Tötet Sergeant Pepper!

Meisterwerke der Pop-Geschichte? Ach was! Musiker nominieren Alben, die allgemein als Klassiker des Pop gelten, für die "Akademie der Überschätzten"

NIRVANA: Nevermind Nominiert von Wayne Coyne, Fläming Lips Besser man ist überschätzt als unterschätzt. Und dass „Nevermind“ überschätzt ist, dafür können die Musiker nichts – daran sind die Öffentlichkeit oder die Kritiker schuld. Aber es überfällt einen nie plötzlich die Sehnsucht, dieses Album zu hören. Weil es so viele mediokre Nachahmer gab und gibt, dass man den Sound eigentlich ohnehin ständig im Ohr hat. Ich lege „Nevernind“ nie auf und denke: Was für eine tolle Produktion, was für tolle Songs. Es hatte einen schädlichen Einfluss, es legitimierte Leiden. Cobains Heiligenschein überstrahlt die Platte: Seine Texte, sein Attitüdenwahn und seine Nabelschau waren kaum vom I mage der Band zu trennen. Man hört nie einfach nur die Platte. Ich finde „Bleach“ und „In Utero“ besser. Selbst das Cover ist billig: Der Dollarschein wirkt doch wie einmontiert. Hätten Alice In Chains das gemacht, dann hätten wir’s fü r einen Witz gehalten, aber weil es von Nirvana kam, fanden wir’s achso-schlau. Wer heute „Nevermind“auflegt und irrsinnig eigenwillige Musik erwartet, so wie ein Teenager das vielleicht tut, der wird enttäuscht werden: „Was ist das denn, die klingen ja genau wie Nickelback? Wovon singen diese Drogenfreaks?“

2PAC: Nominiert von Mark Ronson, Produzent Tupacs erfolgreichste Platte gilt unter Rap-Fans als größtes HipHop-Album der jüngeren Geschichte. Ich habe den Kult um Tupac nie verstanden. Klar, der Mann hat viel gelitten, aber er hat nie irgendwas besonders Schlaues gesagt – da war Notonous B.I.G. ungleich besser. Natürlich wird niemand bezweifeln, dass Tupac real war – es wurde neun Mal auf ihn geschossen, das reicht ja wohl, und mit der Arbeit an diesem Album begann er wenige Stunden nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis -, aber an Biggie kommt er nicht ran. Auch die Produktion von Dr. Dre finde ich nicht so toll. Dummerweise war Tupac handwerklich so gut, der schrieb ja5O Songs an einem Wochenende. Vielleicht wusste er, dass er sterben würde, und nahm deshalb so unermüdlich auf. Tupac sitzt jedenfalls nicht da oben neben Dylan. Dylan war ein großer Poet. Und der Dylan des Rap ist wahrscheinlich Eminem. Tupac klang immer nur, als würde er jammern.

THE POLICE: Outlandos d’Amour Nominiert von Ekimas. Erdmöbel Ich weiß es noch wie gestern. Dawaren alle Jazz-Rock-Fans total erleichtert, dass es eine „Punk“-Band gab, die virtuos ihre Instrumente beherrschte. Super-Fusion-Instrumentalisten, die zum „echten“ Popsong zurückgefunden hatten, komplizierte und pseudoinnovative Musik mit eingängigen Melodien. In der Punkzeit war das eigentlich so reaktionär wie die Dire Straits und auch deswegen ähnlich erfolgreich. All die frustrierten Gitarren- und Schlagzeugschüler hatten endlich den Sinn des Lebens wieder entdeckt. Die kollektive Erleichterung war so groß, dass man völlig übersah, wes Geistes Kind dieser Sting schon damals war: ein völlig und zu Unrecht von sich eingenommener gescheiterter Lehrer mit messianischem Selbstverständnis. Altkluger Mist, diese Songs. Damals wie heute. „Roxanne,you don’t have to wear that dress tonight“ – das ist in erster Linie kitschig, oder?

THE STONE ROSES: The Stone Roses Nominiert von Eddie Argos, Art Brut Die Stone Roses sind sowas von überschätzt. Und sie haben „Scarborough Fair“ gecovert. Mir ist unbegreiflich, dass ihre Platten immer noch in Clubs aufgelegt werden, das macht mich richtig wütend. Wenn ich betrunken bin, lege ich mich dann meistens mit dem DJ an. Die Stone Roses waren eine schreckliche Band. Sie hatten kein Charisma, ihre Texte sind Unsinn und die Musik ist öde. Und dann sind sie auch noch schuld an Oasis, wobei Noel Gallagher wenigstens lustig ist und Liam ein bisschen ein Popstar. Bei den Stone Roses muss ich an Leute denken, die älter sind als ich und mit Topfschn itt und aufgesetztem Manchester-Akzent große Reden schwingen. Da kriege ich Ausschlag. Es ist ein Witz, dass diese Platte stets ganz oben in diese Listen Marke „100 Greatest British Albums Ever“ gewählt wird. Die Stone Roses haben eine neue Proleten-Popkultur geschaffen.

THE BEATLES:

Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band

Nominiert von Billy childish

Ich war ein großer Beatles-Fan – mit vier hatte ich eine Beatles-Perücke und eine Beatles-Gitarre. Trotzdem: „Sgt. Pepper“ war der Tod des Rock’n’Roll. Rock’n’Roll muss Lebendigkeit und Energie haben, und diesem Album fehlt beides.

Eher klingt’s, als hätte es sechs Monate gedauert, es rauszuscheißen. Die Beatles waren Opfer ihres Erfolgs. Das hier ist Mainstreammucke für Klempner. Oder für Leute, die Citroen fahren – die Business Hippies, die die Rockmusik ruiniert haben. Das Hauptproblem ist Sir Pauls rührselige Besessenheit von sich selbst und seinem Dickens’schen Elend (Paul McCartney ist der düstere Beatle, nicht John Lennon, weil er so deprimierende, unheimliche Musik schreibt). Es klingt wie ein Sonntag vor der Schule, der ewig dauert. Und wenn McCartney versucht, gut gelaunt zu sein, dann klingt es aufgesetzt, als stünde ein Clown im Zimmer. Das Beste an dem Album war derbeigelegte Pappbogen mit Medaillen, einem Anstecker und einem Schnurrbart. Jedenfalls: Dies ist nicht das größte Album aller Zeiten, es ist vielmehr das schlechteste, das die Beatles bis dahin R&R

gemacht hatten. Sogar „Live At The Star Club“ schlägt es um Längen.

THE STROKES: Tft 5 Mt Nominiert von Ian Williams, Battles Die Strokes waren einfach ein paar reiche Kids aus Uptown New York, die Söhne von Supermodelagentur-Chefs, die glaubten, allein dafür hätten sie schon Respekt verdient. Durch sie wurde plötzlich der ältere Downtown-Punkrock vom System geschluckt. Wenn es einen Moment gab, an dem Gucci und Rebellion verheiratet wurden, dann diesen. Im Grunde waren die Strokes verantwortlich für fünf Jahre einer neuen Form von Haarspray-Heavymetal, nur als etwas Geschmackvolleres getarnt. Ihre Musik ist Post-9/11-Partymusik, weil das Album in genau der Woche erschien und alle tanzen wollten. In England gelten sie als die Auferstehung des Rock – aber das ist eine sehr konservative, altmodische Vorstellung von Rock im 21. Jahrhundert. Und was ihre angeblichen Punk-Wurzeln betrifft – ich will jetzt keine Authentizitätspunkte vergeben, aber… Die Strokes sind die neuen Duran Duran, die neue Dekadenz fürs neue Jahrtausend.

CAPTAIN BEEFHEART AND THE MAGIC BAND: Trout Mask Replica Nominiert von Peter Hook, Ex-New Order Steve Morris, der Drummer von New Order, war ein großer Fan dieser Platte, aber ich fand Beefheart immer unerträglich langweilig. Ich gab mir redlich Mühe, das Album zu mögen, aber irgendwann musste ich aufgeben. Sagen wir’s mal so: lan Curtis hatte es leichter, uns von den Doors zu überzeugen. „Trout MasReplka“ war kein Werkeines ungeschulten Genies, es war ungeschulter Scheiß. Wenn man als Musiker anfängt, dann versuchen einen die Leute mit Musik wie dieser zu bilden, aber den Reiz von Beefheart hab ich nie kapiert. Ich kam jedenfalls nicht bis zur vierten Seite. Dabei gibt es auch viele Platten, bei denen ich kapituliert habe, außer „Metal Machine Music“ von Lou Reed und eben „Trout Mask. Replica“. Es klang, als würde sich jemand lustig machen. Andererseits war ich auch nie ein großer Jazz-Fan, und diese Platte bewegte sich auf der egoistischen Seite des Jazz. Sie klingt, als hätte man die falschen Drogen genommen – als ginge man auf Speed zu einer Haschparty. Ich hörte sie mit dem Kopf in den Händen. Die meisten Post-Punk-Bands schätzten „Trout Mas…“ für die eigenwilligen Rhythmen und Songstrukturen

aber das waren eh Scheißbands, oder? Ich hätte das Albumjedenfalls nicht ganz vorn an meinen Plattenstapel gelehnt, um Besucher damit zu beeindrucken – ich hätte es ganz nach hinten sortiert, zu den Platten von Alvin Stardust und den Bay City Rollers, die mir der Plattenclub schickte, in dem ich damals war.

TELEVISION: Marquee Moon Nominiert von Alex Kapranos, Franz Ferdinand Von uns denkt man immer, wir müssten Television lieben, und Gang Of Four, und seien von ihnen beeinflusst. Tun wir nicht und waren wir nie! „Marquee Moon“ ist eine Platte, von der ich selbst immer dachte, ich fände sie toll, aber nach ein paar Jahren merkte ich, dass das gar nicht stimmt. Nur die ersten zehn Takte des Titelsongs sind echt erstaunlich. Wie da die Gitarren aufeinander reagieren, dann diese mächtige Kaskade von Drums – das ist unglaublich. Dann schweift man ab. Als ich die Nadel von dieser Platte nahm, merkte ich, dass ich gar nicht zugehört hatte. Aber was mich wirklich ärgert, ist, wie hochtrabend darüber geredet wird, das ist ein Standard in Studentenheimen. Alle schwärmen von „Marquee Moon“, dabei ist es nur deshalb so populär, weil es halt ein Prog-Rock-Album ist, das man mögen darf. Nur weil die Wörter „Punk“ und“New York“ und „1977“ damit verbunden sind, gilt es als cool. In Wahrheit sind Television eine Entschuldigung fürLeute, die 20-minütige Gitarrensoli mögen. Sie waren die Grateful Dead des Punk, und ich hab dieses Gejamme immer gehasst. Sie haben den Ethos einer Jam-Band, aber dabei eben diese New-York-Ästhetik. Tom Verlaines Texte haben mich auch nicht sonderlich beeindruckt. Mir wird immer unbehaglich, wenn Sängersich als Dichter sehen – dann wird’s schnell aufgeblasen und prätenziös. Aber ich muss aufpassen: Einmal hab ich was über Jim Morrison gesagt, über seine Pseudo-Poesie, und sofort standen Artikel im Internet: „Kapranos macht Morrison schlecht!“

PINK FLOYD:

The Dark Side Of The Moon Nominiert von Tinder Singh, Cornershop Das Album ist eine Art Laborversuch, durchgeführt von Schals tragenden Studenten. Und es hat ja schon eine gewisse Ironie, wenn sich ein Song wie „Money“ gierige Konzerne vorknöpft und das Album dann so viel Geld einspielt. Ebenso ironisch ist, dass diese superreichen Elite-Progmusiker sich gegen die Maschinerie von Geld und Macht stellen. Mit ihren Lightshows, mit der ganzen Elektronik und all den Weißkitteln in ihrem Tross sind sie doch selber Teil der Maschinerie. Ich mochte die frühen Sachen, die Pink Floyd mit Joe Boyd aufgenommen haben, aber „DarSide…“ ist ein aufgeblasenes Konzeptalbum, das den Punk wirklich bitter nötig machte. Es sagt: „Was für eine verrückte Welt!“ und,A“e spinnen!“. Es soll vom Geist Syd Barretts inspiriert sein, Gott hab ihn selig. Ich staune, dass es zum Pantheon gezählt wird, weil ich überhaupt keinen Wert darin entdecken kann. Auch die Texte sind banal, da steht nicht mehr drin als „Gier ist schlecht“. Radiohead sind die Pink Floyd des 21. Jahrhunderts, das sagt doch schon alles.

ARCADE FIRE: Neon Bible Nominiert von Green Gartside, Scritti Politti Die zahlreichen Fans dieses Albums werden denken, ich hätte was mit den Ohren, und es mag ja sein, dass es nur an meinen ganz persönlichen Mängeln liegt, aber: Ich höre in Arcade Fire nichts als eine geballte Menge Manierismen, Klischees und Kunstgriffe. Ich finde die Musik absolut unattraktiv, hässlich im Sound, harmonisch und melodisch stumpfsinnig, bombastisch und melodramatisch – und die Rhythmen sind total plump. Ich finde die Texturen monoton, und diese altmodischen, ätzenden 8oer-Jahre-Beats und Achtel-Basslinien genauso. Und Win Butler setzt beim Singen immer die gleichen Stilmittel ein: Erst wackelt die Stimme, dann schreit er, dann flüstert er, und wahrscheinlich gefällt den Leuten ja Wackeln und Schreien und Flüstern – die denken, das zeige echtes Gefühl. Es entspricht einer bestimmten Vorstellung von ungefilterter Emotion. Autofreaks mögen sowas. Aber eigentlich ist es nur flau und unschön. Das Album und die Reaktionen darauf repräsentierten eine Auffassung von Ausdruck und Echtheit, die ich nicht teile. Der Kampf gegen nicht-rekonstruierte Rockmusik geht weiter.

THE BEAGH BOYS: Pet Sounds Nominiert von Luke Pritchard, The Kooks Von allen Alben, die als „Klassiker“ gelten, hat es dieses am wenigsten verdient. Allerdings: Es ist einer der tollsten Songs aller Zeiten drauf, „God Only Knows“ — melancholisch und doch auftauend, rein und doch fucked-up. Aber der Rest der Platte ist eine totale Enttäuschung. „Pet Sounds“ ist Millionen Meilen entfernt von “ Sgt. Pepber“ oder „The Darb Side Of The Moon“. Ich weiß die Texte zwar zu schätzen, und ich weiß, dass es ein Album übers Altern ist, aber aus den Songs wird nicht wirklich ein Konzeptalbum. Schöne Melodien, klar, und „Wouldn’t It Be Nice“ ist ein prima Popsong – aber die meisten anderen Tracks sagen mir überhaupt nichts. Ach ja, und “ Pet Sounds“ hat von allen berühmten Alben der Geschichte das mieseste Cover. Fütterstunde im Zoo -also ehrlich.

THE SMITHS: Meat fs Murder Nominiert von Jackie McKeown, 1990s Ich bin ein Smiths-Fan und mag die meisten ihrer Platten, aber dies ist das schwächste Glied im Kanon. Beim Debüt und bei „The Queen Is Dead“ waren Morriseys Texte wie Seiten aus demselben Buch, Bei „Meat Is Murder“ dagegen scheint er sich vorher eine Liste mit Themen gemacht zu haben. Es war ein Protest album, womit die Vorstellung von Morrissey als Romantiker erledigt wäre. Das cool gemeinte Coverbild von dem Typen mit „Meat Is Murder“ auf dem Helm ist plump. Und der Titelsong ist schlicht ärgerlich, nicht zuletzt wegen des fetten Schlagzeugsounds und dieser ganzen 8oer-Jahre-Produktion, die klingt wie Huey Lewis & The News. Morrisey fehlte es ganz offenbar an Frechheit und Selbstvertrauen, als er diese Songs schrieb. Fürs erste Album hatte er Jahre lang in seinem Zimmer gesessen. Beim zweiten verfiel er in Panik und zeigte mit dem Finger auf Schullehrer oder dachte sich Sachen aus wie „Herrjeh, jetzt überfallen uns die Schläger aus Rusholme“. Bei „Barbarism Begins At Home“ kommen die Jazzfunk-Studiomusiker-Wurzeln der Smiths durch – man sieht förmlich die hochgekrempelten Jackettärmel. Genau sowas hat Morrissey doch immer gehasst. „Meat Is Murder“ ist Politrock für sexlose Studenten. Wie wenn man mit der gesamten Sozialistischen Arbeiterpartei der Manchester University im Aufzug stecken bleibt.

THE DOORS: LA Woman Nominiert von Craig Finn, The Hold Steady Wenn man in Amerikaaufwächst, dann kriegt man die Doors vorgespielt, sobald man anfängt, auf Partys zu gehen und Gras zu rauchen. Morrison gilt immer als großer Rock’n’Roll-Poet, aber ich kann die Songs nicht ertragen. Die Musik wird breitgetreten, und Morrison war eher ein betrunkenes Arschloch als ein intelligenter Dichter. Am schlimmsten ist der letzte Song, „Riders On The Storm“: „There’s a killer on the road/ His brain is squirming like a toad“ – das ist doch wohl die schlechteste Zeile der Rockgeschichte. Morrison hat einer ganzen Generation von Pseudos grünes Licht gegeben. Er bekam ständig erzählt, was für ein Genie er sei, also hat er’s irgendwann geglaubt. Die Velvets hatten Nihilismus und Dunkelheit so viel besser drauf – die verstanden sich auf Understatement, die konnten subtil sein. Die Doors waren eher eine Karikatur der „dunklen Seite“. Ich mag L. A., aber die Doors repräsentieren die fette, aufgedunsene, exzessive Seite der Stadt. Morrisons Tod gab der Rockmusik ein mythisches Renommee, aber die Musik will ich mir deswegen nicht anhören.

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