktischen Umbruch sieht. „Ich habe mal zum Spaß gesagt, dass die Siebziger für mich der Anfang des 21. Jahrhunderts waren“, wiederholt er. Sie hätten die Schriften des Architekten Charles Jencks und des Literaturwissenschaftlers George Steiners gelesen und den Anbruch der Postmoderne als neue Ära gewittert, „in der die Gesellschaft mehr und mehr pluralistisch wurde, in der es keine Absolutheitsansprüche mehr gab und die Dualität in allem, was wir kannten, an die Oberfläche kam.“ Roxy Music und er hätten das als erste in neue Musik umgesetzt, die sich selbst als formales Ding verstand und deshalb mit Zitaten aus früheren Rock’n’Roll-Formen spitzbübisch spielen konnte.

Hat überhaupt jemand bemerkt, dass Sie einen so ambitionierten Ansatz hatten? Haben die Leute nicht einfach gesagt: „Da ist wieder der Angeber in der Strumpfhose“?

Natürlich hat das niemand verstanden. Naja, einige Journalisten waren scharfsinnig genug. Vor allem die, die sich eh mit Kunst beschäftigten. Die anderen dachten: (beiläufiger Ton) Na sowas, ein Schwuler!(lacht) So tiefgründig waren die Analysen dann doch…

George Steiner ist das sicher nicht passiert.

Sicher nicht. Das Ironischste daran ist, dass es vor allem amerikanische Journalisten waren, die mich offenbar verstanden. Ausgerechnet Leute aus dem Land, das gegen alles war, was ich repräsentierte. Alice Cooper verstanden sie, weil der vulgär genug war. Eine Art Zirkus-Freak, den man leicht einordnen konnte. Aber Ziggy Stuff…(will sich korrigieren) nein, Ziggy Star Ziggy Stuff, das gefällt mir (lacht) …also, er hat solche Klischees nicht erfüllt und ist auf dem schmalen Grat zwischen dem Ernsthaften und dem Vaudeville balanciert, und es war schwierig festzustellen, was er genau repräsentierte, auch sexuell. Aber einige Schreiber hier haben den akademischen Aspekt verstanden, was mich sehr gefreut hat. Sie konnten das viel besser formulieren als ich selbst, (lacht, imitiert Stimme) Sie wollen wissen, was ich hier eigentlich mache? Lesen Sie, was der und der geschrieben haben!

Man hat den Eindruck, dass sich Ihr Ansatz Anfang der Achtziger fundamental geändert hat, nach „Scary Monsters“. Stimmt das?

Nein, das sollte kein bewusster Wendepunkt sein. Wenn man mit einem neuen Album anfingt, denkt man ja immer: Es wird halt mein nächstes Album. Mehr denkt man sich nie.

„Let’s Dance“ klang aber so…

Nein, Nile (Rodgers, der Produzent, d. Red.) und ich haben keine Sekunde lang an sowas gedacht. Wir hätten nie geglaubt, dass sich „Let’s Dance“ so gut verkaufen würde. Für mich war es einfach der nächste Schritt, und auf der Platte sind wirklich einige, finde ich jedenfalls, sehr interessante—mmh…Stücke, die ein Fortschritt für mich waren. Und wenn ich etwas mehr nachgedacht und nicht versucht hätte, meiner neu erschlossenen Hörerschaft nach dem Mund zu reden, hätte ich nach „Let’s Dance “ wieder etwas völlig anderes machen können. Das war eine schlechte ästhetische Entscheidung. Ich mag „Let’s Dance“ sehr. „Ricochet“ zum Beispiel ist eine richtig gute Arbeit. Und überhaupt die Idee, bei einem Dance-Stück einen so unkompromittierten Blues-Gitarristen wie Stevie Ray Vaughan einzusetzen.. Überleg mal, sowas gab es damals noch nicht. Nach den kalten, germanisch-elektronischen Sachen war das ein Hakenschlag: Okay, Dancemusik ist toll, aber was passiert, wenn wir da wieder eine menschliche Dimension reinbringen? Was dann allerdings passiert ist: Der riesengroße Erfolg hat mich etwas aus der Bahn geworfen, und ich habe plötzlich für die Galerie gespielt. Bei den nächsten zwei Alben dachte ich beim Schreiben: Was könnte den Leuten gefallen? Sowas wie „Scary Monsters“ kann ich ihnen nicht anbieten, sonst rennen sie weg und kaufen Phil-Collins-Platten. (lacht, verschmitzt und nicht so donnernd wie sonst). Das hatte ich vorher noch nie gemacht

Für eine Masse von Menschen zu spielen, die nicht unbedingt eingeweihte Bowie-Fans waren.

Genau. Das war Blödsinn. Die vier Jahre von 1984 bis ’88 waren vom Kreativen her sehr schlechte Jahre für mich.

Und trotzdem können Sie irgendwie auch froh sein, dass es so kam.

Ich war sehr froh, als es vorbei war. Ich werde Reeves Gabreis (Tin Machine- Gitarrist und musikalischer Partner bei den meisten von Bowies 90er-Alben, d. Red.) ewig dankbar sein, dass er für mich und mit mir gearbeitet hat und mir geholfen hat, beim Schreiben wieder ein Gleichgewicht zu finden. Und für mich persönlich war es die beste Idee, Tin Machine zu gründen, (sehr schnellweiterredend, mit Händeklatschen auf den Schenkeln) Ich weiß, mit der Meinung stehe ich fast allein da, aber die meisten verstehen überhaupt nichts. Sie verstehen nicht, woher meine Motivation kam. Mit Tin Machine habe ich eben nicht versucht, irgendwelche Erwartungen zu erfüllen.

Die Band war ein strategischer Zug.

(spricht sehr gedehnt und mit in Falten gelegter Stirn) Ich musste dringend raus bekommen, wer ich war, wie ichschreiben konnte, wohin ich gehen würde und woher der Blödsinn gekommen war, den ich gerade mitgemacht hatte. Und ehrlich gesagt, von da an ist es mit dem Songwriting meiner Meinung nach ständig aufwärts gegangen, die ganzen neunziger Jahre hindurch bis heute. Ich bin als Songwriter wieder so stark wie früher. Punkt. Ende der Geschichte. Es hat mir gut getan. Tin Machine hat mir gut getan.

Im Jahr 2019 gibt es dann die 30- Jahre-Jubiläums-Doppel-CD des Tin Machine-Albums, dann können wir das noch mal neu bewerten…

(lacht) Ja ja, sonst noch was… Die wird es sicher geben, das ist die Ironie. Ich habe Tin Machine-Songs auf Compilation-Alben gesehen, „Die Wurzeln des Grunge“ und so. Wenn andere Bands anfangen, sich auf einen zu berufen, weiß man, da läuft was richtig. Ich habe junge Leute sagen hören: Hey, die Platten, die Bowie mit Tin Machine gemacht hat, sind echt cool! Und ich denke: Ja! (lacht )Das sind sie! David Bowie ist dankbar für so ein Publikum, das nicht alles, was er macht, gleich mit „Hunky Donky“ vergleicht. Aber der Vittel-Spot – wie die alten Charaktere ihn aus dem Haus vertreiben, muss man das nicht metaphorisch sehen? „Nein, weil ich merke, dass ich einen solchen Clip erst heute mit einem Augenzwinkern spielen kann. Es gab eine Zeit, in der ich den Charakteren nicht ins Gesicht schauen konnte, weil ich dachte, ich müsse ihnen etwas Ebenbürtiges entgegensetzen. Jetzt habe ich das Selbstbewusstsein, dass ich genau so gut bin wie damals.“ Also endlich Frieden im Kopf?

„Wir haben ein herzliches Verhältnis zueinander“, sagt Bowie, „wir fünf.“

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates