Synthie-Mahlstrom

OFFENTLICH SO GUT wie gar nichts“, sagt Martin Doherty, Keyborder von Chvrches, wird er an diesem Hochsommerwochenende tun, das einzige seit Monaten ohne Festivals oder Konzerte, „höchstens ein bisschen Fernsehschauen.“ Seit das Electronica-Trio 2012 mit seiner ersten Single „Lies“ für einiges Aufsehen sorgte, sind freie Tage knapp geworden. Seit Jahresbeginn spielte die Band aus Glasgow in Europa und den USA ausverkaufte Headline-Shows, trat im Juli sogar als Vorgruppe von Depeche Mode auf. Die im Februar veröffentlichte dritte Single, „Recover“, hat mittlerweile mehr als 1,2 Millionen Klicks erreicht.

Der elektrolastige Gothic-Dream-Pop ihres Debütalbums „The Bones Of What You Believe“ mischt honigsüße Melodien, gesungen von Lauren Mayberry mit hoher, neonheller Stimme, und scharfkantige, metallisch kühle Synthesizer-Klänge – ein Sound, der unmittelbar an die aggressiven Song-Dekonstruktionen von Purity Ring und The Knife erinnert. Letztere riefen Mayberry, Doherty und das dritte Mitglied Iain Cook selbst als zentrale Reminiszenz auf den Plan, als sie mit dem Song „The Mother We Share“, einem der größten Hits ihrer schwedischen Kollegen („We Share Our Mother’s Health“), die musikalische Aufwartung machen. Eher als ein nerdiges Fan-Zitat ist es aber ein Stück lupenreine Popmusik: Zerhackte, stotternd hüpfende Stimmfetzen und klirrende Synthesizer galoppieren hier auf einen hymnisch dahinfließenden, eingängigen Refrain zu. Mit glasklarem Sopran singt die feenhafte Lauren Mayberry die finsteren Lyrics:“The mother we share will never keep our cold hearts from thawing.“

Für eine Gruppe, der noch der Charme einer frisch gegründeten Wohnzimmerband anhängt, liegt zwischen den drei Mitgliedern eine recht weite Spanne -was das Alter betrifft ebenso wie frühere Berufe und musikalische Genres. Mittzwanzigerin Mayberry studierte Jura und Journalismus, Doherty, 30, und Cook, 38, studierten Musik. Alle spielten vorher in anderen Bands, keiner allerdings machte Musik, die auch nur ähnlich klang: Mayberry sang in der Indie-Folk-Pop-Formation Blue Sky Archives, Cook spielte bei den düster-gedämpften Post-Rockern von Aereogramme, und Doherty war Keyboarder der Shoegaze-Band The Twilight Sad. Erst Ende 2011 taten die drei sich zusammen, als Cook und Doherty nach einer Stimme für einige gemeinsame Produktionen suchten: „Laurens Stimme hat uns sofort umgehauen“, erzählt Doherty. Nun erkunden sie mit Chvrches den grellen, künstlichen Sound des Synthie-Pop: „Es macht einfach mehr Spaß auf der Bühne, auch weil ich nun Teil des kreativen Prozesses bin, nicht nur Mitglied der Live-Band“, sagt Doherty.

Düster klingen die Songs zwar immer noch, wenn die Synthie-Kaskaden sich bedrohlich dröhnend hinter Mayberrys fragiler Stimme aufbäumen -zugleich aber auch euphorisch. Chvrches experimentieren noch mit ihrem Sound. Bereits ausgeformt ist aber ihr außergewöhnlicher Spürsinn für Melodien -für diese Momente, die sich auf „The Bones Of What You Believe“ zahlreich finden und in denen alle Töne sogartig zusammenfließen -ganz so, als hätte das Trio überhaupt nie etwas anderes gemacht, als zusammen in einem winzigen Glasgower Kellerstudio neue Songs zu produzieren.

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