Subterranean Bochum Blues

In den Achtzigern wurde WOLFGANG WELT als kauziger Ruhrpott-Musikreporter bekannt. Sein neuer Roman, ein Stück rüde Rock'n'Roll-Prosa, handelt davon

Wolfgang Welt hat keine Kunsttheorie im Rücken, er hat keine Ahnung davon, wie man einen geschlossenen Roman konstruiert, und außerdem keine Lust, sich auch noch eigens eine Handlung dafür auszudenken- aber er hat ein bewegtes Leben gehabt, vor allem in den Achtzigern, als „wichtigster Musikjournalist des Potts“, wie er stolz und zu Recht vermerkt, der unter anderem für „Rock Session“, „Sounds“ und „Musik-Express“ Reportagen und Kritiken schrieb, die zum Härtesten gehören, was das Genre in dieser Dekade zu bieten hat. Und um eben diese Zeit in der Welt als rasender Reporter durch die Szene hetzte, geht es in „Der Tick“, wie auch schon in Welts erstem autobiographischen Roman „Peggy Sue“, den der Heyne Verlag vor zwei Jahren zusammen mit seinen wichtigsten Erzählungen und Artikeln endlich wieder aufgelegt hat.

Wolfgang Welt gibt den klischeestrotzenden Rock-’n‘-Roll-Pechvogel: den Studienabbrecher, der nicht viel gelernt hat außer Schreiben und immer einen Blauen zuwenig hat für Bier und Zigaretten, den temporären Psychotikcr, der gelegentlich unter Verfolgungswahn leidet und keine illegalen Drogen braucht, weil ihm der Arzt Psychopharmaka auf Krankenschein verschreibt. Den hässlichen Vogel, der bei den Frauen keinen Stich kriegt, was ihn nur noch manischer nach dem nächsten Fick fiebern läßt, und schließlieh den Zyniker und harten Hund mit unbestechlichem Blick für hohle Prätention und angemaßte Grandiosität, der in seinen Verdikten kein Erbarmen kennt, nicht gegen sich selbst und schon gar nicht gegen andere. So hat er in seinem mittlerweile legendären Fundamental-Verriss „Heinz Rudolf Kunze – Deutsche Lieder“ als erster den germanophilen Studienrat und „singenden Erhard Eppler“ hinter dem Liedermacher entlarvt. Auch in „Der Tick“ kriegt Kunze wieder einiges ab.

Nicht so recht zum Klischee passen will es, dass Welt nach einem kläglich gescheiterten Emanzipationsversuch wieder bei seinen Eltern eingezogen ist und dass ihm die mütterliche Erbsensuppe immer noch ganz gut schmeckt. Möglicherweise hängt das zusammen mit seiner Krankheit, auf die er allerdings nicht näher eingeht. Wo er sonst doch mehrfach zu Protokoll gibt, was er mit Susanne, Ute oder Katja am liebsten tun würde. Da bleibt nicht viel unausgesprochen, was dem einen oder anderen vielleicht geschmacklos vorkommen könnte.

Genau so wenig interessieren ihn akkurate Syntax, eleganter Stil und erlesene Metaphorik. Seine krude, abschweifungsreiche, ohne ästhetisches Kalkül aufs Papier gerotzte Diktion passt dem Inhalt wie angegossen. Das liest sich manchmal, als sei es die Transkription eines gesprochenen Textes, den Welt in einer durchwachten Nacht im Bochumer Schauspielhaus (wo er schon seit Jahren als Nachtwächter arbeitet) aufs Band deriliert hat.

Die Achtziger bespricht Wolfgang Welt als anekdotenreicher, kauziger und kritischer Chronist, frei von nostalgischer Verwässerung. Leser, die diese Dekade so gut kennen wie keine andere und die Musikzeitschriften, in denen der Ruhrpott-Lester-Bangs schrieb, wie Katechismen studiert haben, könnte bisweilen so etwas wie Wehmut befallen. Doch das wird man Welts spannender Oral History nicht ankreiden. Im Gegenteil.

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