Tom Jones – „Mein Image überragte mein Talent“

Tom Jones über offene Hemden, Training im Pub und das Verknalltsein in Songs

Tom Jones, 71, sieht aus wie ein zwielichtiger Nachtclubbesitzer aus einem Guy-Richie-Film, der beim Vertrimmen von Gegenspielern gern noch selbst Hand anlegt. Doch er muss nur einmal breit grinsen, und man weiß, dass sich mit diesem Mann plaudern lässt. Obwohl der Entertainer Jones ein mit allen Wassern gewaschener Profi ist, ist deutlich zu spüren, dass seine Liebe immer noch ganz der Musik gilt. Und dass er selbst Fan geblieben ist.

Mr. Jones, Ihr neues Album „Spirit In The Room“ wurde wie der Vorgänger vom Americana-Spezialisten Ethan Johns produziert. Da Sie eher üppig instrumentierte Sessions gewöhnt sind: War es schwer für Sie, sich auf ein so sparsames Setting einzustellen?

Nein, denn genau so habe ich ja angefangen. Als ich zu Beginn der Sechziger in walisischen Pubs sang, hatte ich ja auch keine große Backingband. Ich spielte damals eben mit jedem, der ein Instrument halten konnte.

Auch mit Jack White haben Sie kürzlich gearbeitet …

Ach, Jack! Großartiger Kerl. Und ein absoluter Enthusiast! Wir haben eine Single gemacht – an einem einzigen Nachmittag! Sogar die Coverfotos sind am selben Tag entstanden. Bei Jack liegt alles nebeneinander: Aufnahmestudio, Fotostudio, ich glaube, er kann da sogar Platten pressen. Ich war mit meinem Sohn und meiner Schwiegertochter da und habe nur noch geschwärmt: Ach, warum kann es nicht immer so sein!

Sie haben im Lauf Ihrer Karriere fast ausschließlich Fremdmaterial gesungen. Verhält sich ein Interpret wie Sie zum Song wie ein Schauspieler zum Drehbuch?

Exakt. Ich sehe immer zu, dass ich Songs bekomme, bei denen ich etwas „spielen“ kann. Ich sage meinen Leuten immer: Bringt mir gute Lyrics! Aber am liebsten entdecke ich die Sachen selbst. Ich brauche einfach diesen aufregenden Moment, wenn ich einen Song höre oder einen Text lese und denke: Der ist es! Das ist ein Teil dieses Geschäfts, den ich absolut liebe. Dieses Sich-in-einen-Song-Verknallen.

Müssen Sie sich in einem Song denn immer persönlich wiederfinden können?

Es hilft doch sehr. Nehmen Sie Leonard Cohens „Tower Of Song“, den ich auf meinem neuen Album singe. Was für ein Text! Allein die ersten Zeilen: (singt) „Well my friends are gone and my hair is grey/ I ache in the places where I used to play.“ Das bin ich – genau so liegt der Fall bei mir! Meine ganzen alten Kumpel aus Wales sind tatsächlich alle tot, meine Haare sind grau, und die gelegentlichen Wehwehchen … jungejunge.

Hat man Ihnen auch schon mal einen Song vorgelegt, mit dem Sie überhaupt nichts anfangen konnten?

Klar, selbst einige meiner größten Hits waren mir anfangs fremd. „What’s New Pussycat“ etwa: Was für ein komplett bescheuerter Text! (singt) „Pussycat, Pussycat/ I’ve got flowers/ And lots of hours/ To spend with you/ So go and powder your cute little pussycat nose.“ Ich habe damals wirklich lautstark protestiert und mich geweigert, diesen Text zu singen. Er war ja immerhin von Hal David, der sehr gute Sachen schrieb. Das war schon eine Herausforderung, einen Ton für diesen Song zu finden, ohne wie ein Idiot zu klingen.

Auf Ihrem Live-Album „Live At Caesar’s Palace“ aus den frühen Siebzigern wird mindestens so sehr mit den Damen im Publikum geflirtet wie gesungen! Einmal trinken Sie sogar Champagner aus dem Schuh einer Zuschauerin.

Stimmt. Humor ist sehr wichtig bei dem, was ich mache. Ich liebe es, Witze zu reißen, das gehört in meinem Geschäft einfach dazu. Ich will ja alle Gefühle abdecken, deshalb reiße ich vor traurigen Balladen gern ein paar Witze. Adele macht das heute auch nicht anders. Ich habe sie hier im Roundhouse gesehen: Eben noch macht sie einen Gag, im nächsten Moment haut sie dich mit einer tieftraurigen Ballade um.

Ich glaube, auch das habe ich in den walisischen Pubs gelernt. Das war das härteste Training, das ich erfahren durfte: Man bekommt da die Zwischenrufe nur so um die Ohren gehauen. Und wenn einem da nicht zu allem in Sekundenschnelle etwas einfällt, sieht man ganz schön alt aus. Einfach nur „Fuck you!“ zu brüllen, wäre schlimmer gewesen, als heulend rauszulaufen.

Wo wir schon bei Ihnen als Bühnenfigur sind: Haben Sie die Tom-Jones-Figur, den witzelnden Frauenaufreißer, manchmal auch überzogen?

Manchmal, ja. Aber wenn man es übertreibt, fällt es auf einen selbst zurück. Ich musste mich natürlich nicht wundern, wenn mir irgendwann sogar bei den wirklich ernsten Songs die Damenslips um die Ohren geworfen wurden – ich stand ja schließlich da und hatte das Hemd bis zum Bauchnabel auf! Das hat mir eine Weile sicher sehr geschadet. Irgendwann hat mein Image einfach mein Talent überragt.

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