Tage des Donners

The Libertines reanimieren die britische Popmusik.

Es war mal wieder eine sehr kurze Zukunft des Rock’n’Roll. Aber: die schönste aller denkbaren Gegenwarten. Bereits mit der Single „What A Waster“ hatten die Libertines uns im Sturm genommen. Wir imaginierten The Clash und The Smiths, und als das Debütalbum „Up The Bracket“ 2002 erschien, war es genau das: ein Schlag in die Fresse. Doch beherrschten die verkrachten Hinterhof-Poeten nicht nur den Affront und den Radau – ihre sehnsuchtsschwangere Gossen-Romantik ging noch mehr ans Herz. Sie erinnerte uns daran, dass die Eroberung der Welt manchmal ein Kinderspiel ist.

Später hatte dann jeder, der bei einem der wenigen, sehr großartigen Deutschland-Konzerte der Original-Libertines war, seine eigene Pete’n’Carl-Geschichte zu erzählen. Viele tranken mit ihnen, einige schliefen mit ihnen, wir beließen es bei einem Gespräch mit Doherty – schon damals schwierig. Er stand an der Bar, ein Mann mit grüner Gesichtsfarbe, fettigen Haaren und speckiger Lederjacke. Brabbelte, gab Autogramme, wollte Bier trinken. Bezahlen sollten wir.

Zwei Jahre später gab es, nach Meldungen über Drogensucht und Wohnungseinbrüche bei Mitmusikern, plötzlich wieder ein musikalisches Lebenszeichen. Dem Chef der Plattenfirma Rough Trade, Geoff Travis, war es gelungen, die Libertines für zehn stürmische Tage ins Studio zu beordern. Das so entstandene, unbetitelte Album verhandelte in 14 Songs die ganze Wut, Verzweiflung, Ohnmacht und Liebe, die die Tragödie um diese Band mit sich brachte „The Libertines“ war der Soundtrack einer Zerrüttung. Wir hörten das Zwiegespräch „Can’t Stand Me Now“, „What Became Of The Likely Lads“ und „Music When The Lights Go Out“, und fühlten uns, als hätten wir heimlich jemanden belauscht.

Der Libertines-Erfolg löste eine Renaissance Post-Punk-beeinflusster Musik aus. Es kamen die dunkel lackierten Interpol sowie die Killers, die mit „Hot Fuss“ resüssierten. Für den buzz des Jahres sorgten indes Franz Ferdinand. Die kunstbeflissenen Schotten hinterließen verblüffte Reporter, weil sie in korrekter Oberbekleidung auftraten und Bügeleisen im Tourgepäck mitführten. Ungeachtet dessen spielten sie wunderbar elektrifizierende Tanzmusik, übrigens nicht nur für Mädchen, und erinnerten daran, dass man zuletzt insgesamt doch zu selten Orange Juice und Joseph K. auflegt hatte.

Natürlich hörten wir auch Nick Caves etwas zu lang geratenes „Abbattoir Blues/ The Lyre Of Orpheus“ und das posthum erschienene Vermächtnis des Elliott Smith, „From A Basement On The Hill“. Rufus Wainwright veröffentlichte das exaltierte „Want Two“, Ron Sexsmith wurde mit „Retriever“ wieder nicht zum Star, Brian Wilson vollendete beinahe 40 Jahre später sein Geisteralbum „Smile“, und Wilco legten mit „A Ghost Is Born“ den bis heute nicht widerlegten Verdacht nahe, dass diese Band außerstande ist, schlechte Musik zu schreiben – was Velvet Revolver spielend gelang.

Schließlich war 2004 auch das Jahr der erstaunlichen Wiederkehr des Steven Patrick Morrissey. Dem zuletzt strauchelnden Sänger gelang mit „You Are The Quarry“ nicht nur das kommerziell erfolgreichste Album seine gesamten Karriere, auch künstlerisch war sein neben „Vauxhall And I“ bestes Werk ein Genuss.

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