Steve van Zandt zum 60. Geburtstag von Bruce Springsteen

Anfangs war Bruce Springsteen für Steve van Zandt nur irgendein Junge aus der Gegend, doch der Gitarrist stellte schnell fest, dass dieser Sänger zu Grösserem berufen war. Die Freundschaft der beiden hält nun schon seit mehr als 40 Jahren - Zeit für einen ganz persönlichen Rückblick.

Es waren einmal, vor etwas mehr als 40 Jahren, zwei junge Männer, die lebten in New Jersey und träumten davon, berühmte Rockstars zu werden. So wie ganz viele Teenager, die alle ihre Träume auf kurz oder lang begraben. Doch Bruce Springsteen und Steve Van Zandt sind tatsächlich berühmt geworden – und dabei erstaunlicherweise sogar Freunde geblieben. Am 23. September wird Springsteen 60 Jahre alt, sein Kumpel Van Zandt ist ein Jahr jünger, und zusammen bilden sie eine Rock’n’Roll-Bruderschaft, die schon fast so lange andauert wie die von Jagger & Richards. Und beinahe so turbulent war.

Mit seinem Status als Sideman war Steve Van Zandt nie so ganz zufrieden. Während seiner 35-jährigen Dienstzeit in Springsteens E Street Band hat er deshalb immer mal wieder Zweit- und Drittkarrieren gestartet: als Solokünstler, politischer Aktivist (1985 spielte er mit einem All-Star-Ensemble den Anti-Apartheid-Song „Sun City“ ein), Schauspieler (Silvio Dante in „Die Sopranos“), Radiomogul (die Sender „Underground Garage“ und „Outlaw Country“ auf Sirius Satellite Radio), Labelchef (Wicked Cool Record Company) und bissiger Kommentator des Musikgeschäfts.

Doch die Beziehung zu Springsteen blieb der Ankerpunkt in seinem bewegten Leben – und dasselbe galt für Springsteen. Als Van Zandt sich 1984 aus der E Street Band verabschiedete, reagierte der Chef auf selbst für seine Verhältnisse bemerkenswert offene und herzliche Weise: mit dem Song „Bobby Jean“ auf „Born In The USA“. Auch wenn Van Zandt nie zugeben mochte, dass er der Adressat war, ist schwer vorstellbar, wen Springsteen sonst meinen könnte, wenn er von jemandem singt, den er kennt „seit wir beide 16 waren“, der „mir die Stange hielt, als die anderen sich abwandten“, der „dieselbe Musik mochte, dieselben Bands, dieselben Klamotten“. Jemand von dem er sagen konnte: „Ain’t nobody nowhere nohow gonna ever understand me the way you did.“

Die Geschichte aus der Sicht von Steve Van Zandt :

Am 22. November 1963, meinem 13. Geburtstag, brachten die Beatles ihr zweites Album raus, „With The Beatles“. Bei uns erschien es ein oder zwei Monate später als „Meet The Beatles“ die erste Platte, die wir von ihnen hörten, war eigentlich ihre zweite. Richtig in Fahrt kam die englische Invasion am 9. Februar 1964, als die Beatles in der „Ed Sullivan Show“ spielten, bei der immer die ganze Familie zuguckte. Dass so viele Menschen gleichzeitig dasselbe erleben, das gibt es heute auch nicht mehr oft.

Ein Jahr zuvor hatte mir mein Großvater das Gitarrespielen beigebracht, italienische Lieder aus seinem Heimatdorf in Kalabrien. Ich hatte also ein bisschen Vorsprung auf der Gitarre, aber die Beatles zu erleben war ungefähr so, wie ein UFO im Hyde Park landen zu sehen. Sie waren jung, hatten andere Frisuren, trugen andere Klamotten, gaben sich anders, spielten andere Musik und verströmten Hoffnung und den Glauben an unbegrenzte Möglichkeiten. Einfach etwas ungeheuer Positives. Am 10. Februar 1964 hatte jeder amerikanische Teenager eine Band. Ich war ab 1965 Sänger in so einer Band und gründete ein Jahr später meine eigene, The Source. Bei uns in der Gegend gab es vielleicht ein Dutzend Bands, die es schafften, aus der Garage rauszukommen. Drei waren richtig bekannt – The Motifs aus Freehold, das war Bruces Territorium, The Mods aus Jersey Shore und The Clique aus Red Bank. Die spielten alle sehr gut, aber mehr als eine Single war nicht drin. Die von den Mods und den Motifs habe ich noch, die muss ich mal wieder im Radio spielen. Den großen Plattenvertrag landeten sie alle nicht.

Bruce war in einer der Bands aus dem glücklichen Dutzend. Sie hießen The Castiles. Natürlich kannten wir uns alle. Meine Stadt, Middletown, war etwa 20 Minuten vom Meer entfernt. Westlich davon lag Freehold, wo Bruce saß, das war nur 10 oder 15 Meilen weg, kam uns damals aber viel mehr vor. Noch mal 10 oder 15 Meilen weiter südlich kam Asbury Park. Die drei Orte bildeten also ein Dreieck und waren durch die Hullabaloo-Clubs verbunden. Damals gab es eine Fernsehsendung, die so hieß. Sie lief nur anderthalb Jahre, wurde aber so populär, dass Clubs dieses Namens eröffnet wurden, und drei davon markierten unser Revier.

Es kann sein, dass ich Bruce schon vorher mal gesehen hatte, zu der Zeit, als ich noch bei den Shadows sang. Keine Ahnung, wann oder wo das gewesen sein könnte, er war damals nur irgendein Junge aus der Gegend. Wir waren eine ziemlich wilde Truppe, lauter Spinner, Freaks und Außenseiter. Es galt als nicht besonders cool, in einer Band zu sein. Meine Eltern hätten es vorgezogen, wenn ich Berufskrimineller geworden wäre, da hat man wenigstens ein gesichertes Einkommen. Alle hielten dich automatisch für drogensüchtig, und die hübschen Mädchen standen mehr auf Footballspieler. Für uns blieben nur die Irren und die Dicken mit den Pickeln. Und die Eltern streuten noch ein bisschen Salz in die Wunde: „Glaubt ihr, ihr seid die Beatles? Denkt ihr wirklich, ihr werdet die zweiten Rolling Stones?“ Genau genommen hatten sie ja recht. Ich meine, wie groß sind die Chancen, dass man aus Jersey rauskommt und sich in eine berühmte englische Band verwandelt?

Aber es gab eine Menge netter Orte, wo man auftreten konnte. Teenager-Clubs ohne Alkohol, Strandkneipen, Schulen. Wir spielten die Hitparaden rauf und runter, das machten alle, weil es Geld brachte, und schließlich war die beste Musik damals auch noch die kommerziell erfolgreichste. Als wir dann anfingen, auch Stücke von Alben zu spielen, gab es auf einmal verschiedene Richtungen. Ich stand auf die Who, die Youngbloods und Buffalo Springneid. 1968 fuhr Bruce auf Them, Love und die Doors ab. Jeder pickte sich seine Lieblingsbands raus und imitierte ihren Stil.

Alle paar Monate wurde die Band gewechselt. Bruce und ich spielten eine Weile zusammen bei Steel Mill, so eine frühe Südstaaten-Hardrock-Truppe, stark beeinflusst von Rhinoceros und den Allman Brothers. Wir wurden ziemlich bekannt, die Leute kamen zu Tausenden, eine richtig große Kiste, aber wir hatten ja auch schon fünf oder sechs Verlierer-Kombos hinter uns. Manchmal war ich in Bruces Band, manchmal er in meiner. Aber mit Steel Mill, um 1969, kam die Sache ins Laufen, und Bruce fing an, interessante Songs zu schreiben. Sie waren lang, alle mindestens 15 Minuten, in denen zehn Mal das Tempo und die Tonart gewechselt wurden. Damals war Prog-Rock ungeheuer populär – wenn ich mir eine doppelhalsige Gitarre hätte leisten können, hätte ich eine gehabt. Wir waren aber nie so theatralisch wie die englischen Bands. Wir pflegten diesen „Ich bin einer von euch, ein ganz normaler Typ“-Look, den ich heute aus tiefstem Herzen verabscheue.

Steel Mill hätten es fast geschafft. Sie stellten sich bei Bill Grahams Label vor. Er lud sie nach San Francisco ein, kurz bevor ich dazustieß. Es gibt ein Demo mit drei Songs aus dieser Zeit – ich glaube, Vini Lopez, der Schlagzeuger damals, hat sie vor kurzem irgendwo veröffentlicht. Aber Steel Mill waren nicht schlecht. Man konnte hören, dass Bruce John Finley verehrte, den Leadsänger von Rhinoceros, die nie eine große Band waren, aber von uns sehr bewundert wurden – zwei ihrer Alben gehören für mich zu den besten, die ich je gehört habe. Steel Mill fuhren irgendwie gegen die Wand. Für eine Weile hörte ich komplett auf zu spielen, weil ich dachte, das war’s jetzt. Ich arbeitete auf dem Bau, und Bruce kam als Folksänger bei Columbia unter, einer aus diesem neuen Genre namens Singer/Songwriter.

Er hatte ja auch von Anfang an geschrieben. Jedes Mal, wenn ich zu ihm nach Hause kam, spielte er mir neue Songs vor. Er war nur ein Jahr älter, wusste aber sehr viel genauer, wohin er wollte und was er dafür tun musste. Als er den Vertrag bekam, stand er sehr auf „Astral Weeks“, auf Tim Buckley und Bob Dylan. Das war damals etwas völlig Neues, dass man persönliche Erfahrungen in der Musik verarbeitete – „Like A Rolling Stone“ schlug ein wie eine Bombe, und spätestens als James Taylor auftauchte, hatte das Kind einen Namen. Als sie Bruce engagierten, waren wir alle aus dem Häuschen. Für uns war er das Trojanische Pferd, das ins feindliche Lager einrückte und die anderen nachholen würde. Und genau das tat er. Ich verstand mich damals nicht besonders mit seinem Manager (Mike Appel) und war deshalb auf den ersten zwei Alben nicht dabei. Auf dem Bau hielt ich es nicht lange aus, ich spielte 01dies in einer Band, die The Dovells hieß, und später bei Dion. Dann startete ich Southside Johnny & The Asbury Jukes. Wir spielten im „Stone Pony“ in Asbury Park, so eine Mischung aus Rhythm & Blues-Bläsern und Rockgitarre, was man heute Bar-Band-Musik nennt. Wir entdeckten einen Club, der kurz vor der Pleite stand, und sagten zu dem Besitzer: „Dein Laden ist in einem Monat sowieso dicht, lass uns einfach spielen, worauf wir Lust haben. Wir kriegen den Eintritt, du das Geld, das die Leute vertrinken.“ In der ersten Woche kamen 50 Leute, dann 100, dann 200, dann 300. Dann renovierten sie den Laden, bauten an, und wir spielten drei Abende die Woche vor tausend Leuten.

Dass ich nicht in Bruces Band war, machte mir also nicht viel aus, weil ich derjenige war, der Geld verdiente, Mädels ins Bett kriegte und Spaß hatte. Überleg mal: drei Dollar Eintritt, tausend Leute pro Abend, drei Abende pro Woche. Und das 1975! Meine laufenden Kosten lagen bei 150 Mäusen für die Wohnung. Ich verdiente jede Woche einen Tausender und hüpfte mit jedem hübschen Mädchen in New Jersey in die Kiste. Die beste Zeit meines Lebens.

Als ich zur E Street Band stieß, bedeutete das eine ganz schöne Gehaltskürzung. Und zwar fünf Jahre lang. Bis „The River“ rauskam und „Hungry Heart“ ein Hit wurde, machte ich mit Bruce Springsteens E Street Band weniger Geld als mit den Jukes. Ohne Witz! Aber es war eine Möglichkeit, ein bisschen rumzukommen. Bruces Karriere war am Ende. Er war für sieben Konzerte im „Bottom Line“ in New York gebucht und wollte bei diesen letzten Gigs ein

bisschen kürzer treten, deshalb machte er mich zum Gitarristen.

Er dachte wirklich, es wäre vorbei. Er hatte 10 000 Platten oder so verkauft, aber er trug es mit Fassung. Mein Leben ist noch nicht vorbei, meinte er, ich kann wiederkommen und es noch mal versuchen. Deshalb beschloss er, alles, was er hatte, in diesen einen Song zu legen. Ich glaube, das erste Mal hörte ich „Born To Run“ bei einer Probe, ich kam öfters zu Besuch ins Studio. Der Song schwirrte ein halbes Jahr oder so herum, bevor sie ihn aufnahmen. Eine üble Zeit, Bruce stand furchtbar unter Druck. Mein Beitrag zu dem Album waren nur die Bläser auf „Tenth Avenue Freeze-Out“. Ich lag meistens auf dem Boden rum und hörte zu. Irgendwann fragte Bruce: „Was hältst du davon?“ und ich antwortete: „Ich finde, es klingt scheiße.“ Er sagte: „Dann reparier’s halt, Schlaumeier.“ Und das tat ich. Mit Bläsern kannte ich mich seit den Jukes aus, nach zehn Minuten hatten wir das Ding im Kasten.

Die Gerüchte, ich hätte das Riff auf „Born To Run“ gespielt, stimmen nicht. Als Bruce mir zum ersten Mal die, wie er dachte, fertige Version vorspielte, bog er den letzten Ton, und weil eine Menge Echo drauflag, hörte man nur den Anfang der Note und nicht, wohin er sie bog. So klang es nach einem Mollakkord, was ich ziemlich interessant fand. Es gefiel mir so sehr, dass ich ihn darauf ansprach: „Das ist ein richtig cooler Harmoniewechsel, klingt nach Roy Orbison.“ Ging von E-Dur nach a-Moll statt nach A-Dur und gab dem Song ein ganz anderes Feeling. „Dieser Roy-Orbison-Wechsel, dieser Mollakkord, das ist ungewöhnlich, große Klasse.“ – „Was für ein Mollakkord?“ Also spielte ich ihm das Riff vor, er sagte: „Das ist nicht das Riff!“, und auf einmal kriegten alle Panik. Sie hatten Monate an diesem einen Song gearbeitet. Heute gibt Bruce zu, dass ich ihm damit die Karriere gerettet habe.

Die Leute kamen eigentlich nur ins „Bottom Line“, um uns auszulachen. Und dann passierte etwas Komisches: Wir hauten sie vom Hocker. Wir waren allen meilenweit voraus, weil wir sieben verdammte Jahre als Bar-Band geschuftet hatten. Und damals tanzten die Leute noch nach Rock’n’Roll, das darf man nicht vergessen. Heutzutage schenken sie sich die Bar-Band-Phase, obwohl das ein ganz wichtiger Entwicklungsschritt ist. Meine Theorie sieht so aus: Ganz früher tanzte man nach Rock’n’Roll, später hörte man nur noch zu, und dann ging es den Bach runter. Aber wenn man sich da durchbeißt, hat man es sein Leben lang drauf. Ins „Bottom Line“ gingen vielleicht 500 Leute rein, und die saßen auf Stühlen, aber wir brachten sie trotzdem zum Tanzen. Diese elektrisierende Energie, das unterscheidet gute Live-Bands von weniger guten. Dadurch wird man groß und bleibt groß, aber es ist eine Kunst, die heute kaum noch einer beherrscht.

Wie wir es schafften, im Oktober 1975 in derselben Woche auf die Titel von „Time“ und „Newsweek“ zu kommen, weiß ich immer noch nicht. Jon Landau (Journalist beim Rolling Stone und später Springsteens Manager) hatte Beziehungen zu beiden Blättern. Er war der angesehenste Journalist Amerikas. Wahrscheinlich redeten beide mit ihm, ohne voneinander zu wissen. Bruce fühlte sich in dem ganzen Rampenlicht überhaupt nicht wohl. Jahrelang hatte er gekämpft, und dann sah es aus, als hätte man ihn über Nacht hochgejubelt. Und es stank ihm, die Kontrolle über sein Leben teilweise abgeben zu müssen. Nein, das waren zwei unschöne Jahre. Dann zerrten sie ihn vor Gericht, und er konnte erst mal gar nichts mehr aufnehmen. Man könnte meinen, die dunkleren Sachen auf „Darkness On The Edge Of Town“ und „The River“ wären eine Reaktion darauf gewesen. Aber ich glaube, er fing schon bei „Born To Run“an, in größeren Dimensionen zu denken, und machte dann einfach weiter und konzentrierte sich mehr auf die dunklere Seite. Die überbordende Hoffnung von „Born To Run“ geht nicht verloren, wird in „Badlands“ und „Prove It All Night“ aber durch große Dosen Realität gedämpft. „Darkness On The Edge OfTown“ ist vielleicht sein bestes Album überhaupt. Diese Sachen loten alles aus, was wir heute unter Springsteen-Musik verstehen, und seine damaligen Lebensumstände trugen vielleicht dazu bei. Es ist nie hundertprozentig autobiografisch und nie hundertprozentig nicht.

Live hatten wir immer unseren Spaß, obwohl wir Vier-Stunden-Sets spielten und vorher noch dreieinhalb Stunden Soundcheck machten – eine Arbeitsmoral, die irgendwann ein bisschen extrem wurde – vielleicht um zu verdrängen, was sich draußen abspielte. Diese Realitätsgrütze ist nicht so witzig, lass uns lieber acht Stunden in der Halle bleiben. Und das taten wir, jahrelang. Ich weiß noch, wie wir zum ersten Mal mit der E Street Band im Madison Square Garden spielten. Bruce fing den Gig mit Jerry Lee Lewis‘ „High School Confidential“ an. Hallo? Wir haben’s endlich geschafft, und der startet mit einem Song, den keiner unter 50 kennt? Das mit den vier Stunden war nicht meine Idee, ich bin heute noch dafür, nach gepflegten 90 Minuten die Biege zu machen. Aber für sich allein ist jeder Song ein Vergnügen. Bruce schreibt einfach prima Sachen. Und vertragen haben wir uns immer bestens, weil Bruce so eine Art gütiger Diktator war. In einer Demokratie gibt’s viel mehr Probleme.

Wir hatten auch kein Problem damit, dass auf „Nebraska“ keiner von uns dabei war. Es war meine Idee, das Ding so rauszubringen. Bruce spielte mir seine Vierspur-Heimwerkerdemos vor, und ich sagte: „Das klingt jetzt vielleicht komisch, aber du solltest es so lassen – die Tatsache, dass du es so nicht veröffentlichen wolltest, macht es zum Persönlichsten, was du je produzieren wirst. Das ist ein absolut waschechtes Kunstwerk.“ Zuerst dachte er, ich hätte was an der Murmel. Vielleicht probierten wir sogar ein paar Songs mit der Band, aber er kam immer wieder auf die Demos zurück, und irgendwann gab er mir recht.

Als ich 1982 heiratete, hielt Little Richard die Predigt, und Percy Sledge sang „When A Man Loves A Woman“, als wir zum Altar schritten. Bruce war Trauzeuge. Er hielt sich wacker, aber gegen Little Richard hatte er keine Chance.

Die E Street Band zu verlassen, war verdammt schwer. Ich hatte damals nichts als Politik im Kopf. Mit „The River“ hatten wir den finalen Durchbruch geschafft – und plötzlich gab es nur noch ausverkaufte Stadien, Platin-Schallplatten. Wir hatten drei Millionen LPs verkauft – ich war sieher, dass man das nicht mehr toppen konnte. Doch dann wurde mir klar, dass ich keine Ahnung hatte, was in der Welt vor sich ging, und dass ich es rausfinden musste. Ein, zwei Monate war die Stimmung eisig, aber wir kriegten die Sache geklärt und sind seitdem immer Freunde geblieben. Wer kann voraussagen, dass einer 20 Millionen Alben verkauft? Bruce schaffte sieben Top-10-Hits (mit „Born In The USA“), was einfach total daneben ist. Aber er hatte sich dran gewöhnt, berühmt zu sein. Ich fand’s nicht weiter tragisch, die größte Band der Welt verlassen zu haben. Für mich war sie ja schon die größte gewesen, als ich noch drin war. Es ist schwer zu verstehen, aber ich hatte mir das nicht ausgesucht, ich musste es einfach machen. Es fing an, als wir mit „The River“ nach Europa gingen. Das war meine erste Europa-Tour, und in Deutschland kam so ein Typ zu mir und fragte: „Warum stationiert ihr Raketen in meinem Land?“ Und ich sagte: „Hör zu, Mann, ich bin nur der Gitarrist, ich kenn mich da nicht aus.“

Aber es spukte mir im Kopf rum, ich wurde das nicht mehr los, und schließlich dämmerte mir, dass dieser Junge, so wie die meisten Leute außerhalb Amerikas, mich nicht als Gitarrist oder als Republikaner oder Demokrat oder Rechtsanwalt oder Arzt ansah, sondern als Amerikaner. Bis dahin hatte ich mich nie als Amerikaner verstanden oder an die Verantwortung gedacht, die damit einhergeht, Bürger dieses Landes zu sein. Der totale Tunnelblick. Erst als wir richtig erfolgreich wurden, löste der Tunnel sich allmählich auf. Ich fing an, mich umzuschauen, las jedes Buch über Außenpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg, das ich in die Finger bekam. Und war ziemlich geplättet.

Bruce war damals nicht sonderlich an Politik interessiert, was man sich heute schwer vorstellen kann. Seine Sachen waren hintergründiger, mehr menschlich orientiert. Er erzählte Geschichten aus der Wirklichkeit, wie schwer sie für Leute sein kann, und versuchte, etwas Hoffnung zu verbreiten. Gute Kunst hilft uns, das Leben ein bisschen besser zu verstehen. Als Jugendliche redeten wir nie über Politik. Uns interessierte nur eines, und das war Rock’n’Roll. Natürlich erfasste die Politik in den Sechzigern auch den Rock’n’Roll, Bürgerrechte und Vietnamkrieg waren für uns keine Fremdwörter. Aber unsere Köpfe waren mehr mit der Frage beschäftigt, wie wir ein bisschen Kohle machen konnten.

Heute reden Bruce und ich schon über Politik, ab und zu jedenfalls, aber es gibt nicht viel zu diskutieren, weil wir die Dinge im Prinzip ziemlich ähnlich sehen. Ich war extrem politisch, als niemand anderes sich dafür interessierte, und habe immer darauf hingewiesen, dass ich als unabhängiger Wähler registriert bin und keiner Partei nahe stehe. Die Wahlempfehlungen für Kerry 2004 und Obama 2008 wurden heftig diskutiert. Ehrlich gesagt, ich hätte die beiden nicht unterstützt, wenn Bruce mich nicht darum gebeten hätte. Okay, er wollte meine Hilfe, und ich mochte John Kerry, aber es war mir trotzdem wichtig zu erklären, dass das jeder für sich entscheiden muss und dass wir Unabhängige sind, die sich entschlossen haben, John Kerry zu unterstützen. An der Obama-Kampagne beteiligt zu sein, war sehr spannend, aber es ist mir auch noch nie so schwer gefallen, den Mund zu halten. Als er in New Jersey verlor, mussten sie mich ans Bett ketten.

Nachdem ich fünf Soloalben gemacht hatte, kehrte ich zur E Street Band zurück. Ich hatte gesagt, was ich sagen wollte, und gelernt, was ich lernen musste. Bruce und ich waren immer im Gespräch geblieben, und eines Tages wurde mir klar, dass es bescheuert ist, eine Band zu haben und sie aufzugeben. Heute sage ich immer: Wenn du eine gute Band hast, behalte sie und mache das, was du sonst noch machen willst, zwischendurch. So hätte ich es auch halten sollen. Es war dumm wegzugehen. Es war auch dumm von Bruce, die Band Ende der 80er Jahre aufzulösen. Wir hätten sie einfach zusammenhalten und andere Sachen zwischendurch machen sollen. Heute erscheint das logisch. Als wir 1999 weitermachten, brauchte es ein bisschen Zeit, um sich wieder an diese Bandsituation zu gewöhnen – dass man nicht alles selber machen muss, sondern von Freunden umgeben ist. Aber sobald wir auf Tour gingen, war alles wieder so wie früher.

Das klappt alles seit Jahren wie geschmiert. Mit der Band gab es noch nie Probleme. Es läuft einfach. Keine Spannungen, kein Druck. Wir konnten immer Ideen einbringen. Ich war seit „Darkness On The Edge Of Town“ immer an den Arrangements beteiligt – eigentlich war ich anfangs mehr Arrangeur als Musiker. Wir werfen immer noch Ideen in den Ring, die ganze Band, aber die endgültige Entscheidung liegt natürlich bei Bruce, und wir wissen, dass wir nur etwas zu dem beitragen, was er sich vorstellt. Damit rückt das Ego, das vielen Bands zu schaffen macht, in den Hintergrund. Wenn es einem nichts ausmacht, dass von zehn Vorschlägen vielleicht einer durchgeht, ist alles in Ordnung. Das ist erwachsenes Verhalten, das macht einen Teamplayer aus. Aber es geht natürlich auch leichter, wenn man einen so guten Anführer hat wie ihn. Er schreibt einfach keine schlechten Songs.

An ein größeres Publikum gewöhnt man sich. Für Bruce und uns hat es nie einen Unterschied gemacht, ob wir in einem Club vor 50 oder in einem Stadion vor 50 000 Leuten spielen. Wir machen dasselbe, wir fühlen dasselbe. Daran hat sich all die Jahre nichts geändert. Merkwürdig war nur die Phase, als er Hit-Singles hatte – die Musik war live dermaßen populär, dass sie tatsächlich für ein paar Augenblicke in die Top 40 schwappte. Ich weiß nicht, was die Fehlinterpretationen mancher dieser Songs bei ihm bewirkt haben – so was kannst du einfach nicht kontrollieren.

Wenn man seit 30 Jahren berühmt ist, geht man gern davon aus, dass es so bleibt, klar. Das wird zu einem Lebensstil. Für uns kam es aber so spät, dass wir immer dankbar geblieben sind. Wir stoßen uns nicht dauernd in die Rippen und sagen: „Ist es nicht cool, berühmt zu sein?“, aber ab und zu sagt schon einer: „Es ist schön, nach all dieser Zeit immer noch neben euch zu stehen.“ Wir haben einen unserer Kameraden verloren (Danny Federici, Keyboarder der E Street Band, starb 2008 an Krebs) wir sind jetzt an dem Punkt, an dem so was passieren kann, und wahrscheinlich macht es deshalb noch mehr Spaß. Weil wir wissen, dass es wirklich darauf ankommt, dass es etwas ganz Besonderes ist.

Bruce redet nie vom Aufhören. Das ist unvorstellbar. Natürlich wird der Tag irgendwann kommen, aber so lange die Rolling Stones noch da draußen rumschwirren, sind wir die Grünschnäbel. Und die letzten drei Alben, die er geschrieben hat, waren fantastisch. Ihm gehen die Ideen noch lange nicht aus. Körperlich war er sowieso noch nie so fit. Vielleicht will er mal wieder was Anderes machen, aber es gibt keinen Grund, warum wir die Band nicht noch mal zehn Jahre zusammenhalten können, vielleicht sogar länger.

Man muss schon eine gute Beziehung haben, um es so lange miteinander auszuhalten. Bruce und ich sind gern zusammen. Wir mögen uns. Wir sind beste Freunde seit 1965. Und er bringt mich immer noch zum Lachen.

Nicht nur um das Wohlergehen von Steve Van Zandt kümmert sich Bruce Springsteen liebevoll. Er legt auch immer großen Wert darauf, welche Musik seine Fans begrüßt, wenn sie das Auditorium betreten. Auf der aktuellen Tour wird das Publikum jeden Abend mit ausgewählten Stücken von einer mehr als 220 Songs umfassenden Playlist in Stimmung gebracht – Blues, Folk und Gospel sind darauf ebenso zu finden wie Rhythm & Blues und Rock. In ihrer Gesamtheit bieten diese walk-in tapes einen einmaligen Blick auf die Musik, die für Springsteen all die Jahre, an die Van Zandt sich so gern erinnert, stilprägend war.

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