Sterne des Schattenreichs

Camden Town, sagt Max Décharné verächtlich, hat seinen Charakter längst verloren. Diese unverwechselbare Spannung zwischen funky und chic, verarmt und neureich, Boheme und Boutiquen, die dem Bezirk in Londons Norden sein aufregendes Flair gab, hat nicht nur die Touristen angelockt, sondern auch den Mammon auf den Plan gerufen. Filmfuzzis und Popstars zogen ein, die Preise an. Chic und neureich ist jetzt jeder, und in die affigen Boutiquen verirrt sich kein Alteingesessener mehr.

Die Fläming Stars freilich, Londons famoseste Rock’n’Roll-Combo, ficht das nicht an. Selbst hinter der piekfeinsten Fassade rumort es. Je greller das Licht, desto schwärzer die Schatten. Und es sind die Verlierer und Verrückten, die verkrachten Existenzen und die seelisch Gestrauchelten, von denen Max Dicharnes Songs zu berichten wissen. Wüst und sinister sind die Worte oft, und die Musik irrlichtert zwischen Blues und Rockabilly, Garage-Punk, Spaghetti-Western-Twang und Torch-Balladen. Für Pop im engeren Sinne haben die Fläming Stars nichts übrig. Fade und fadenscheinig findet Decharn£ fast alles, was sich derzeit weltweit in größeren Mengen verkaufen läßt Der BritpopBoom, grinst ex, habe ihn nicht im Geringsten tangiert. „At the fag end of 1994“, so beginnt die von ihm verfasste Band-Bio, „as all manner of dismal rubbish was being thrown at the record-buying public.“.

The Earls Of Suave hatte die nicht weniger dem Trash verpflichtete Vorläufer-Band der Fläming Stars geheißen. Davor war Max Decharne ab der Schlagzeuger von Gallon Drunk jahrelang bemüht, das Gehör zahlreicher junger Menschen in Mitleidenschaft zu ziehen. Seine Formulierung. Andere Gründungsmitglieder der neuen Formation hatten in Gruppen wie den Stingrays und Thee Headcoats gelärmt „Was uns anfangs zusammengehalten hat“, erinnert sich der aus dem ostenglischen Norwich gebürtige Sänger und Songwriter, „war ein gemeinsamer Hang zum Abseitigen, die Liebe zu lauten Gitarren und die Fähigkeit, noch mit den minimalsten Budgets Platten zu produzieren.“

Nicht zuletzt letztere Fähigkeit war es, die das in Camden beheimatete Label VinylJapan überzeugte. Und bis zum heutigen Tag bei der Stange hält „Die meisten Bands könnten mit dem Geld, das wir für eine LP-Produktion brauchen, nicht einmal ihr Studio-Catering finanzieren“, weiß Max, der zu Hause kostensparend Demos präpariert und die den Musikern zum Üben gibt Dann erst geht es ins Studio, wo gewöhnlich unter der Ägide von Liam Watson auf dessen uraltem, unübertrefflichem Röhren-Equipment nun im Stundentakt neue Tracks aufgenommen werden.

Ein gutes Dutzend Platten ist so seitdem entstanden. Singles, EPs und LPs, akustische B-Movies samt und sonders. Fiebrige, delirierende Visionen. Abstürze ins Bodenlose. Oder nur auf die harten Bohlen einer Bar. „Songs Front The Barroom Floor“

hieß denn auch das erste Album. Dedicated to Dean Martin, Sterling Morrison and Charlie Rieh. Widmungen verraten oft mehr als viele Worte. „For Charlie Feathers“, steht schlicht auf dem Cover von „Pathway“, der aktuellen, abermals fabelhaften LP. Reverenz mit StiL Und mit Gefühl für eine hehre Tradition: Musik für die twilight^one. Bevor die Cramps zu Comic-Figuren mutierten, bevor Link Wray der Mühsal des Lebens aus dem Koffer endgültig Lebewohl sagte, gab es schon ähnlich ranzigen, räudigen Psycho-Noise. Ist verdammt lang her, doch bald wieder so weit. Im Februar sind die Fläming Stars live zu erleben. Auf deutschen Bühnen. Be there or be Square.

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