Tattoo statt Ferrari

GARY NUMAN SITZT IN der Bar des Berliner Ramones Museums und fummelt an den Schriftzügen auf seinen Unterarmen herum. Neben ihm sitzt seine Frau Gemma, lächelt unter einem fröhlich-neonbunten Haarmop hervor und reicht ihm eine Salbe. „Die stinkt“, sagt Numan und grinst entschuldigend: „Neue Tattoos.“ Aus kalligrafischer Freude hat sich der gestandene Atheist in Farsi den Namen seiner Frau und eine Songzeile stechen lassen: „Wenn Gott ruft, sterbe ich für dich“.

„Zu verstehen, warum Leute glauben, ist nicht dasselbe, wie selbst glauben,“ meint der 55-Jährige, der auch auf seinem aktuellen Album, „Splinter“, nicht besonders versöhnt wirkt. Es ist prächtig laut, düster, aggressiv, voll originell kreischender, brummender und quietschender Elektronik. „Das hat nichts mit meinem Verhältnis zur Welt zu tun. Meine Inspiration kommt einfach immer aus dunklen Ecken. Wenn es mir gut geht, schreibe ich nicht, dann genieße ich den Tag.“

Derzeit, mit dem Album draußen und jeder Menge Leute von Zola Jesus bis Kanye West, die sein Loblied singen, geht es dem New-Wave-Helden meist sehr gut. Aber schiefgelaufen ist bis in die jüngste Zeit so einiges, zuletzt, als er 2006, nachdem sein vorletztes Album, „Jagged“, erschienen war, in eine Midlife-Depression stürzte. „Daher heißt das neue Werk im Untertitel auch ,Songs From A Broken Mind‘. Viele der Texte handeln verschlüsselt von der lähmenden Kälte, Dunkelheit und Angst während der Depression“, sagt er.

Dabei gehörte Numan um 1980 mit Hits wie „Are Friends Electric“ und „Cars“ nicht nur zu den Pionieren einer entschlossen und radikal künstlichelektronischen Popmusik. Er wurde in Großbritannien auch zu ihrem ersten teenpostertauglichen Star -und dafür leidenschaftlich angefeindet. „Die Post-Punk-Haltung beruhte ja noch immer auf Anti-Establishment und Anti-Heldentum. Und da kam ich und wollte Popstar sein“, lacht er. „Ich habe einen Ferrari! Wie super! Ich habe mich nicht besonders geschickt angestellt.“ Dazu kam, dass er sich zum Schutz vor der Unsicherheit wegen seines Aspergersyndroms nicht nur auf der Bühne als unnahbarer und kühler Numanoid präsentierte. Und dann erzählt er, wie er sich aus dem gleichen Selbstwertmangel immer weiter ins Aus produziert habe, bis er 1992 ratvertrags-und geldlos akzeptierte, nur noch Hobbymusiker zu sein. Die Hilfe seiner Frau und neue, härtere elektronische Musik von Depeche Mode bis zu Nine Inch Nails bescherten ihm in letzter Zeit wieder die Aufmerksamkeit von Fans wie Trent Reznor und Marilyn Manson. „Es war Glück. Ein paar Jahre zuvor hätte das den Blick darauf gelenkt, dass ich scheiße war.“

Numan ist der sympathischste Gesprächspartner, den man sich vorstellen kann: offen, reflektiert, humorvoll, und dabei mitnehmend begeistert von den immer wieder neuen, fiesen, unerhörten Sounds, die er in der Elektronik findet. Diese Lust hört man auf „Splinter“ ebenso wie die Stärke, die er mittlerweile in den eigenen Schwächen erkennt.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates