Eric Pfeils Pop-Tagebuch

Tambourines und Schellenkränze oder Rasselnd durchs Leben

Unser Kolumnist Eric Pfeil widmet sich der Pop-Kulturgeschichte eines unterschätzten Instruments.

Folge 93

Sprechen wir über Wichtiges: Sprechen wir über Schellenkränze.

Mehr noch als die Mundharmonika ist der Schellenkranz ein völlig zu Unrecht verunglimpftes Instrument. Es scheint die irrige Meinung vorzuherrschen, der Schellenkranz sei ein ausgesuchtes Deppen-Gerät, das vorwiegend von Gecken, Gauklern, Gauklergecken oder musikalischen Versagern exekutiert wird. Ich weiß nicht, woher dieser Eindruck stammt. Möglicherweise trifft den berühmten Schellenkranz-Fetischisten Liam Gallagher eine Mitschuld. Das Erstaunliche ist: Gallagher betritt die Bühne zwar selten ohne Schellenkranz, spielt ihn aber fast nie. Er zeigt ihn eigentlich immer nur an ausgewählten, dramatisch aufgeladenen Stellen dem Publikum: Ich habe schon erwachsene Männer weinen sehen, nur weil Liam Gallagher ihnen von der Bühne seinen Schellenkranz gezeigt hat. Möglicherweise sind aber auch die Monkees schuld an der Geringschätzung des rasselnden Mannes, doch dazu später mehr.

Zunächst muss ein Unterschied gemacht werden: Im deutschsprachigen Raum bezeichnet der Begriff „Tambourin“ eine einfellige Rahmentrommel mit angebrachten Schellen. Der Schellenkranz, der in der Popmusik zum Einsatz kommt und – wenn kundig gespielt – dazu angetan ist, Lieder in höhere Sphären zu rasseln, verfügt über kein Fell. Im Englischen hingegen dient das Wort „tambourine“ als Sammelbegriff für alle Handtrommelinstrumente, ob nun mit Fell oder ohne. Es ist allerdings davon auszugehen, dass das in vielen englischsprachigen Popsongs besungene „tambourine“ in der Regel den Schellenkranz meint.

IRELAND - JULY 08:  Photo of Liam GALLAGHER and OASIS; Liam Gallagher performing live onstage, holding tambourine in teeth  (Photo by Patrick Ford/Redferns)
Man hat schon erwachsene Männer weinen sehen, nur weil Liam Gallagher ihnen von der Bühne seinen Schellenkranz gezeigt hat.

Der Grund, warum ich heute über das immer schon von mir hochgeschätzte Instrument schreibe: Neulich hörte ich eine Woche lang fast ausschließlich das Go-Betweens-Album „Spring Hill Fair“. Eine reinigende Erfahrung, der ich unter anderem die Erkenntnis verdanke, dass das Grant-McLennan-Lied „Bachelor Kisses“ nur halb so schön wäre, wenn nicht kurz vorm Refrain ein Schellenkranz einsetzte. Gut, dieser Schellenkranz ist womöglich ein programmierter Schellenkranz, aber sei’s drum. Das Instrument wedelt zusätzliche Luft in das Lied und sorgt für einen Hauch von Schmiss – aber eben nur einen Hauch (es sind immerhin die Go-Betweens!).

Zugegeben: Häufig wird das Instrument als Verlegenheits-Accessoire von Sängern benutzt, die während längerer Instrumentalpassagen nicht so recht wissen, was sie mit ihren Händen anfangen sollen. Doch gibt es genug Beispiele für den ebenso euphorisierenden wie sinnstiftenden Einsatz des Percussiongeräts. Mein liebstes „tambourine“ ist jenes, das bei Bob Dylans „Like A Rolling Stone“ zu hören ist. Immer wieder schreiben Journalisten beieinander ab, wie immens historisch doch der Schlagzeugauftakt jenes Liedes, wie charmant Al Koopers Orgelspiel oder wie revolutionär der Text des Stücks sei. Alles Quatsch: It’s all about the Schellenkranz!

Es ist eine wahre Freude, nur diesem Instrument durch das Lied zu folgen. Gespielt wurde der Part von Bruce Langhorne. Langhorne ist ein interessanter Vogel: Mit sieben Jahren verlor er zwei Finger der rechten Hand bei einem Unfall. Das hinderte ihn nicht daran, ein vielgebuchter Gitarrist zu werden, der auf zahlreichen Folk-Platten der frühen Sechziger zu hören ist. Doch beim Saitenzupfen allein mochte er es nicht belassen: Sein Spiel auf der türkischen Rahmentrommel soll Dylan zu der titelgebenden Figur von „Mr. Tambourine Man“ inspiriert haben. Was er sich da bei „Like A Rolling Stone“ zusammenklöppelt, ist göttlich! Später komponierte Langhorne die Musik für einige Peter-Fonda-Filme; 1992 gründete er eine Firma für scharfe Saucen, deren Kassenschlager eine Tunke namens Brother Bru-Bru’s African Hot Sauce sein soll. Ich finde, wer bei „Like A Rolling Stone“ mit dem Schellenkranz gerasselt und später eine Sauce mit dem Namen Brother Bru-Bru’s African Hot Sauce ersonnen hat, darf sich für den Rest seines Lebens entspannt zurücklehnen und sich allein dem Sammeln von Fotos leerer Papierkörbe widmen, falls dazu vor lauter Zurücklehnerei noch zeit sein sollte.

Der Pokal für die anmutigste Handhabung eines Schellenkranzes on film geht aber klar an Davy Jones, den Leadsänger der Monkees, beim von Drummer Micky Dolenz gesungenen Hit „I’m A Believer“. Es ist hier nicht weniger als die Einswerdung von Künstlerkörper und Instrument zu bestaunen – man sollte sich das sofort irgendwo im Netz anschauen. Manche werden womöglich der Meinung sein, Jones’ Darbietung alleine spräche schon hinreichend gegen die Verwendung von Schellenkränzen. Ich nicht. Ich verehre diesen Mann.

LOS ANGELES - AUGUST 1967:  Davy Jones, Mickey Dolenz, Peter Tork and Mike Nesmith on the set of the television show The Monkees in August 1967 in Los Angeles, California. (Photo by Michael Ochs Archives/Getty Images)
Davy Jones (zw. v. li.) und die Monkees.

Tun Sie sich einen Gefallen, liebe Leserinnen: Kaufen Sie sich einen Schellenkranz und tänzeln Sie fürderhin rasselnd durch die Tage. Und wenn Sie dazu keine Lust haben, kaufen Sie sich eben eine Flasche Brother Bru-Bru’s African Hot Sauce. Das Leben ist kurz.

Patrick Ford Redferns
Michael Ochs Archives Getty Images
Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates