Swingendes Material

The Kids Are Allright“ hat noch nie gestimmt. Diedrich Diederichsen brachte die alte Who-Sentenz 1992 in Verruf, wollte sie nach den Anschlägen auf die Asylbewerberheime in Hoyerswerda, Rostock und Mölln sogar in ihr Gegenteil verkehrt wissen („The Kids are not allright“), weil sich hier eine Jugend-Subkultur offensichtlich zum Erfüllungsgehilfen eines reaktionären Erwachsenenmilieus machen ließ: „Penner“, „Fidschis“ oder „Spastis klatschen“ auf der Tonspur von Troglodytenformationen wie Endstufe, Störkraft, Stuka und, ob sie wollen oder nicht, auch Böhse Onkelz – nein, das war weiß Gott nicht mehr die gute Revolte! Jon Savage zeigt nun in seinem neuen Folianten „Teenage. Die Erfindung der Jugend (1875-1945)“ (Campus, 29,90 Euro), dass es nie so einfach war, dass die Jugend, sobald man sie als eigene, wenn auch nur vorübergehende soziale Gruppe definierte, am Anfang des 20. Jahrhunderts also, einerseits ständig unter Beobachtung der Älteren stand, andererseits diversen politischen, wirtschaftlichen, sozialen und ideologischen Einflüssen ausgesetzt war, die den Knüppel mal in diese, mal in die andere Richtung und meistens eben in beide Richtungen zugleich ausschlagen ließen. Die Kids sind nun mal ein heterogener Haufen.

So zogen im Deutschland der späten 30erjahre die meisten Jugendlichen mit stolz erhobenem Kinn ihr Braunhemd an, die schicke rote Armbinde drüber und vergaßen auch nicht den „Treue und Ehre“-Dolch einzustecken, weil sie an die eigene Überlegenheit doch so gern glauben wollten. „Wir Alten sind verbraucht“, schmierte ihnen ihr Führer Honig ums Maul. „Wir sind feige, wir sind sentimental. Wir tragen die Last einer erniedrigenden Geschichte und das dumpfe Erinnern an Hörigkeit und Kriechertum im Blut. Aber meine herrliche Jugend! Gibt es eine schönere in der ganze Welt? Sehen Sie sich diese jungen Männer und Knaben an! Welch Material. Daraus kann ich eine neue Welt formen.“

Und gleichzeitig wollten sich ein paar immerhin nicht so einfach formen lassen. In den größeren Städten Berlin. München und vor allem in Hamburg gaben sich gewisse Elemente verräterisch weltläufig und undeutsch, trugen „lange, karierte Sackos, Schuhe mit dicken, hellen Kreppsohlen, auffallende Schals“ und ließen in Swing-Bars, die schon bald von der Gestapo observiert und auch immer mal wieder mit brutaler Gewalt ausgehoben wurden, buchstäblich die Sau raus. „Kein Paar tanzte normal“, heißt es in einem Gestapo-Bericht von 1940 über eine Altonaer Clubveranstaltung, „es wurde in übelster Form geswingt. Teils tanzten zwei Jünglinge mit einem Mädel, teils bildeten mehrere Paare einen Kreis, wobei man sich einhakte und in dieser Weise dann umherhüpfte, mit den Händen schlug, ja sogar mit den Hinterköpfen aneinanderrollte und dann in gebückter Stellung, den Oberkörper schlaff nach unten hängend, die langen Haare wild im Gesicht, halb in den Knien, mit den Beinen herumschlenkerte.“ Sodom und Gomorrha! Und es kam ja alles nur noch schlimmer: „Die Kapelle spielte immer wildere Sachen. Kein Mitglied der Kapelle saß mehr, sondern jeder ,hottete‘ wie wild auf dem Podium herum. Häufig sah man, dass Jungens zusammen tanzten, durchweg mit zwei Zigaretten im Mund, in jedem Mundwinkel eine.“ Zu allem Überfluss wurde auch noch „englische Musik mit englischem Gesang gespielt“, und das „wo unsere Soldaten gegen England im Felde stehen“. Auf der anderen Seite des Atlantiks die gleiche Unübersichtlichkeit. Da ließen sich die guten US-Jungs, getragen von ihrem unerschütterlichen Glauben an die demokratische Sache, zu tausenden anmustern, um gegen Nazi-Deutschland in den Krieg zu ziehen und also den Faschisten Mores zu lehren, und die gleichen ehrenwerten, auf ihren Kriegseinsatz wartenden GIs führten sich in Los Angeles und Detroit im Sommer 1943 auf wie durchgeknallte SA-Rotten und machten willkürlich Jagd auf Schwarze und die sogenannten „Zoot-Suiters“, jugendliche Mexikaner, die sich durch ihre auffällige, smarte Kleidung unbeliebt machten.

Dahinter verbarg sich wohl auch die Angst der GIs, dass die Pachucos zu Hause ihre Mädchen flachlegten, während sie in Übersee kämpfen mussten. Die lokale Presse heizte diese rassistisch motivierten Pogrome noch an: „Pack den Zooter. Zieh ihm die Hose und Gehrock aus und verbrenne alles. Frisier den .argentinischen Entenschwanz‘, der zu der grotesken Aufmachung gehört.“ Fidschis klatschen 1943!

Jugendkultur war immer beides zugleich, „allright und „not allright“, das zeigt „Teenage“ in vielen, bisweilen vielleicht fast ein bisschen zu vielen Beispielen und Quellenzitaten. Und Savage lässt auch keinen Zweitel daran, dass die Erwachsenengenerationen die Gruppe der 14 bis 24-Jährigen von Anfang an unter ihre Kontrolle zu bringen versuchten: in England und Deutschland vornehmlich, um genügend Hurra-Patrioten resp. Kanonenfutter für die Durchsetzung der imperialistischen Interessen beider Länder zu gewinnen; in den USA, um bessere Konsumenten und passgenauere Rädchen in der sich ausweitenden, ausdifferenzierenden Wirtschaftsmaschinerie zu generieren.

Aber Jon Savages Herz schlägt schneller – und da erkennt man in seiner sachlichen, konventionellen Darstellung doch noch den alten Punk in ihm wieder, der mit „England’s Dreaming“ die Biografie dieser Ära geschrieben hat —, wenn die Kids sich dieser Instrumentalisierung widersetzten, wenn sie einfallsreich und individualistisch demonstrierten, dass sie sich nicht so einfach ins große Kollektiv inkorporieren lassen wollten.

Etwa wenn in London und Berlin in den Zwanzigern libertinäre, jazzaffine Cliquen mit kaum zu bremsender Feierlaune auf die chauvinistische moralinsaure Propaganda der Eltern ein fröhliches schwarzes Liedchen pfiffen, durch die Nächte tanzten und dabei allerlei Pülverchen, Praktiken und Etablissements ausprobierten.

Oder wenn sich in den USA nach dem Ersten Weltkrieg entgegen dem Staats-Puritanismus ein neuer selbstbewusster, unabhängiger, sexuell aktiverer Frauentypus etablierte, der „Flapper“, der plötzlich so tat. „als existierten gar keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern“. G. Stanley Hall, der Stammvater der Jugendforschung, konnte das nur mit Staunen zur Kenntnis nehmen: „Ihm gegenüber wirkt das Mädchen manchmal beinahe aggressiv. Sie besucht Veranstaltungen und geht mit ihm am Abend spazieren, und auf den Fluren der Schule klopft sie ihm vertraulich auf den Rücken, packt ihn am Kragen und knufft ihn.“

Es war kein Zufall, dass man zunächst in den LISA der Adoleszenz Beachtung schenkte – als einen eigenen Entwicklungsabschnitt zwischen Kindheit und Erwachsensein, der besondere Fürsorge verdient. In den explosionsartigwachsenden, adiministrativ überforderten Großstädten der Jahrhundertwende wie Chicago waren Jugendliche ein Problem, mit dem sich vor allem die Gerichte herumzuschlagen hatten. Der erste Teenager war ein Krimineller! Aber ideell war er zugleich auch die Verheißung. Denn die Vereinigten Staaten waren ja eine junge Nation, gewissermaßen die institutionalisierte Jugend.

Mit der romantischen Oberhöhung des Teenagers arbeitete man also kräftigam eigenen Nationalmythos. „Im gegenwärtigen Zeitalter rascher Veränderungen und Verbreitung unserer Rasse müssen Zukunft und Ideal umso stärker dominieren“, raunte Hall kurz vor der Jahrhundertwende, „sonst schrumpfen wir als Nation. Dies ist eine gute Zeit, um jung zu sein.“

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