Street Fighting Men

40 Jahre danach feiert das emblematische Jahr 1968 seine massenmediale Wiederkehr, eine Lawine von Büchern reflektiert noch einmal die Bedeutung der Rockmusik für Revolte und Rabatz, bei Kampf und Krampf.

von Wolfgang Doebelmg Der Regisseur schlägt die Hände vor das Gesicht. „Mon dieu!“, stöhnt er, „es hätte fantastisch werden können, fantastique'“. Jean-Luc Godard ist Ende 1968 noch immer fassungslos über das gar nicht gloriose Scheitern seines Films „One Plus One“. Immerhin war er als sein persönlicher Beitrag zur globalen Revolte gedacht, nicht weniger. Die steuerte fühlbar ihrem Höhepunkt zu. Noch schien alles möglich. Kunst und Politik kollidierten, überall rappelte es im Karton der Konventionen: Chicago, Paris, London, Berlin, Prag. Noch ahnte niemand, dass die herrlich bunten Seifenblasen der tausend Illusionen bald platzen würden, eine nach der anderen. Und nicht einmal Godard wagte zu hoffen, dass „One Plus One“, eben von der Kritik nicht zu Unrecht als ästhetisch konfus und politisch prätentiös geschmäht, 40 Jahre später rehabilitiert sein würde als „eines der essenziellsten Dokumente seiner Ära“, so der Londoner „Observer“. Mehr noch: Anhand der amoklaufenden Fantasie Godards und seines schamlos ideologischen Exhibitionismus wird frivol dem Kulturjahr 1968 gehuldigt, ungeachtet der für den Filmemacher so vernichtenden Abstimmung an den Kinokassen. In vielen der momentan den Buchmarkt überschwemmenden Nachbetrachtungen jener schnellen Jahre muss „One Plus One“ als Illustrationsobjekt herhalten für den indiskreten Charme und den radikalen Chic der Intelligentsia, als pars pro toto für die heillose Verwirrung einer ganzen Epoche. „Es gab so unendlich viele Cretins, die nichts kapierten. Jede Szene musste mühsam durchgesetzt werden“, schimpfte Godard noch Jahre später über zaghafte Finanziers und den Produduzenten Iain Quarrier. Dabei war sich Godard sicher, sein Konzept klar umrissen zu haben. Ein Film über „art, power and revolution“ sollte es werden, mit dem hehren Ziel „to subvert, ruin and destroy all civilised values“. Zu diesem Zweck begab sich der Franzose nach London, wo er im Juni „68 die Rolling Stones in den Olympic Studios filmte bei der Aufnahme von „Sympathy For The Devil“. Das im Laufe der Session von einer langsamen Blues-Drohung in einen apokalyptischen Samba mutiert und dabei böser wird, sinistrer, furioser, beängstigender. „I rode a tank, held a general’s rank, when the blitzkrieg raged and the bodies stank“, prahlt Mick Jaggcr maliziös, „pleased to meet you, hope you guess my name, but what’s puzzling you is the nature of my game.“ So weit, so teuflisch und enigmatisch.

Doch Godard meinte, Luzifers Erfolgsmeldungen weiter verrätsein und politisch aufpeppen zu müssen. Er versetzte die Studioszenen mit Grusel-Tinnef aus der ideologischen Geisterbahn: Schwarze Panther exekutieren weiße Jungfrauen, Mao-hörige Hippies lauschen einer Lesung von „Mein Kampf“, die blutige Leiche einer Guerillakriegerin wird begafft, während Godard selbst aufgeregt rote und schwarze Flaggen schwenkt. Polit-Slapstick. Dazwischen immer wieder die Stones. Kein narrativer Zusammenhang, wüst miteinander konkurrierende Situationen nur, völlig meschugge. Quarrier muss das ähnlich gesehen haben, jedenfalls versuchte er, ein finanzielles Fiasko abzuwenden, indem er den unausgegorenen Streifen umtaufte in „Sympathy For The Devil“ und den Stones-Part komplett ans Ende schnitt. Damit, wie er Godard fernmündlich zu erklären versuchte, die Leute nicht vorzeitig die Kinos verließen. Und fing sich für seine Mühen beim London Film Festival einen Fausthieb ein, von einem alles andere als amüsierten Jean-Luc Godard.

Mehr über diesen „Schnappschuss aus einer fernen, verlorenen Welt, in der Rockmusik noch als revolutionäre Kraft wahrgenommen wird“ („Observer“) sowie über ungezählte weitere Schnittstellen von Pop und Politik hat Peter Doggett auf den 600 Seiten seiner Chronik „There’s A Riot Going On: Revolutionaries, Rock Stars And The Rise And Fall Of 60s Counter-Culture“ (Canongate) ausgebreitet, analysiert und in den meisten Fällen unter „Irrtümer“ abgelegt. Es sei ihm dabei nicht darum gegangen, Mythen zu zerstören oder Ikonen zu beschädigen, so Doggett, vielmehr habe sich dieser Nebeneffekt seiner Recherchen ganz von alleine ergeben. Ebenso oft freilich habe er festhalten können, dass die nicht selten heftigen Flirts zwischen Rock und politischer Radikalität tatsächlich Veränderungen in der Gesellschaft zeitigten, in den Köpfen der Beteiligten sowieso.

Er beginnt seine Zeitreise 1965, nicht weil es davor keinen Konnex zwischen Musik und Aufruhr gegeben hätte – man denke nur an die führende Rolle der Folkies in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung -, sondern weil vorher kein Rock war. Nun, 1965 gewiss auch noch nicht, könnte man aus musikologischer Sicht einwenden, doch führt Doggetts enzyklopädische Erzählung zielbewusst in die Jahre athletischer Riffs und geschüttelter Mähnen. Bis Woodstock, wo ein enragierter Pete Townshend den agitationswütigen Abbie Hoffman mit einem herzhaften „Fuck off mystage!“ in den Fotografengraben warf. Da war sie bereits am Bröckeln, die mehr gefühlte als tätig gelebte Koalition zwischen Hippies und Yippies, zwischen Polit-Aktivisten und Rock-Aristokratie. Wenn es sich dabei nicht ohnehin um groteske Miss-Verständnisse gehandelt hat, was ein Zitat von Roger Daltrey nahelegt. „We’re not strongenough leaders“, so die Dumpfbacke in Lederfransenjacke im Sommer 1969 über die Rolle seiner Band als Leitfiguren, „you need someone who’s gonna make people jump. You just need a Hitler figure, internationally, for kids.“

Die drei Galionsfiguren wider Willen einer weltweit diffundierenden Emanzipationsbewegung hatten gen Ende der 6ocr Jahre zwar auch mehr damit zu tun, sich der Umarmung durch spinnerte Aktionisten zu entziehen als selbst politische Zeichen zu setzen, doch widmet Doggett dem Dreigestirn Dylan/Lennon/Jagger viel Aufmerksamkeit. Ausgehend von der Erkenntnis, dass Subversion ohne Masse sinnlos und Kunst ohne Klasse wertlos ist, untersucht der Autor die Dialektik von musikalischer Revolution und gesellschaftlicher Evolution. Situativ meist, anhand von Geschehnissen sowie erhellenden Kommentaren der Idole. Jaggers ironische Distanz noch beim Demonstrieren, Lennons giftiges Geplänkel mit Godard, Dylans Horror vor Vereinnahmung: Ausdruck von Unsicherheit auf allen Seiten. Die Dynamik der Ereignisse überforderte nicht nur das mit Aufruhr liebäugelnde Fußvolk. Natürlich weiß Doggett auch um die irrlichternde Vielfalt linker Ideen und handfeste Strategien ihrer Umsetzung. Jerry Rubins und Tuli Kupferbergs Dada-Anarchismus, Phil Ochs‘ tiefempfundener, ja erlittener Kultursozialismus, der ihn mit Dylan aneinandergeraten ließ, die Black Panthers und New York Motherfuckers, Stokely Carmichael, Angela Davis, Tim Leary, Michael X, John Sinclair und seine MC5, das gesamte Repertoire der Rockin‘ Politics wird wohlwollend rezensiert.

Nicht unterschlagen wird auch, mit welch enormem Aufwand an Material und Manpower die Staatsmacht noch auf die durchsichtigsten Provo-Aktionen reagierte. Zwecks Unterwanderung der aufmüpfigen Musikszene wurden eigens Geheimdienstler des FBI ausgebildet. Eine ganze Abteilung übte sich im Jargon des tune in, turn ou, drop out. Mit mäßigem Erfolg. Einem internen Communique der Aufsichtsbehörde zufolge wurden nur Beweise für Bagatell-Straftaten erbracht, derentwegen es sich nicht lohnte, die Deckung der V-Männer auffliegen zu lassen.

Die Operation wurde noch 1969 eingestellt. Während die CIA-Dossiers über politisch auffällige Musiker in Übersee immer umfangreicher wurden. John Lennons Akte, so wird gemunkelt, sei einige Ordner schwer. Und wird wohl dereinst als Kuriosität in einem Museum ausgestellt werden.

Was Nachgeborene frappieren muss, ist die damalige Empfänglichkeit der Musos für radikale Politik und die beinahe lückenlose Durchdringung umstürzlerischer Arbeit mit populärer Musik. „Beides lag in der Luft“, so Graham Nash, „die unbändige Lust an Musik wie der unbändige Wunsch, die politischen Verhältnisse zum Tanzen zu bringen.“ Doggetts Buch bestätigt dies eindrücklich, beschränkt den Radius der Recherche aber im Wesentlichen auf den anglo-amerikanischen Kulturraum. Wie innig das Verhältnis von Rock und Auflehnung an den Hotspots anderer Weltwinkel war, wird nur schlaglichtartig beleuchtet. „Street Fighting Man“ beim Barrikadenbau in Paris, „Blowin‘ In The Wind“ im Prager Frühling, Hendrix‘ Dckonstruktion des „Star Spangled Banner“ bei Demos gegen den Vietnamkrieg in Amsterdam. Die Revolution schämte sich nicht ihrer sinnlichen Bedürfnisse.

In Berlin trennte man säuberlicher. Theorie und Praxis, Ökonomie und Überbau, Marx und Dionysos. SDS-Debatten wurden mit Beton angerührt, anlässlich machtvoller Demonstrationen setzte es Schalmeienklänge, und selbst bei Happenings versagte man sich die Freuden lustvollen Lärms. Rudi Dutschkes Verhältnis zu Rockmusik war nicht existent, Fritz Teufel beklagte ihre Opium-fürdie-Massen-Funktion, und die Kommunarden um Rainer Langhans und Uschi Obermaier ließen die Musik zwar an sich heran – letztere ja sogar die Musiker selbst -, doch lediglich zweckrational, als Soundtrack zu den Ritualen der Selbstfindung. Andererseits konnte der Umgang mit dem Faktor Pop auch in deutschen Landen ein bewussterer sein, wie der von Werner Pieper herausgegebene Reader .Alles schien möglich: 60 Sechziger über die 60er Jahre und was aus ihnen wurde“ (Der Grüne Zweig) auf unterschiedlich unterhaltsame Art illustriert. In etlichen der Bekenntnisse, Berichte und biografischen Essays spielt Musik eine nicht untergeordnete Rolle. Allerdings nicht unbedingt jene, die das Lebensgefühl der Sixties prägte.

Günter Wallraff, Jahrgang 1942, dünkte sich als Jung-Twen bereits zu alt für die Beatles. Erst seine Töchter brachten ihn auf den Trichter, viele Jahre zu spät. Andere erinnern sich mit Wonne an die musikalischen Impulse ihrer Jugend. „Anglo-Feelings“ überschreibt Pieper seinen Aufsatz über Erweckung durch Britpop, Carl Ludwig Reichert titelt gar „Es war das Beste überhaupt, genau in dieser Zeit genau so jung zu sein, wie wir waren“. Anderes liest sich schwerfälliger, manches ist Biedermeier oder Selbstbeweihräucherung, abgeklärt oder drogenverhangen. Auf die peinlichste aller Amnesien, die Schutzbehauptung nämlich, wonach nicht dabei war, wer sich an die Sixties überhaupt erinnern könne, beruft sich explizit niemand. Dafür werden zuhaut*Erinnerungen ausgegraben, die erst in ihrer Summe einen Sinn zu geben scheinen. So „erkor“ Ulrich Holbein 1968 eine Zeile von John Lennon „zeitweise zum Lebensmotto“, die der Dichter später selbst als sinnfrei belächelte: „The eagle picks my eye, the worm, it licks my bone“. Piepers persönliches Anschreiben, das dem Rezensionsexemplar beilag, endet mit „Ich wünsch‘ Dir Schmunzler beim Lesen“. Wunsch erfüllt.

Auf die Frage schließlich, ob die Geschichte der Insubordination einer Generation anders verlaufen wäre, hätte es den Rock-Impetus nicht gegeben, mag die Antwort eines Berufenen stellvertretend stehen: „Irgendwie hat ,Sgt. Pepper‘ den Vietnamkrieg nicht beendet, nur mit Songs erreichst du nichts“, so David Crosby, „was ich als Agent der Veränderung tun kann in Bezug auf das überkommene Wertegefüge der Gesellschaft, tue ich natürlich. Wenn es aber um Blutvergießen geht, um Straßenkämpfe, bin ich weg.“

He almost cut his hair, you know.

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