Ton Steine Scherben waren links und standen für Rock’n’Roll. Nun wird ihr Sänger Rio Reiser seltsamerweise posthum zum Symbol Volksdeutscher Sprachsäuberei erklärt

Die Gegner der Globalisierung haben viele Gesichter, kommen gar aus gegnerischen Lagern. Da gibt es die Aktivisten von „Attac“, die Neokolonialismus bekämpfen und die Ausbeutung armer Länder durch multinationale Konzerne. Diese Opposition kennt keine Grenzen, überwindet kulturelle Klippen, gibt sich radikal, setzt auf sozialen Ausgleich und Emanzipation und steht damit in einer langen Tradition. Weit älter freilich ist die Traditionslinie, auf die sich das andere Lager beruft. Hier denkt man mit Freude gestrig, tritt biedermännisch auf, beklagt Überfremdung und beschwört nationale Identitäten. Diese Herrschaften machen geistige und kulturelle Grenzen dicht und ihr strammer Protektionismus schützt „Volk“ und „Vaterland“.

Unvereinbar, diese Überzeugungen? Nicht für die Verwalter des Erbes von Rio Reiser. Der 1996 verstorbene Sänger der Anarcho-Rockband Ton Steine Scherben wird postum zum Kronzeugen einer Ideologie umgemodelt, die den Verlautbarungen der Scherben in Ton und Schrift zuwiderläuft. Was diese Band einst umtrieb, lässt sich in dem gerade wiederveröflentiichten Song-Buch „Guten Morgen“ nachlesen, das 1972 als Beilage zur LP „Keine Macht für Niemand“ publiziert wurde und lange nicht erhältlich war. Eine für jene Zeit nicht untypische Sponti Drucksache, ein im Chaos-Stil der Situationisten hingehauener Rundschlag gegen, nun ja, alles was kaputtmacht. Das Kapital natürlich, die Psychiatrie, der Paragraph 218, die Diskriminierung der Schwulen, die Entrechtung der Indianer.

Ganz und gar internationalistisch. Dylan, Jagger und Burdon werden (falsch) zitiert, passend zum patzigen, bratzigen Rock’n’Roll der Scherben. Deren erste Aufnahme „I’m Not Like Everybody Else“ war, die Kinks-Ode auf den Nonkonformismus. Rio Reiser hieß damals noch Ralph Möbius.

Da er kein Testament hinterließ, wird sein Nachlass nun von seinen älteren Brüdern Gerd und Peter Möbius verwaltet, mit einem Rio-Reiser-Archiv in einem Rio-Reiser-Verein. Es wird ein bisschen Kult

trieben, Rios Totenmaske wird, kitschig illuminiert, bei Ausstellungen gezeigt. Ab feste Gedenkstätte, eine Art murkeliges Graceland, fungiert jener Bauernhof in Fresenhagen, wo die späten Scherben gehaust hatten. Nichts Ehrenrühriges.

Selbst esoterischer Humbug wie die dort abgehaltenen Tarot-Kurse bewegt sich innerhalb der normalen Parameter bürgerlicher Dekadenz.

Darüber, ob die Arbeit seiner Brüder Rios Gefallen finden würde, lässt sich ohnehin nur spekulieren. Ganz sicher peinlich berührt wäre er indes, wüsste er um die Vereinnahmung verschiedener Scherben-Songs durch rechte Spinner. So singt man sich bei Kameradschaftstreffen brauner Couleur Mut an mit „Allein machen sie dich ein“, vornehmlich im Osten. Die Landser, eine Neonazi-Kapelle, hat den Solidaritäts-Song sogar schamlos gecovert. Ohne Anstoß daran zu nehmen, dass Zeilen wie „Wenn wir erstmal einig sind/ Weht, glaub ich, ein ganz and’rer Wind“ vor gut 30 Jahren als Aufruf an die Linke gedacht waren. Eine Band namens „Neues Glas aus alten Scherben“, die sich in der Nachfolge von Ton Steine Scherben wähnt, textete: „Deutschland, Deutschland mit dem Rücken zur Wand/ Nimm Dein Schicksal in die eigene Hand.“

Kein Wunder, dass sich die rastlos tümelnden Sprachpolizisten des VDS gern mit ins Boot setzten, als der RR-Verein einen RR-Songpreis auslobte, der in diesem Jahr zum wiederholten Mal vergeben wird. Vor zwei Jahren für Lieder zum Thema „Heimat“ („die euch fehlt“, wie es im Aufruf hieß), in diesem Jahr unverfänglicher unter dem Motto „Ich will ich sein“. Auf deutsch natürlich. Neuerdings, so beugt man Kritik vor, auch auf „multi-kulti“. Hauptsache nicht englisch. Das deckt sich mit dem Anliegen des besagten VDS.

Verein Deutsche Sprache, vordem Verein zur Wahrung der deutschen Sprache: eine Vereinigung eifernder Sprachdesinfizierer, die unter Führung ihres ersten Vorsitzenden Walter Krämer einen heroischen Feldzug wider Anglizismen und Amerikanismen fuhrt und sich dabei konsequent in jedes Fettnäpfchen setzt. Da stünden in Schaufenstern Schilder mit der Aufschrift „Säle“ und die Leute dächten, das seien Sonderangebote, so Krämer triumphierend im Fernsehen, dabei heiße „sale“ doch einfach Verkauf. Potzblitz. Ein weiterer Beweis für die Knechtung der Deutschen durch das perfide Albion und das noch gefährlichere Coca-Cola-Imperium. Gut, dass es den VDS gibt. Der stellt „Sprachhunzer an den Pranger“. Zum Beispiel Peter Hartz, in dessen Konzept, Schauder!, Job Center“ auftauchten. Oder die Deutsche Post AG. Dafür, dass sie ihre Päckchen in den Größen S, M, L und XL anbietet. Und wir alle wissen, was sich hinter diesen Buchstaben verbirgt K, M, G und EG wäre richtig gewesen. Auch die Bundesbank kriegt vom tapferen VDS ihr Fett weg. Wer hätte sich nicht über die „Starter Kits“ bei Einführung des Euro geärgert. Und dabei gibt es mit dem schönen deutschen Begriff „Münzhaushaltsmischung“ eine nicht nur adäquate, sondern sprachästhetisch weit überlegene Alternative. Ach ja, die VDS-Alternativen in treuem Deutsch. Manches klingt ja noch ein wenig reichslastig, wie Fliegerhorst für Airbase oder Spindmädel für Pinup-Girl. Anderes ist schon zeitgemäßer. Statt Airbag: Prellsack, statt Hotdog: Wurstweck, statt Toast: Röstbrot, statt Striptease: Entkleidungstanz. Schatz, entkleidungstanze für mich. Das hat was.

Dabei liegt die deutsche Sprachpflege tatsächlich am Boden. Der Apostroph läuft Amok, der Konjunktiv stirbt aus, Eigennamen werden immer häufiger mit Artikeln ausgestattet. Hallo, ich bin der Hans. Der aktive Wjrtschatz des durchschnittlichen Bundesdeutschen ist in den letzten 20 Jahren um fast fünf Prozent geschrumpft, gerade noch ein Viertel der Bevölkerung weiß zwischen „scheinbar“ und „anscheinend“ zu unterscheiden. Ist dem VDS anscheinend egal. Stattdessen wird von „Selbstdemütigung der Deutschen“ gefaselt und das Schreckgespenst „kulturelle Durchmischung“ an die Wand gemalt.

Schlimmer. „30 Jahre nach Kriegsende kapituliert Deutschland damit zum zweiten Mal, diesmal kulturell“, so kommentierte Krämer an einem8Mai (!) die Veranstaltung eines harmlosen „Girls Day“. Rio Reiser, so viel ist sicher, war heilfroh über diese Kapitulation. Wolfgang Seidel, Gründungsmitglied der Scherben, zeigt sich entsetzt über die VDS Beteiligung: „Wir waren antiautoritär und antikapitalistisch und erst in zweiter Linie deutsch. Dreht man dieses Verhältnis um, hat man eben solche Ideologen am Hals, denen es um die Nation geht, nicht um die Menschen.“

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates