The Nits – „dA dA dA“

Ein Bekannter klagte neulich über die Handhabung berühmter Musiker in durchschnittlichen Plattenläden. Der Versuch, die eigentlich fast überall nachgeschmissene LP „Blonde On Blonde“ von Bob Dylan zu erwerben, scheiterte alleine an der Tatsache, dass Dylan sehr viele Platten veröffentlicht hat, und sich darunter ebenfalls sehr viele als „Hits“ deklarierte Stücke befinden. Folge: Im Dylan-Fach (immerhin) befanden sich ausschließlich „Greatest Hits“-Zusammenstellungen, aber kein einziges Original-Album. Mein Freund hat sich „Blonde On Blonde“ dann in diesem verrückten 24-Stunden-Shop namens Internet bestellt. Da gibt es ja angeblich alles. Sogar Vinyl.

Bei den Nits würde man mit dem Problem derartiger Kopplungen kaum konfrontiert werden. Vielmehr gibt es in dem Großteil der entsprechenden Läden de facto kein einziges Album dieser Gruppe zu kaufen. Aber suchen Sie mal nach fragwürdigen Kompilationen à la „One Hit Wonders“ oder „Hits Of 1987“. Dort ist sicherlich mit „In The Dutch Mountains das einzige, etwas bekannter gewordene Stück der Holländer zu finden. Ein kleiner kommerzieller Erfolg immerhin, samt antreibender Melodie und einem amateurhaftem, dadurch nicht uncharmantem Text. Holland, eine vielleicht merkwürdige Heimat, besungen in der nicht minder merkwürdigen Wahrnehmung von Henk Hofstede: „I met a woman in the valley of stone/ She was painting roses on the walls of her home/ And the moon is a coin with the head of the queen/ Of the Dutch mountains”. Kopfgebilde eben, oder aber dem ehemaligen Kunststudenten Hofstede ist einfach nichts Blöderes eingefallen. „Nits“ bedeutet auf Deutsch übrigens so etwas wie „Lauseier“. Ich mag die Musik der Band „Lauseier“.

Es gibt viele gute und sehr wenig mäßige Platten der Nits. Sie erinnern fast alle an eine kleine, etwas verträumte Vernissage eines Künstlers, dessen vielleicht nur mittlere handwerkliche Begabung durch seinen rührenden Hang zum Träumerischen locker wieder ausgeglichen wird. Das Archiv benennt „Henk“, Kilo“, „Giant Normal Dwarf“ sowie „Ting“. Die orchestralen Neubearbeitungen auf „Hjuvi: A Rhapsody In Time“ und das Live-Monument „Urk“. Alles von Wert. Auf „Wool“ behandelte Hofstede mit seinen Freunden ganz ungezwungen zwölf Lieder lang den Tod mit all seinen Nebenschauplätzen. Man musste die Textmotive freilich wieder von allem Profanen befreien, und wusste doch, dass hier jemand das Richtige dachte.

„dA dA dA“ zeigte die Band trotz mehrer Umbesetzungen in einer sehr ausgeglichenen Verfassung. Die Songs erinnerten im Gegensatz zu früheren Aufnahmen weniger an XTC und die Talking Heads, sondern waren das, was man hinsichtlich Komposition und Instrumentierung für gewöhnlich mit dem Attribut „Reif“ versehen mag. Die Texte lasen sich indes noch immer dergestalt, dass zwischen gut gemeint und gut gemacht bisweilen ein ziemlicher Gegensatz lag. Zum Beispiel „Dreams“: Kompostion schwelgerisch, textlich leider Banane („I’m fourty one and in a month/ I’m fourty two/ I’m still with you“). Und dann: “Ho lo lo lo di do lo do”. Ähnlich, na sagen wir mal, kurios, geht es auch in “What We Did In Our Holidays” zu: “Romeo an Juliet/ Were lying on the bed and they say/ They killed them on the street today”. Man wollte meinen, Leser der mittlerweile eingestellten “Jetzt“-Beilage der Süddeutschen Zeitung hätten einen Lyrik-Wettbewerb ausgerufen.

Zu Tränen gerührt hat mich dann aber wirklich „Mourier Avant 15 Ans“. Die Geschichte ist natürlich wieder simpel strukturiert. Aber wieso sollte Hofstede nicht in einen Raum voller Kinderphotographien treten, die daran erinnerten, dass all diese Kinder in einem Krieg ums Leben gekommen sind und keines von ihnen älter als 15 Jahre wurde. Dann fühlt sich der Sänger plötzlich „smaller than the coin in my hand“ und muss mit den Tränen kämpfen. Das Stück lebt von einer sehr schönen Melodie und dezent eingesetzten Harmonies – und deswegen ist das Packende hier einfach mal simpel, aber höchst passend gestrickt. Sollen die Anderen doch weinen, wenn Thom Yorke mal wieder an einer Zitrone nuckelt.

Vielleicht liegt das Faszinierende an diesen Songs in der eigenartigen Stimmung, die die Nits auf dieser und auch anderen Platten erzeugten. Als sei man in einer Gruppe von Freunden aufgenommen worden, die Tee brühen anstatt Bier zu kippen, schlechtes Wetter mögen und dazu noch wissen, wer David Schneuer ist. Im Booklet sind Fotos abgebildet, die die Band zeltend neben einem Lagerfeuer zeigt. Ein friedliches, fast zu wohliges Szenario. Mittendrin Hofstede, Typ bartloser Erdkundelehrer. Dem es an Ironie allerdings nicht fehlte: „The words of this song were improvised during the recording and will make no sense on paper” heißt es in den Linernotes zum Stück “Billbao Bao.” Na so was.

Natürlich sind die Nits schon immer eine Kunstband gewesen. Der Verkaufserfolg „In The Dutch Mountains“ störte da fast schon, weil die Gruppe kein Freund falscher Aufmerksamkeit ist. Feingeister also, die jedoch immer weit davon entfernt waren, sich als bloße Klanginstallation ohne Wertschätzung für Melodie und Instrumentierung zu sehen. Die vier Coverelemente (Schmetterling, Küken, Maikäfer und Ente) dienten jeweils auch einer von vier EPs als Motiv. Das Küken fehlt mir noch.

Columbia, 1994

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