Tom Waits: Toms wilde Jahre

Die Luft um ihn herum biegt sich so, wie er will: Tom Waits, der im Dezember 57 Jahre alt wird, ist ein Meister der Masken, ein Herr der Hinkebeine, ein schauspielernder Scharlatan - und einer der größten Songwriter überhaupt. Eine Karrierebilanz mit koffeinfreiem Kaffee.

Es war Tom Waits‚ Idee, dass wir uns in einem Rasthaus treffen sollten. Nicht in irgendeinem Rasthaus, sondern dem ältesten in Kalifornien. Früher war hier mal ein Bordell untergebracht, und das Rot, in dem das verwitterte Holzhaus gestrichen ist, erinnert an halb rohe Steaks.

Waits mag Rasthäuser, weil sie „gleich neben der Straße liegen und man einen Parkplatz vor der Tür kriegt“. Damit man notfalls schnell die Fliege machen kann? ,Ja, genau“, nickt er. „Weil es ein gutes Gefühl ist, sofort aufs Pferd springen und abhauen zu können. Dasselbe mit Motels, da will ich immer ein Zimmer im Erdgeschoss. Der Laden kommt nur in Frage, wenn ich direkt neben der Tür parken kann.“

Und genau dort hat Waits geparkt, als er – unter den prüfenden Blicken von vier Bier trinkenden Farmern – in die Bar marschiert, ein großes Notizbuch und eine braune Papiertüte im Arm. Die Tüte bekomme ich (sie enthält selbst angebaute Tomaten aus seinem Garten), das Notizbuch behält er fest in der Hand. Erwählt einen Tisch neben dem Fenster, gut für schnelle Abgänge, und bestellt koffeinfreien Kaffee.

Waits hat gerade ein neues Album festgestellt. Es heißt „Orphans“, aber eigentlich sind es drei voneinander unabhängige Alben, die dennoch eine Einheit bilden. Ein bisschen wie die heilige Dreieinigkeit. Die 56 Songs-3oneu, der Rest Raritäten, Outtakes, liegengebliebenes Material – sind auf drei thematisch getrennte CDs verteilt: „Bawlers“ (sentimentale Balladen), „Brawlers“ (Blues, Gospel und ein wenig alter Rock’n’Roll) und „Bastards“ (die schrägeren Sachen, düstere Bänkelsänge, Rezitationen und Märchen der etwas anderen Art). „Als wir versuchten, die Sachen zu mischen, erschien uns das so schizophren, dass wir es lieber zu Haufen zusammenordneten. Die drei Kategorien waren die Idee meiner Frau“, sagt Waits und meint Kathleen Brennan, mit der er seit einem Vierteljahrhundert verheiratet ist und immer noch auf einem Stückchen Land am Rande von Petaluma lebt (für Faktensammler: Petaluma war früher die „Eierhauptstadt“ der USA und ist Schauplatz des Films „American Graffiti“). Als ich frage, welcher Titel am ehesten dem entspricht, was er morgens im Rasierspiegel sieht, antwortet er: „Bastard“. Doch wenn es darum geht, die Essenz von Tom Waits‘ Leben und Musik in wenigen Worten zusammenzufassen, sind diese drei Bs schwer zu toppen.

Einer der Männer an der Bar hat eine Münze in die Jukebox geworfen, so dass Tom Waits‘ frühe Kindheitserinnerungen von John Fogertys „Have You Ever Seen The Rain“ begleitet werden. Zur Welt kam er im Dezember 1949 im südkalifornischen Panoma, nahe der mexikanischen Grenze. „Früher war ich oft in Mexiko“, sagt er, „aber jetzt nicht mehr.“ Das erste Lied, an das er sich bewusst erinnert, war Marty Robbins‘ „El Paso“. Tom war neun Jahre alt, als der Song an die Spitze der Charts kletterte. „Mein Dad liebte Marty Robbins. Aber weil er Spanischlehrer war und nichts hören wollte, was nicht spanisch war, ging er los und holte sich die Mariachi-Version der Platte. Wenn Mariachi-Musik im Radio kam, tickte mein Dad regelmäßig aus, er fing dann richtig an zu zittern. Deswegen durften wir fast nie normale Radiosendungen hören.“

Das klingt ein wenig puristisch, merke ich an, ein bisschen wie ein Vater, der Latein unterrichtet und seine Kinder nur die Messe hören lässt. Aber Waits eilt seinem Erzeuger zu Hilfe: „Er ist in den Orangenhainen von Laverne und Panoma aufgewachsen, dort lernte er schon als Kind Spanisch, sang mit den Wanderarbeitern am Lagerfeuer und schÜef unter den Orangenbäumen. Das war tief in ihm verwurzelt.“

Sein Vater sang aber nicht nur, sondern spielte auch Gitarre, und der kleine Tom „lernte all diese mexikanischen Volkslieder von ihm, und Woody Guthrie, weil mein Vater aus Texas stammte. Wenn wir mit. ihm in Mexiko in ein Restaurant gingen, holte er die Mariachis an den Tisch, gab ihnen zwei Dollar für einen Song – und dann sang er mit ihnen und verschwand irgendwann mit ihnen und wir mussten den Weg zurück zum Hotel allein finden. Er selbst tauchte einen Tag später wieder auf, weil er auf einem Hügel gesessen und auf die Stadt runtergeguckt hatte und darüber eingeschlafen war.“

Ein romantisches Bild, das er da zeichnet.

„Sehr romantisch. Aber es gibt auch jede Menge Geschichten, in denen er nicht so gut wegkommt. Er war ein zäher Socken, mein Papa. Ein Rebell, der einen Rebellen großzog.“ Sein Vater verließ die Familie, als Tom elf Jahre alt war. Aber Tom rebellierte nicht, jedenfalls nicht offen. Er hörte weiterhin die Platten, die sein Vater gehört hatte: „Harry Belafonte, Harold Arlen Jerome Kern, Johnny Mercer, die Gershwins, Hoagy Carmichael, all diese Leute. Wahrscheinlich traute ich dem Geschmack meiner Eltern so weit, so dass ich keinen Drang verspürte, ihren Helden den Rücken zu kehren. Ich wollte schon damals ein alter Mann sein. Im Fernsehen schaute ich mir auch nur alte Knacker an, Leute wie Ed Sullivan, Alfred Hitchcock, Jack Benny oder George Burns. Das hinterließ seine Spuren.“

Als die Pubertät einsetzte, war Tom Waits überzeugter Gerontophiler. „Ich trug den Hut meines Großvaters, lief mit seinem Stock rum und bemühte mich, so tief wie möglich zu sprechen. Ich wollte unbedingt alt sein. Die Musik, die ich als Teenager hörte, war Alte-Leute-Musik.“ Der kometenhafte Aufstieg der Beatles – er sah sie damals in der „Ed Sullivan Show“ – ließ ihn ziemlich kalt: „Alles Neue und Junge war mir irgendwie suspekt.“ Wie seine Klassenkameraden schaltete er das Radio ein, wenn Wolfman Jack kam, aber von den Platten, die der DJ spielte, interessierten ihn am meisten die alten Haudegen wie Little Willie John und Sister Rosetta Thorpe.

War das nicht eine merkwürdige und isolierende Haltung im Kalifornien der 6oer Jahre, in dem die Jugendkultur gerade Fuß fasste?

„Ich war in vielen Dingen ein bisschen rückwärtsgewandt. Kann sein, dass das etwas mit Respekt zu tun hatte. Nachdem mein Vater gegangen war, wurden ältere Musiker vielleicht so etwas wie Vaterfiguren für mich. Louis Armstrong, Bing Crosby, Nat King Cole, Howlin’Wolf. Damit habe ich mich noch nie richtig beschäftigt, aber vielleicht fehlte mir damals ein bisschen elterliche Fürsorge.“

Ich frage, ob er mittlerweile in den Tom Waits hineingewachsen ist, der er immer sein wollte.

Ja, irgendwie schon. Andererseits, als Kind wollte ich immer ein alter Mann sein und jetzt, da ich einer bin und meine Kinder groß werden, wäre ich gerne wieder ein Kind. Du möchtest deinen Kids beweisen, dass du immer noch jung und vital bist, mit einem Handtuch als Fallschirm vom Dach springen kannst und einen Rückwärtssalto auf dem Trampolin hinkriegst. Denn das wollen sie wissen: Können sie dich kleinkriegen? Können sie dir das Genick brechen? Aus welchem Holz bist du geschnitzt? Meine Kinder sind ziemlich starke Persönlichkeiten.“ Obwohl eigentlich nur einer, der 1993 geborene Sullivan, noch in diese Kategorie fällt. Seine Tochter Kellesimone ist 23, sein Sohn Casey 21. „Er ist in den Familienbetrieb eingestiegen“, meint Waits – Casey spielt Schlagzeug und Turntables. „Mein Jüngster lernt Klarinette, was vielleicht mal nützlich sein könnte. Ich mag Klarinette!“

Als Kind mochte Waits auch die Gitarre. Besonders als ein Freund, der als Rettungssanitäter arbeitete, ihm ein Stethoskop schenkte, das er „in die Gitarre steckte und die Bügel in die Ohren, wie kleine Kopfhörer an einem Soundsystem“. Doch seine wahre Liebe galt dem Klavier, „wahrscheinlich weil ich versuchte, die Musik meiner Eltern zu emulieren“. Zuerst verwendete er nur die schwarzen Tasten, weil das Klavier im Regen gestanden hatte und die meisten der weißen Tasten vollkommen verzogen waren. Auf der Highschool spielte er eine Weile in einer Soulband, dann allein, wobei er sich oft auf dem Akkordeon begleitete.

„Einmal versuchte ich, einen Job in der Piano-Bar eines Golfplatzes in San Diego ?u kriegen. Es war ein bisschen traurig, ich zog einen Anzug an und lernte Stücke von Frank Sinatra und Cole Porter, weil ich nicht genug Sachen auf Lager hatte. Trotzdem, interessant, dass ich damals so scharf drauf war, in diese Welt der Karohosen und Golfschläger einzusteigen.“

Die Hippiebewegung schwappte durch Kaliformen, ohne Waits sonderlich zu tangieren. Wenn er nach San Francisco fuhr, ging er nicht nach Haight Ashbury, sondern zu „City Lights“, dem Beatnik-Buchladen, der dem Poeten Lawrence Ferlinghetti gehörte. „Ich war auf der Suche nach Jack Kerouac. Aus seinen Büchern kannte ich die Namen von Bars, die er frequentierte, also ging ich dort hin und schaute, ob er irgendwo rumsaß. Ich war wild entschlossen, zumindest einen Menschen zu finden, der ihn kannte. Einmal traf ich Ferlinghetti, er schrieb mir eine Widmung in ein Buch. Ich saß immer am Fenster, mit einer Tasse Kaffee, schaute stundenlang auf die Straße und versuchte, mir diese fremde Welt vorzustellen.“

Waits schaffte es, an Vietnam vorbeizukommen, obwohl er eigentlich im richtigen Alter war, und leistete seine drei Jahre Militärdienst als Feuerwehrmann bei der US-Küstenwache ab. „Das war sehr seltsam. Ich lernte, wie man sich eingräbt, damit das Feuer über einen hinwegbrennt. Das habe ich seitdem nie mehr gebraucht, aber wenn’s mal brennen sollte, weiß ich, was zu tun ist!“

Bei einem Open-Stage-Abend im „Troubadour“ in Los Angeles fiel er Frank Zappas Manager auf, und nach mehreren Demos (1991 als „The Early Tears“ auf Bizarre Records erschienen) bekam er einen Vertrag bei David Geffens neuem Label Asylum, das mit Klienten wie den Eagles und Jackson Browne zu den Säulen der neuen „sanften“ Singer/ Songwriter-Szene gehörte. Verständlicherweise begriff Waits nicht recht, „wie ich da eigentlich reinpassen sollte“.

Sein Manager schickte ihn gleich für mehrere Jahre mit Zappa auf Tour. „So als Vorprogramm-Knecht, das war eine harte Erfahrung. Wenn 3500 Leute in einem Hockeystadium aus voller Kehle ,Du bist Scheiße!‘ brüllen. Aber ich glaube, das weckte meinen Kampfgeist: Je mehr sie versuchten, mich aus dem Boot zu schubsen, desto sturer klammere ich mich fest. Vielleicht wollte ich auch ein bisschen Widerstand, um mich meiner Sache umso mehr verschreiben zu können. Ich wollte es nicht einfach haben – und das hatte ich auch nicht.“

Sein 1973 erschienenes Debüt „Closing Time“ erhielt gute Kritiken, verkaufte sich aber schlecht. Der erste Lichtblick kam, als die Eagles seinen Song „01′ ’55“ coverten.

Auf „Orphans“ gibt es eine Handvoll Fremdsongs von so unterschiedlichen Leuten wie den Ramones, Brecht und Weill, Charles Bukowski, Daniel Johnston und Jack Kerouac („ein A-cappella-Stück, das ich ein bisschen verändert habe“). Andersherum ist Waits von einer ebenso bunten Musikerschar gecovert worden, zum Beispiel den Ramones („I Don’t Wanna Grow Up“), Bette Middler („Rainbow Sleeves“), Elvis Costello („More Than Rain“) und Johnny Cash („Down There By The Train“). Früher war er bekannt dafür, mit den meisten dieser Werke nicht viel anfangen zu können, doch mittlerweile hat er seine Meinung geändert: „Wenn jemand deinen Song aufnimmt, heißt das, dass etwas darin steckt, das über deine persönliche Sichtweise hinausgeht. Etwas Universelles, eine Erkenntnis oder eine Emotion, die groß genug ist, um in die Erfahrungswelt eines anderen Menschen zu passen. Und das ist eigentlich eine gute Sache.“

Mit den Songs, die er selbst gecovert hat, verbindet ihn etwas sehr Persönliches – zum Beispiel Daniel Johnstons „King Kong“: „Bei ihm klingt das wie eine Bibelrezitation, das hat mich total fasziniert. Ich dachte, daraus könnte man etwas machen.“ Gefragt, was andere Künstler wohl von seinen Versionen halten könnten, antwortet er schlicht: „Ich hoffte wohl, dass es Daniel Johnston gefallen würde.“ Jahre zuvor hatte er einen Song zu einem Johnston-Tribute-Album beigesteuert, das Mark Linkous von Sparklehorse initiiert hatte. Ob ich wisse, wie das Projekt zustande gekommen sei? Als ich verneine, erzählt er, wie Mark Linkous‘ Mutter beim selben Friseur saß wie Daniel Johnstons Mutter und die beiden unter der Trockenhaube anfingen, über ihre Kinder zu plaudern: „Oh, mein Sohn hat auch mit Musik zu tun!“

„Meine Mutter macht so etwas auch dauernd. Sie platzt einfach damit raus: ,Mein Sohn ist Musiker!‘ In der Schlange vor dem Kino, bei völlig Fremden: ,Das hier ist mein Sohn, er macht Musik!‘ Wir stehen in einem Plattenladen, sie schreit los: „Das hier ist mein Sohn, er will ein paar Platten kaufen, er macht Musik und, übrigens, er hat sein eigenes Fach hier!‘ – ‚Mein Gott, Mama, halt endlich die Klappe!'“

Zwischen 1973 und 1978 brachte Waits fünf Alben raus, darunter ein Doppelalbum (das live vor Studiopublikum aufgenommene „Nighthawks At The Diner“), und mit jedem wurden seine Stimme und seine künstlerische Persönlichkeit unverwechselbarer. Keines hinterließ Spuren in den Charts, doch die Rockpresse liebte ihn für sein grummelndes Whisky-und-Zigaretten-Timbre und die Bukowskische Beatnik-Figur, deren romantisch-pennerhafte Nachtschwärmerexistenz darin hörbar zu werden schien.

1975 zogen Waits und sein Flügel in eine Neun-Dollar-Suite im „Tropicana Motel“, einer vor allem von Junkies frequentierten Absteige in West Hollywood. Das „Tropicana“ wurde zur Bühne der Kunstfigur Tom Waits. Als ich ihn frage, ob diese Figur als künstlerisches Werkzeug erfunden wurde oder ob seine Kunst das Ergebnis einer Übereinstimmung zwischen privater und künstlerischer Existenz war, reibt er sich das Kinn.

„Hm, keine Ahnung. Das war meine Trinkerzeit. Ich glaube, damals hätte ich meinen Kopf gern auf dem Körper eines anderen Menschen gesehen. Ich wollte einfach irgendwohin verschwinden. Wenn ich schrieb, dachte ich mir mein eigenes kleines Tin Pan Alley aus, so dass ich am Klavier sitzen konnte wie ein echter Songwriter und am Ende eine Handvoll Songs hatte. Irgendwann fragt man sich, ob man in Wirklichkeit in einer anderen Welt lebt und in dieser hier nur zu Besuch ist, oder ob dies tatsächlich die richtige Welt ist. Die Grenzen verschwimmen manchmal.“

Das gilt ganz sicher für „Blue Valentine“ (1978), Waits‘ letztes Album der Siebziger, einem Stimmungsmix aus zwielichtigem Heldentum, alkoholgeschwängerter Melancholie, Bluesgeschichten und rauchigem Jazz. „Ich war total rührselig und romantisch und lebte immer noch in einer Fantasiewelt. Ach ja, diese Platte… Den Song ‚Blue Valentine‘ mag ich immer noch. Erst vor Kurzem hat mich jemand gebeten, ihn bei einer Hochzeit zu spielen.“ „Blue Valentine“ war eines seiner manieriertesten Alben und als solches fast eine Art Überleitung zu seiner Schauspielkarriere, die im selben Jahr mit einer kleinen Rolle in Sylvester Stallones „Paradise Alley“ begann.

„Früher dachte ich, dass ich Filme für die Ohren mache – das war es jedenfalls, was ich zu schreiben, spielen, produzieren und veröffentlichen versuchte. Ich nahm die reale Welt, entfernte bestimmte Sachen, die ich nicht drin haben wollte, und fügte andere hinzu, die mir lieber waren. Diese Methode, Fiktives in einer nicht fiktiven Welt zu installieren, kann allerdings schnell zur Selbstparodie führen. Mein Leben sieht ganz anders aus, wenn ich nicht auf Tour oder im Studio bin. Meine Rolle in der Familie ist eine ganz andere.“

Und zwar?

„Ich bin ein verantwortungsvoller Vater und bei allem dabei – Sportwettkämpfe, Abschlussfeiern, Familienfeste. Als ich jünger war, fiel es mir schwerer, mich von der Welt zu entfernen, die mich zum Schreiben inspirierte, aber heute bin ich in der Lage, zwischen dem Dokumentarfilm und der romantischen Komödie hin- und herzuspringen. Manchmal kommt es mir vor, als hätte ich einen Bruder, der nicht ganz richtig im Kopf ist und glaubt, er sei ein Huhn, und wir geben ihn nur deshalb nicht in die Anstalt, weil wir die Eier so dringend brauchen. Es gibt Phasen, in denen ich diese Eier produziere, und das ist gut für meine Familie, und wenn ich in diesen Phasen ein bisschen indisponiert bin… na ja, meine Familie versteht bis zu einem gewissen Grad, dass ich da gerade etwas ausbrüte. Aber es muss alles praktisch begründbar sein. Ich trinke nicht und ich nehme keine Drogen…“

Die Kellnerin kommt vorbei und füllt seine Kaffeetasse auf.

1980, als Waits „Heartattack And Vine“ aufnahm, sein letztes Album für Asylum Records, war er immer noch Single, kinderlos und dem Alkohol ganz und gar nicht abgeneigt. Und seine raue Bluesstimme klang, als sei sie seit „Blue Valentine“ 30 Jahre gealtert.

„Ich wollte unbedingt eine neue Richtung finden, aber manchmal weiß man nicht, wie man das anstellen soll. Ein Reh, das sich in deinem Garten verirrt, wirft sich gegen den Zaun, bis es daran krepiert, statt einfach umzudrehen und durchs Gartentor zu gehen. Auch wenn du ihm das Tor zeigst, versucht es weiter auf demselben Weg zu entkommen. So ging es mir damals auch. Ich trank und rauchte und war nächtelang unterwegs, und weil das nicht gut für mich war, hörte ich mich an, als hätte ich in ein Kissen gebrüllt. Ich wusste, dass ich etwas ändern wollte, aber ich wusste nicht wie. Ein paar Monate später habe ich dann geheiratet, das war das Ende einer ziemlich langen Phase meines Lebens. Und ich war alles andere als vorbereitet auf die Ehe, meine Frau kann das bestätigen! Aber ich hab’s trotzdem gemacht.“

Waits traf Kathleen Brennan, Drehbuch-Analystin, Halb-Irin, am Set von „Paradise Alley“. 1982 schrieb er den später Oscar-nominierten Soundtrack für Francis Ford Coppolas „One From The Heart“ (wo er ebenfalls mitspielte), der musikalisch meilenweit von Waits‘ nächstem Album „Swordfishtrombones“ (1983) entfernt war. Während „One From The Heart“ noch die gewohnte Tin-Pan-Alley-Sentimentalität verbreitete, prägte sein Debüt auf Island Records einen ganz neuen Stil: laut, enervierend und experimentell. Wie kam es zu dieser Veränderung?

„Meine Frau. Das war ihr Einfluss.“

Das Eheleben wirkte sich also nicht beruhigend aus?

„Oh nein. Sie hatte die bessere Plattensammlung. Sie dachte, ich müsste eine tolle Sammlung haben, und war dann zutiefst enttäuscht: „Deine Platten stecken alle nicht in ihren Hüllen, was soll das denn? Du bewahrst sie in Pizzakartons auf- zusammen mit der Pizza!‘ Es war schrecklich, wie ich mit meinen Platten umging. Sie hatte eine richtig große Sammlung und machte mich mit einer Menge neuer Sachen bekannt.“

Zum Beispiel?

„Mal sehen. Was kam zuerst? Captain Beefheart – ich hatte ihn vorher nie richtig gehört, obwohl ich mit Zappa arbeitete. Ich lebte sehr in meiner eigenen Welt, schottete mich total ab, eine richtige Ein-Mann-Show. Ich wurde immer altmodischer und unflexibler – all die schrecklichen Eigenschaften, die man entwickelt, wenn man älter wird.“ Waits war 30, als er Kathleen traf.

„Kathleen half mir, mich neu zu erfinden. Weil meine Musik bis dahin immer noch im Karton steckte. Ich steckte immer noch im Karton, ich hatte mich selbst noch nicht ausgepackt. Ich war so was wie ein Tom-Waits-Darsteller. Wie ein Bauchredner, der gleichzeitig Puppe und Sprecher ist. Sie hat mich ein bisschen lockerer gemacht. Damals trug ich selbst beim Spazierengehen einen Anzug – ich war echt daneben.“

„Ich glaube, das war der Punkt, an dem ich versuchte rauszuwachsen. Wachstum macht Angst, weil du ein Samenkorn bist, das irgendwo in der Dunkelheit liegt und nicht weiß, wo oben und unten ist. Wenn du nach unten wächst, wird es immer dunkler. Aber auch wenn eine Pflanze nach oben wächst, der Sonne entgegen, kann es passieren, dass sie irgendwann gegen eine Wand wächst und ausweichen muss und dabei kann sie derart aus dem Gleichgewicht kommen, dass der ganze Ast abbricht. So ging es mir damals, ich wusste nicht, in welche Richtung ich wachsen sollte, wer ich eigentlich war. Was willst du von deinen Eltern übernehmen, was hast du selbst mitgebracht, was unterwegs gefunden? Auf all das versuchte ich mir einen Reim zu machen. Und musikalisch wollte ich…“ Er denkt eine Weile nach und fährt dann fort: „Ich wollte etwas Besonderes sein. Doch du musst etwas haben, aus dem du schöpfen kannst. Alles hängt davon ab, was du in deiner Pfanne schmelzen lässt und was sich weigert zu schmelzen, was dir wichtig ist und was du ignorierst. Ich hatte das alles noch nicht auf die Reihe gekriegt. Nach all dem Frust wirkte dieses neue Leben wie eine Befreiung. Als hätte ich endlich meine Stimme entdeckt.“

Im Gegensatz zu vielen – vielleicht den meisten – seiner Kollegen, für die die Achtziger eine schwierige Dekade waren, blühte Waits richtig auf. Er hörte auf zu trinken, wurde Vater, zog von Los Angeles nach New York. Er spielte auf einem Kurt-Weill-Tributalbum („Lost In The Stars“, 1984), trat in weiteren Coppola-Filmen auf („The Outsiders“, „Rumblefish“ und „Cotton Club“) und bekam seine erste Hauptrolle als arbeitsloser DJ in Jim Jarmuschs „Down By Law“. In seinem „Junkyard Orchestra“ experimentierte er mit ausgefallenen Instrumenten wie dem Harmonium oder der Calliope, einer dampfbetriebenen Orgel. Und Mitte der 80er schaffte er die erste Top-30-Platzierung -zumindest in England – mit „Rain Dogs“, auf dem einer seiner Helden einen Gastauftritt gab.

„Nach dem Umzug nach New York wollte ich weiter mit den gewohnten Leuten arbeiten, aber die saßen immer noch in L.A. Jemand sagte zu mir: ,Mann, du lebst jetzt in New York, da gibt es haufenweise Musiker, wen willst du haben?‘ Ich sagte: ‚Keith Richards‚, und dieser Jemand meinte: ,Okay, wir rufen ihn gleich an.‘ Ich kriegte sofort die Panik: ,Mein Gott, tu das bloß nicht, ich hab doch bloß Spaß gemacht!‘ Zwei Wochen später kam eine Karte, auf der stand: ‚Das Warten hat ein Ende. Lass uns tanzen. Keith.‘ Ich war total nervös und verzweifelt bemüht, keine Angst zu haben. Aber Keith liebt es zu spielen, und er spielt, bis die Flasche leer ist oder keiner mehr einen Song auf Lager hat, bis sie das Licht ausmachen und uns zur Tür rausfegen.“

War das nicht eine Versuchung, sich die Flasche zu teilen?

„Nein. Mit Keith kannst du sowieso nicht konkurrieren, der ist aus anderem Holz geschnitzt. Als ich seinen Vater traf, wusste ich auch warum. Sein Dad sieht aus wie Popeye, mit so einer kleinen Pfeife und einem Glitzern in den Augen – oh Mann! Wir hatten eine Menge Spaß. Keith ist ein Gentleman, ein wunderbarer Typ.“

Sein zweiter großer Hit in den Achtzigern war der Soundtrack zu „Francs Wild Years“ (1987), dem Musical, das er zusammen mit seiner Frau geschrieben und ein Jahr zuvor in New York auf die Bühne gebracht hatte. Die Arbeitsgemeinschaft mit Kathleen besteht immer noch, wie die Credits auf „Orphans“ beweisen. Wie genau funktioniert das – wer besetzt welche Rolle? Was würde ein stiller Beobachter im Hause Waits zu sehen bekommen?

„Er würde sich vielleicht an zwei Vögel bei einem merkwürdigen Paarungstanz erinnert fühlen. Staub wirbelt hoch, die beiden fliegen weg, kommen wieder zurück. Wie schwer das ist? Weißt du, sobald du Kinder hast, erscheint dir alles andere – was das Teamwork betrifft – ziemlich einfach, und zwischen Songs schreiben und Kinder aufziehen gibt es sowieso Parallelen: Was magst du, was mag ich, was mögen wir beide, was kann ich dir beibringen, wozu muss ich dich zwingen? Meine Frau regt sich immer darüber auf, dass ich meinen Figuren Finger oder Beine fehlen lasse oder sie auf einem Auge blind mache. Sie sagt, es gäbe keinen Grund, warum alle einäugig oder einbeinig rumlaufen müssen.“

Er kämpft um sein Recht auf Einbeinigkeit?

Ja, dafür muss ich kämpfen. Und sie kämpft auch. Sie ist eine gute Kämpferin. Anders geht’s auch nicht.“

Warum drehen sich seine Songs immer um diese gebrochenen Gestalten?

„Keine Ahnung. Wahrscheinlich weil ich selbst eine war. Solche Parallelen lassen sich schon ziehen – schließlich zeigt sich das, was du in einem Bereich deines Lebens bist oder tust, überall anders auch. Wenn du deinen Kaffee mit Zucker trinkst, kann sich das auch ganz woanders niederschlagen.“

Aber Waits trinkt koffeinfreien Kaffee und macht trotzdem keine koffeinfreie Musik.

„Nein, nein. Den Muckefuck gibt’s bloß, weil ich so leicht schlecht gelaunt werde. Das ist krankhaft, und ich muss da sehr aufpassen. Weil Koffein ein Suchtmittel ist.“

Hatte er als Kind ein Faible für Horrorgeschichten? „Childrens Story“ auf der „Bastards“-CD ist ziemlich nihilistisch für ein Kindermärchen.

„Ich glaube, solche fiesen Sachen kamen erst später. Ich bin da langsam eingetaucht. Als Kind war ich eigentlich ganz normal, obwohl es da ein paar Sachen gab…“ Er zögert. „Wenn ich zum Beispiel mit der Handfläche über eine Wand fuhr, war das viel lauter, als es eigentlich hätte sein dürfen, und wenn ich nachts vor dem Einschlafen mit der Hand durch die Luft wedelte, klang das wie eine Peitsche. Das war schon ziemlich merkwürdig, eine Art Schwindelgefühl, das mich urplötzlich überkam. Und in den Wasserflecken an der Decke sah ich dauernd komische Gestalten. Das geht mir heute noch so. Damals traute ich mich nicht, es jemandem zu erzählen, weil ich dachte, dann muss ich zum Arzt. Also wartete ich, ob es aufhörte. Und irgendwann hörte es auf.“

In den Neunzigern erschienen nacheinander zwei von Waits‘ düstersten und schaurigsten Werken. „Bone Machine“ (1992) war, wie der Titel andeutete, knochenbleich und albtraumartig. Dass Waits dafür seinen ersten Grammy erhielt, war für sich schon eine Überraschung, dass es als „bestes alternatives Rockalbum“ ausgezeichnet wurde, noch mehr. Vielleicht lag es am Gastauftritt von Les Claypool von der Band Primus, auf deren Album Waits ein Jahr zuvor gespielt hatte und die ihn einem neuen, jungen Publikum näher brachten.

Nicht minder unheimlich und anspruchsvoll war der Nachfolger „Black Rider“ (1993), das Ergebnis einer Zusammenarbeit mit dem Beat-Romancier William Burroughs (der die Geschichte aus Carl Maria von Webers Oper „Der Freischütz“ destilliert hatte) und dem Theaterregisseur Robert Wilson. Mit Letzterem arbeitete Waits auch bei der deutschen Produktion von, Alice In Wonderland“ und einer „“Woyzeck“-Inszenierung in Dänemark zusammen. Die Musik dazu wurde 2002 als Zwillingsalbum unter den Titeln „Alice“und „Blood Money“ veröffentlicht.

1999 gab es einen zweiten Grammy für „Mule Variations“, das zum „Best Contemporary Folk Album“ gekürt wurde – eine Ladung grob gemeißelter Americana mit diversen Sprecheinlagen, das auf dem hippen Indie-Label Anti Records erschien und Waits‘ bislang größter Verkaufsschlager wurde.

Waits‘ Karriere schien rückwärts zu laufen. Während die Kollegen altersmilde wurden und größere Risiken scheuten, wurde Waits immer kribbeliger und hatte immer mehr Erfolg- seinen ersten Millionenhit feierte er mit 50.

„Ich fordere mich wohl selbst heraus“, sagt er. „Kampf gegen den Verfall. Anwüten gegen das Ersterben des Lichts. Obwohl ich schon immer der Meinung war, dass man mit dem Alter exzentrischer wird. ‚Der alte Onkel Al fängt schon an zu sabbern, aber er wird schließlich alt.‘ Die Leute tolerieren das.“

Waits blättert durch sein großes Notizbuch: „Ich möchte sichergehen, dass ein paar dieser Sachen zur Sprache kommen.“ Er bereitet sich auf seine Interviews so gründlich vor wie ein Journalist, und hat ein paar Auszüge aus seiner Kollektion seltsamer Fakten mitgebracht. Ein Hobby, das sich in seiner Musik ebenso niederschlägt wie in seiner Sammlung schräger Instrumente.

Das Theremin, liest er mir vor, sollte ursprünglich eine neuartige Alarmanlage werden, und „im 18. Jahrhundert war es absoluter Modetrend, sich künstliche Augenbrauen aus Mäusefell ins Gesicht zu kleben“. Einer der eigenartigeren Songs auf „Orphans“, „Road To Peace“, ist ein vertonter Artikel aus der „New York Times“. Allerdings ist er nicht annähernd so merkwürdig wie der gesprochene Bonus-Track, in dem es um Hundefutter und Genitalien geht.

„Als ich rausfand, dass diese Lederzylinder, die wir dem Hund zu fressen geben, Bullenpenisse sind und nicht, wie wir dachten, Kuhschwänze oder so was, fand ich das doch etwas abartig und strich die Dinger sofort vom Speiseplan.“ Einer seiner Favoriten auf „Orphans“ist „The Pontiac“, ein Tarantinoesker Monolog über Autos, der während des Fahrens auf einem Kassettenrecorder aufgenommen wurde. Und „All The Time“, dessen improvisierte Vokalpercussion an sein 2OO4er-Album „Real .Gerne“ erinnert.

Diese Stücke kontrastieren hart mit Songs wie der wunderbaren akustischen Folkballade „Fannin Street“ („Ich wollte, dass Emmylou Harris mitsingt, aber sie hatte keine Zeit“), dem Country-angehauchten „Tell It To Me“ („Erinnert mich an Marty Robbins und Johnny Horton und all die Typen, die ich als Kind liebte“) oder dem sentimentalen „If I Have To Go“ („Sehr schmalzig, aber da Schmalz ja etwas Nahrhaftes ist, ist das nicht unbedingt schlecht, oder?“).

Einige Songs auf dem neuen Album sind alt – aufgegeben oder nicht beendet und in einer Kiste unter dem Bett abgestellt. Diese Stücke zusammenzusuchen war, wie Waits es ausdrückt, „wie Hühner am Strand zu jagen“. Und es inspirierte ihn, neue Stücke zu schreiben.

„Der einzige Grund, neue Sachen zu schreiben, ist, dass dir die alten zum Hals raushängen. Wenn du Hunger auf etwas hast, das du im Laden nicht finden kannst, dann gehst du nach Hause und machst es dir selbst. Und manchmal hast du sogar noch Teig übrig, um einen zweiten Kuchen zu backen. Normalerweise mag ich Sachen lieber, die frisch sind, aber bei diesen Songs habe ich mir mehr Zeit genommen, weil ich fand, sie verdienten Aufmerksamkeit. Wenn du etwas zu hastig angehst, passiert es oft, dass du später noch mal ran musst, das Ganze auseinandernehmen und wieder neu zusammenbauen.“

Hat er das nicht während seiner ganzen Karriere so gemacht?

„Ja, ich hab’s versucht. Mal gelingt es besser, mal schlechter, aber das Unvollkommene hat mich ohnehin immer mehr interessiert. Niemand ist von Anfang an ein Original. Du formst dich selbst, indem du hier ein bisschen hinzufügst und dort ein wenig wegnimmst, und irgendwann stehen deine Stimme und deine Musik hoffentlich auf derselben Stufe, auf der du als Persönlichkeit stehst. Wenn du jung und naiv bist, wird deine Musik es auch sein, und wenn du ein zynischer alter Bastard wirst, folgt dir deine Musik dorthin.“ Er lacht ein heiseres, staubiges Lachen. „Und ich hoffe, dass ich zwischen den beiden Welten hin- und herreisen kann.“

So wie er zwischen den Welten der Musik und des Films wandert. In den Neunzigern schrieb er den Soundtrack zu Jarmuschs „Night On Earth“, stand in „Coffee And Cigarettes“ vor der Kamera und spielte in Coppolas „Bram Stoker’s Dracula“. Seine letzten Projekte waren die Filmmusik zu Roberto Benignis „La Tigre E La Neve“ und ein Auftritt in dem Film „Wristcutters“, der es aber, wie er sagt, vermutlich nicht in die Kinos schaffen wird. Da es sich um ein kroatisches Roadmovie handelt, das in einem für Selbstmörder reservierten Jenseits spielt, könnte er damit Recht behalten.

Haben ihm die ganzen Filmrollen mehr Selbsterkenntnis gebracht?

„Weiß nicht. Ich sehe mich nicht wirklich als Schauspieler. Ich schauspielere ein bisschen. So wie auch ein bisschen klempnere, ein bisschen Instrumente repariere. Nur wenn ich Songs schreibe, bin ich der Schauspieler in diesen Songs. Dann überlege ich: Welche Stimme passt dazu? Welche Klamotten sollte der Typ in dieser Szene tragen? Ich probiere ein paar Charaktere aus und irgendwann stoße ich auf den Richtigen.“

Ist es für jemanden, der seine eigene Arbeit so kontrolliert, nicht schwer, die Anweisungen eines fremden Regisseurs entgegenzunehmen?

„Das kann schwer sein, aber wenn die Person, mit der man arbeitet, einem mit Vertrauen und Respekt begegnet, macht es Spaß. Ich habe auch in ein paar Bühnenstücken mitgespielt, und sobald der Regisseur weg ist, denkt man: Puh, wenn ich es jetzt so mache, wie ich will, was kann er da schon tun? Mitten im Stück auf die Bühne springen und mir den Hut abnehmen? Aber man lernt eine Menge, wenn man auf der anderen Seite des Zauns steht.“

In seinen Songs inszeniert Waits sich in der Rolle des philosophischen Hobos, des besoffenen Penners mit dem Herzen aus Gold. Sogar jetzt, als sich das Rasthaus leert und die Kellnerin mit der Rechnung an unseren Tisch schwebt, kommt es mir vor, als sei dies ein Film, zu dem Waits das Drehbuch geschrieben hat.

„Na ja“, brummt Waits, während er eine Banknote aus seiner Brieftasche kramt, „manche Sachen spielen sich vor und manche hinter den Kulissen ab. Vieles, was mit der Arbeit zu tun hat, bleibt hinter den Kulissen. Mein wahres Ich bleibt meiner Familie und meinen Freunden vorbehalten. Ich weiß nicht, wie offen ich wirklich bin, beruflich gesehen. Aber mitunter stellt man fest, dass der beste Platz, um Wahrheit zu verbergen, in der Wahrheit liegt.“

„Die beste Lüge“, sagt er, während er zum Parkplatz geht, das große Notizbuch unter dem Arm, „ist die Wahrheit.“

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