Township-Funk und Car-Crash-Punk

Bei den South African Music Awards zeigt sich die musikalische Vielfalt der Regenbogennation. Viele Künstler hoffen mit der WM auf ihren internationalen Durchbruch. von Christian Putsch

Ein wenig verkatert ist er. Schlabber-T-Shirt, Röhrenjeans, die Schuhe offen. Das Gesicht wirkt jünger als seine 23 Jahre. Was solle er hier jetzt einen auf Bling-Bling machen, fragt Thabo Bogopa und schenkt sich noch einen Kaffee ein. „Ich habe keine Lust, in meinen Songs die Champagner-Korken knallen zu lassen. Es geht nicht darum, sich für den US-Markt oder so zu empfehlen. Es geht um das Leben hier. Und das kann man nicht faken.“

Sein Vater verkauft Gebrauchtwagen. Die Mutter arbeitet in einem HIV-Krankenhaus. Und Bogopa alias „JR“ hat selbst bis vor kurzem noch im Atteridgeville Township von Pretoria gelebt. Erst seit ein paar Jahren kann der Senkrechtstarter unter den südafrikanischen Hip-Hop-Stars von seiner Musik leben.

Am Vorabend haben in Rustenburg im Norden des Landes die South African Music Awards (SAMA) begonnen, die Ehrung der besten Interpreten des Jahres. JR hat auf der Bühne seinen Motswako-Rap performt. „Der Beat des Township“, sagt er, „alles was ich bin, alles, was mich bewegt.“ Kraftvoll wie wenige andere Musikstile ist diese südafrikanische Interpretation des Hip-Hop. JR reimt mal ein paar Zeilen in der lokalen Sprache Setswana, dann wieder auf Englisch. Motswako heißt übersetzt so viel wie „Misch das alles zusammen“.

Das steht durchaus ein wenig sinnbildlich für die Musikszene der Regenbogennation. Südafrika hat elf offizielle Landessprachen, nur Indien hat mehr. Mit Dutzenden ethnischen Gruppen ist Südafrika eine außerordentlich komplexe Gesellschaft. Das spiegelt sich auch in der Musik, und nirgends wird das deutlicher als bei den South African Music Awards. Dieser glamourösen Inszenierung in Sun City, dem Las Vegas Südafrikas. Die Künstler werden in ihrer Sprache anmoderiert – und das in 42 Kategorien. Darunter sind Kategorien wie „Best Afrikaans Gospel Album“, „Best Sesotho Album“, „Best Venda Music“ oder „Best Alternative Music Album: English“. Ein herrliches Sprachen- und Musikwirrwarr. Allerdings perfekt durchgestylt, mit sekundengenau festgelegtem Timetable. Denn immerhin ist diese Show das Aushängeschild der südafrikanischen Musikindustrie.

Und die verdient inzwischen mächtig Geld. Mit CDs und Internet-Downloads werden jährlich 100 Millionen Euro umgesetzt, rund die Hälfte der verkauften Musik stammt von lokalen Künstlern. Mit 100.000 Angestellten und einem Jahresumsatz von 740 Millionen Euro ist die Unterhaltungsbranche die fünftgrößte Industrie Südafrikas. Kommerzialisiert und auf dem Standard westlicher Industrienationen. Aber eben dennoch einzigartig.

Auf der Bühne steht die Kwaito-Gruppe Big Nuz, das Trio aus Durban hat den begehrtesten Preis abgeräumt: „Umlilo“, Soundtrack unzähliger südafrikanischer Partynächte, ist das Album des Jahres 2009. Poetisch sind die Texte nur selten: „Umlilo wase Big Nuz uyashisa ungawulokothi“ schreien die Jungs in die Mikros. „Das Feuer von Big Nuz ist heiß, traut euch nicht in die Nähe.“ Oben auf den Rängen tanzen die überwiegend dunkelhäutigen Fans wie sonst nur im Baseline, dem angesagtesten Club des Johannesburger Szeneviertels Newtown.

Ein Triumph für diesen populären Musikstil mit seinen House-Beats, der von Hip-Hop, Dancehall sowie R’n’B beeinflusst wird. Kwaito dominierte mit seinen manchmal politischen Texten die Jugendkultur Südafrikas während der 90er-Jahre, jener Epoche der Identitätssuche im neuen, demokratischen Südafrika.

JR hatte den Beat wenige Stunden zuvor noch für veraltet erklärt. Hip-Hop sei das „neue Kwaito“, daran gebe es keinen Zweifel. Big-Nuz-Rapper Sbu Khomo kann da nur lachen. Er grüßt südafrikanisch, mit einer verwirrenden Kombination aus Handschlägen und Fingerschnippen. „Kwaito wird immer da sein, und zwar ganz vorne“, sagt Khomo, ein athletischer Typ, der seinen grimmigen Blick abseits der Bühne ablegt und in Jeans und T-Shirt völlig ungestylt daherkommt. „Es geht bei uns nicht unbedingt um Politik. Wir verarbeiten, was uns bewegt, Südafrika mit all seinen positiven und negativen Einflüssen.“

Big Nuz hat dem manchmal etwas monotonen Kwaito einen neuen Sound gegeben. Gemeinsam mit den Jungs von TKZee hat er dem Genre zu neuer Popularität verholfen. Selbst Präsident Jacob Zuma, dessen musikalisches Talent weniger umstritten ist als sein politisches, gilt mit seinen 68 Jahren als großer Fan. Er empfing Big Nuz im April zu einem Gespräch.

Kwaito lebt. Doch seine Dominanz ist längst gebrochen. Nach der Liberalisierung der Medien im Jahr 1994 dauerte es einige Jahre, bis die Zeitungen der Musik im nennenswerten Umfang Platz auf ihren Seiten gaben – zu wichtig war in den ersten Jahren der Demokratie die politische Debatte um das Zusammenleben zwischen schwarzer und weißer Bevölkerung. Kwaito brauchte keine PR. Ebensowenig der großartige Soweto Gospel Chor oder Jazz-Legenden wie Abdullah Ibrahim. Die weniger präsenten Musikstile schon. Besonders in den vergangenen zehn Jahren entwickelten sich qualitativ hochwertige Musikredaktionen und Magazine, die sie einem Massenpublikum vorstellten.

Einen der gewaltigsten Wachstumsprünge aber machte die Szene nach der Einführung einer Quo-tenregelung. Seit dem Jahr 2003 müssen kommerzielle Radiosender mindestens ein Viertel ihrer Sendezeit mit Musik oder Interviews lokaler Künstler füllen. Nicht so viel wie in anderen afrikanischen Ländern wie Ghana, wo die Quote bei 75 Prozent liegt. Aber immerhin.

Die Regelung half der Industrie, sich gegen die Weltstars aus den Industriestaaten zu behaupten. Die sind enorm populär in Südafrika – trotz Abwesenheit. Nur wenige Top-Acts kommen zu Konzerten nach Südafrika, weil selbst in Johannesburg, Durban und Kapstadt große Arenen nur schwer zu füllen sind. Tourneen in Afrika lassen sich mangels Kaufkraft und wegen der hohen Reisekosten kaum finanzieren.

Entsprechend empfindlich reagierte die Szene bei der Veröffentlichung des Line-ups für das große Konzert des Fußball-Weltverbands FIFA am 10. Juni. Das Event findet einen Abend vor Beginn der WM 2010 im Orlando Stadion von Soweto statt. Ein weltweites TV-Publikum ist garantiert. Und siehe da – plötzlich standen die Stars Schlange. Angesichts internationaler Top-Acts wie Alicia Keys, Shakira, den Black Eyed Peas und John Legend fühlte sich die Kulturszene „im eigenen Land marginalisiert“, so ein Statement des Kultur-Ministeriums. Die Präsenz heimischer Stars wie dem Singer/Songwriter Vusi Mahlasela und der Rockband The Parlotones gingen Südafrika nicht weit genug.

Auch Lira vertritt diese Meinung. In einem hautengen gelben Kleid sitzt die Soul- und Jazzmusikerin hinter der Bühne. „Was für eine Frau“, raunt ein Fotograf, „Gott muss sehr stolz auf sich sein.“ Lira wird bei einigen FIFA-Veranstaltungen auftreten, nicht aber bei dem großen Konzert. Für sich selbst fordert sie aber gar keinen Platz, obwohl international kaum jemand vergleichbaren Erfolg hat. „Es geht darum, möglichst viele Künstler unseres Kontinents zu zeigen – sie müssen gar nicht aus Südafrika kommen. Es ist unfair, dass hauptsächlich nicht-afrikanische Künstler unsere Gäste willkommen heißen sollen.“

Die FIFA blieb zunächst bei ihrer Position. „Eine WM ist ein internationales Event mit sechs afrikanischen und 26 nicht-afrikanischen Teilnehmern“, sagte Generalsekretär Jerome Valcke. „Es tut mir leid, aber diese Definition gilt für uns.“ Doch als die Debatte immer größere Schlagzeilen machte, stimmte der Weltverband schließlich weiteren afrikanischen Künstlern zu.

Die Teilnahme der Parlotones stand bereits seit Beginn der Planungen fest. Die großartigen Live-Performer sind so etwas wie eine logische Wahl, auch wenn die Musik der BLK JKS sicher eindringlicher und kredibler ist. Über 200.000 Alben haben die Parlotones allein seit Oktober 2007 verkauft – eine bemerkenswerte Bilanz, schließlich gibt es in Südafrika schon für 25.000 verkaufte CDs eine Goldene Schallplatte. Hinter dem Erfolg steht neben Talent ein herausragendes Team für Film und Produktion. „Es ist nicht einfach, in Südafrika mit Musik sein Geld zu verdienen“, sagt Sänger Kahn Morbee. „Aber das Spektrum wird jedes Jahr größer. Vor ein paar Jahren waren bei den SAMAs viele Musiker nominiert, die nebenbei noch andere Jobs machen mussten. Solche Fälle gibt es kaum noch.“

Die Gruppe, die ausschließlich aus Weißen besteht, hat inzwischen Fans aus allen ethnischen Gruppen des Landes. Für Morbee ist das die Basis für den internationalen Erfolg. „Wer im eigenen Hinterhof nicht populär ist, braucht gar nicht erst rauszugehen. In den USA eine Fanbase aufzubauen, fordert große Investitionen, und dafür braucht man die Unterstützung seiner Fans zu Hause.“ Es sei denn, man werde von einem großen Label unter Vertrag genommen. Morbee lacht: „Aber das war einmal. Dieses: x{201a}Hier ist eine Milliarde Rand (Südafrikas Währung) – lauf los und erobere die Welt‘ gibt es nicht mehr.“

Oder doch? Die Rapper von Die Antwoord, deren Videos auf YouTube seit Februar über acht Millionen Mal angeklickt wurden, reisten vor einigen Wochen in die USA zu Verhandlungen mit dem Label Interscope. Das lief dann so ab: Der Kopf der Band, Waddy Jones alias Ninja, ein riesiger dürrer Typ mit Goldkronen über zwei Frontzähnen, lehnte seinen an den Seiten kahl rasierten Schädel nach vorne, immer näher kam er dem Gesicht von Jimmy Iovine, dem Interscope-Chef und Eminem-Entdecker, starrte ihn an, zog ihn an sich heran und drückte ihm zwei Schmatzer auf die linke und rechte Wange. „Wir haben schließlich einen Deal gemacht, wie man ihn mit der Mafia macht“, erzählte Ninja später. „Die Antwoord macht jetzt Geschäfte mit Interscope.“

Das Management der Band betonte eilig, dass noch nichts unterschrieben sei. Iovine jedenfalls blieb dem Vernehmen nach fasziniert zurück – und damit ergeht es ihm wie Millionen in Südafrika. Dort hat die Band einen der rasantesten Starts in der Musikgeschichte des Landes hingelegt. Und keiner weiß so genau warum. Die Band, zu der neben Ninja noch die Künstlerin Yo-Landi Visser und DJ Hi-Tek gehören, nennt ihre Musik Zef Rap (Rap der weißen Unterschicht). Harter Hip-Hop mit provokativen Texten über das neue Südafrika, kombiniert mit Elektro-Musik, aggressiv gesungen auf Englisch und Afrikaans. Das sei „Car crash music“, sagt Yo-Landi: „Man findet es abschreckend, aber muss trotzdem hinschauen.“

Die Faszination entsteht durch das Spiel mit der Identität. „Um es zusammenzufassen“, leitet Ninja mit finsterem Blick bei einem Geheimkonzert im Johannesburger Club Tokyo Star den ersten Song ein, „In Südafrika gibt es viele verschiedene Dinge: Weiße, Farbige, Englisch- und Afrikaans-Leute, Xhosas, Zulus. Ich bin all das – fucked up in one person.“ Yo-Landi antwortet nur: „Whatever.“ Man hat das Gefühl, dass Südafrikas Jugend die ewigen politischen Debatten um die ethnische Zugehörigkeit mächtig nervt. Auch das ist wohl ein Grund für den Erfolg der Antwoord, deren erstes Album „$o$“ frei über ihre Homepage abrufbar war. Ninja, Hauptdarsteller des vielleicht bislang größten viralen Marketingphänomens Afrikas.

Dabei funktioniert die Verbreitung von Musik mitunter noch herrlich einfach. Besonders in den ländlichen Gegenden. Die Leute erzählen sich die Kunde von neuen, bemerkenswerten Künstlern. So wie seit einiger Zeit die von Camagwini und ihrer wunderbar souligen Stimme.

Die 27-Jährige spielt an einer riesigen Halskette. Vor einigen Jahren sei sie von ihren Vorfahren im Schlaf aufgefordert worden, den Menschen zu helfen – mit traditioneller Medizin. Und Musik. „Die weißen Perlen stehen für Frieden, die blauen für einen großen Fluss und die hellblauen für einen kleinen Fluss“, erklärt die Sängerin, „die Kette hilft mir, mit meinen verstor-benen Familienmitgliedern in Kontakt zu bleiben. Sie führt mich.“

Camagwini wuchs bei ihrer Groß-mutter auf. Als sie drei Monate alt war, starb die Mutter bei einem Zugunglück. Ihren Vater traf sie nie. Das Mädchen verbrachte fortan viel Zeit in den Dörfern um Port Elizabeth. Noch heute studiert sie die Kultur der Zulus, lernt von den ältesten, respektiertesten Mitgliedern der Gemeinschaft – und verarbeitet dieses Wissen in ihren Texten. Je weiter man sich in Südafrika von den großen Städten entfernt, umso stärker wird der spirituelle Glaube. Umso stärker erscheint der Einfluss von traditionellen Heilern, den Sangomas, die in einigen Gegenden mehr Vertrauen als die Schulmedizin genießen.

Camagwini will eines Tages eben-falls als Sangoma praktizieren. „Ich habe keine Wahl. Das war bereits die Bestimmung meiner Vorfahren, als ich noch ein kleines Mädchen war. Aber sie sind damit einverstanden, dass ich zunächst singe und meiner Berufung erst in einigen Jahren folge.“ Längst hat sie mit diesen Botschaften, den Videos in traditioneller Zulu-Kleidung kommerziellen Erfolg. Im vergangenen Jahr gewann sie den SAMA-Award für die Newcomerin des Jahres. Ihre Stimme erinnert die Südafrikaner an Amaqgirha (traditionell lebende Menschen), die an den Flüssen in der Küstenregion Transkei alte Lieder singen. Der Titel ihres Debut-Albums: „Zivile“. Sie haben mich erhört. Doch auch in den Großstädten verbreitet sich die Musik über unkonventionelle Wege. Den Verkehr begleiten die Bässe aus den Lautsprechern der „Black Taxis“ – unzählige teils schrottreife Mini-Busse, die täglich zehn Millionen Südafrikaner transportieren. Das Transportwesen ist eine raue Industrie ohne wirkliche Regeln. Manchmal fallen Schüsse im Kampf um die lukrativsten Routen. Passagiere werden auf Wunsch auch im dichtesten Verkehr mitten auf der Straße herausgelassen. Und mit ihnen die Musik der Fahrer, die ihre Anlagen laut aufdrehen. Der Beat des Asphalts. Wild. Unregulierbar.

Clevere House-DJs machen sich das neuerdings zunutze und reichen den Fahrern ihre CDs durchs Fenster. Erfolg hatte mit diesem Trend bereits ein Mann namens DJ Mujava. Wie Hip-Hopper JR wuchs er im Atteridgeville-Township auf. Zuerst rissen sich die Taxi-Fahrer um seinen Track „Township Funk“. Dann die Fahrgäste, irgendwann auch die Labels.Inzwischen ist der Song einer der größten Club-Hits der vergangenen Jahre. Ohne Internet. Oldschool eben.

WM-Songs 2010

Shuttleworth feat. Mark E. Smith England’s Heartbeat

Die inoffizielle England-Hymne 2010

Heimatverein: Manchester City. Wichtigster Sieg: 1996 widmen Tocotronic Mark E. Smith das fantastische „Ich hab geträumt, ich wäre Pizza essen mit Mark E. Smith“. Abwehr oder Sturm: Ab durch die Mitte – besser als Wayne Rooney. Stammplatz oder Reservebank: Mark E. Smith und einige Ex-Kollegen von The Fall streben den Stammplatz auf Lebenszeit an. System: Angriff ist die beste Verteidigung. Hart, schnell und mit viel Körperkontakt. 4-1-4-1 mit Mark an der Spitze. Ergebnis: Der wohl schönste Sieg 2010. The World’s Heartbeat!

Shakira feat. Freshlyground Waka Waka (This Time For Africa)

Der offizielle FIfa-WM-Song 2010

Heimatverein: Junior Barranquilla und Santos Football Club. Wichtigster Sieg: 2006 sang Shakira „Hips Don’t Lie“ auf der Abschlussveranstaltung der WM in Berlin. Abwehr oder Sturm: Ein perfekter Sechser, der gerne zaubert. Die Zuschauer sind meist verzückt. Stammplatz oder Reservebank: Die zweite WM von Shakira wird wohl auch die letzte werden. Danach kann sie den Ruhestand genießen. System: Eine Dribblerin mit ästhetisch wertvollem Hüftschwung – sieht gut aus und lenkt den Gegner ab. Ergebnis: In der Punktewertung hat Shakira das klare Nachsehen. Mit Schönspielerei lässt sich kein Pokal gewinnen.

K’naan Wavin‘ Flag

Der Coke-WM-Song 2010

Heimatverein: Toronto FC. Wichtigster Sieg: Platz 1 in den kanadischen Charts mit „Wavin‘ Flag“ als Teil des Benefizprojektes Young Artists For Haiti. Abwehr oder Sturm: K’naan ist der typische Stürmer. Er prescht durch die Mitte, hat einen strammen Schuss, und meist trifft er auch. Stammplatz oder Reservebank: Seine offensive Spielweise und der Umgang mit der Presse brachten ihn schnell ins Rampenlicht. Jetzt gilt es beißen, um nicht als ewiges Talent zu enden. System: Nervöses Trommeln mit breiten hymnischen Synthesizer-Flächen und Hintergrundchören – Sunshine-Rap. Ergebnis: K’naan ist eigentlich ein Künstler, der wirklich was zu sagen hat. Für die WM akzeptiert er dankbar den Kommerz-Maulkorb.

The Parlotones Come Back As Heroes

Der ARD-WM-Song 2010

Heimatverein: Kaizer Chiefs Johannesburg

Wichtigster Sieg: Ein eigenes Menü bei der Fast-Food-Kette Kentucky Fried Chicken in Südafrika. Abwehr oder Sturm: Die Parlotones forcieren jeden Ballkontakt zum Torschuss, auch im eigenen Strafraum. Stammplatz oder Reservebank: Die ARD wird „Come Back As Heroes“ zumindest einen Stammplatz in unseren Hirnwindungen verschaffen. System: Rennen bis zum Umfallen, durch Kampf zum Spiel. Ergebnis: Große Techniker sind sie nicht, aber man sollte ihren unbedingten Siegeswillen nicht unterschätzen.

Velile & Safri Duo Helele

Der RTL-WM-Song 2010

Heimatverein: Kaizer Chiefs Johannesburg und FC Kopenhagen. Wichtigster Sieg: Veliles Stammplatz im Musical „König der Löwen“. Safri Duos Song „Played-A-Live (The Bongo Song)“ verkaufte sich mehr als 1,5 Millionen mal. Abwehr oder Sturm: Aufdringlicher Dancefloor-Stürmer mit nervösen Beinen. Stammplatz oder Reservebank: Zumindest für die WM scheint die Aufstellung sicher. System: Keine Raumaufteilung. Alle rennen dem Ball hinterher. Ergebnis: Für den Bolzplatz reicht es, eine WM lässt sich damit aber wohl nicht gewinnen.

Eine Fahne im Wind

Wie aus einem politischen Song eine WM-Hymne wurde.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: „Wavin‘ Flag“ des somalisch-stämmigen Kanadiers K’naan ist mal ausnahmsweise eine WM-Hymne, die einen tatsächlich packen kann, die zwar auch an niedere Mitgrölinstinkte appelliert, aber dies auf eine Weise tut, die Ligen über dem typisch deutschen Beiträgen von Sportfreunden und Revolverhelden spielt.

Aber „Wavin‘ Flag“ ist nicht bloß einer der vielen werblich genutzten WM-Songs. Das Stück gab es schon in anderer Form – und die Originalversion, die sich auf K’naans aktuellem Album „Troubadour“ findet, ist eigentlich die interessantere. Sie kommt ohne Trommeln und Mitgrölchöre aus – und schaffte es in Kanada dennoch auf Platz eins. „Es ist ein kämpferischer Song, der in keiner Weise an stumpfen Patriotismus appellieren soll. Es geht um die Flagge der Freiheit, unter der sich die gesamte Menschheit versammeln sollte.“

Dass dies eine Utopie ist, machte die Originalversion mit Textzeilen wie diesen klar: „So many wars, settling scores/ Bringing us promises, leaving us poor/ I heard them say, love is the way/ Love is the answer, that’s what they say/ But look how they treat us, make us believers/ We fight their battles, then they deceive us.“ Es braucht nicht viel Fantasie, um darin eine Anklage der Ausbeutung von K’naans Heimatkontinent zu lesen. Oder gar – im heutigen Kontext – eine Kritik an den oft kritisierten Geschäftspraktiken der FIFA hineinzuinterpretieren.

Davon hört man im „Celebration Mix“ nun natürlich nichts mehr. Auch nicht vom „fighting“ und vom „struggling to eat“, wie es im Original heißt, stattdessen geht es um das „beautiful game“ Fußball und dem ja tatsächlich im Idealfall vorhandenen Gemeinschaftsgefühl, das er auslösen kann. K’naan selbst sieht darin keine Rückgratlosigkeit, sondern eine Chance. „Es wird nicht allen so ergehen, aber der ein oder andere wird sicher wissen wollen, wer ich bin, wo ich herkomme – und was ich zu erzählen habe.“ Wollen wir es hoffen – er und sein intelligentes, meinungsstarkes Album hätten es verdient. DK

WM ist zu früh

Fußball interessiert ihn wenig. Aber die WM-Vergabe kritisiert Howard Carpendale aus anderen Gründen.

Von allen denkbaren Kandidaten ist Howard Carpendale wohl der letzte, den die meisten Leute in diesem Magazin erwarten würden. Unterhaltungsmusik ist in Deutschland nicht viel wert, die Verdienste des 64-Jährigen gelten gemeinhin wenig. Dennoch ist Carpendale neben Udo Jürgens der letzte große Verbliebene aus der Glanzzeit des deutschen Schlagers. Ungeachtet derartiger Erwägungen ist er zudem Deutschlands prominentester Südafrikaner. Bis heute verfolgt der Spross einer Politiker-Familie die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in seiner ehemaligen Heimat. Der Südafrika-WM steht Carpendale überwiegend kritisch gegenüber.

Man darf wohl davon ausgehen, dass die meisten Deutschen immer noch ein sehr oberflächliches Bild von Afrika haben. Sie selbst sind in Durban aufgewachsen. Wie muss man sich die Stadt vorstellen?

Ich bin in Zeiten der Apartheid geboren, das war natürlich ein ganz anderes Südafrika als heute. Das rechtfertigt gar nichts, aber in Durban lebten wir kameradschaftlicher und näher mit den Schwarzen zusammen, als das in den von Buren dominierten Gegenden üblich war. Trotzdem habe ich oft mit meinem Vater, der Politiker war, über diese Dinge geredet und es gab eigentlich nie eine zufriedenstellende Antwort.

Liegt in der WM eine Chance, oder ist das einfach ein Event, das vier Wochen begeistert, und die Menschen anschließend mit ihren alten Problemen zurücklässt?

Korruption, Aids, die unglaubliche Arbeitslosigkeit – in diesem Kontext über Fußball zu reden, ist völlig absurd. Die WM kommt meiner Meinung nach viel zu früh. Südafrika ist noch nicht soweit. Dabei glaube ich nicht einmal, dass wir sicherheitstechnische Probleme haben werden. Aber es ist eben so, wie es ein junger Schwarzer kürzlich im Taxi zu mir sagte: x{201a}Nun kommt ihr vier Wochen und habt euren Spaß – und wir haben danach einen Haufen Schulden wegen der teuren Stadien.‘ Trotzdem nicht falsch verstehen: Ich will die WM nicht schlecht reden. Aus deutscher Perspektive werden wir ein sehr buntes und lustiges Turnier erleben. Aber man kann trotzdem nicht sagen, dass die Veranstaltung diesem Land gut tut. Zumal in den Bereichen, wo man wirklich etwas für die Menschen hätte tun können, ganz offensichtliche Chancen nicht ergriffen wurden. So wurden zum Beispiel die offiziellen Maskottchen von billigen Arbeitskräften in China gefertigt. Hätte die Fifa nicht wenigstens so klug sein können, diese Arbeit in Südafrika zu vergeben? Das ist so unfassbar dumm!

In Ihrem Song „Durban, South Africa“ singen sie „Da ist nur Lachen und Lebensfreude.“ Ein geschöntes Bild?

Ja und nein. Als ich das damals gemacht habe, kam ich gerade aus Südafrika und habe mit schwarzen Musikern und einem Kinderchor gearbeitet. Das war eine herrliche Zeit. Ich stamme aus einer von Zulus dominierten Gegend und kenne die anderen Volksstämme nicht so gut. Aber die Zulus sind ein herrlicher Menschenschlag, wahnsinnig positiv und optimistisch. Es gab ja kürzlich diese Studie, in welchen Ländern die Menschen am glücklichsten sind, und das waren alles arme Länder. So etwas gibt einem schon zu denken … Trotzdem haben wir auch viele andere Lieder über Südafrika gesungen, die weitaus ernster waren.

Trotzdem haben Sie dem Land in den 60er-Jahren den Rücken gekehrt. Wie erinnern Sie sich an diese Zeit?

Ich habe Gott sei Dank mit 18 erkannt, dass es in Südafrika für mich keine Zukunft gab. Also ging ich nach England. Über die Zeitschrift „MelodyMaker“ bin ich auf eine Rockgruppe gestoßen, und mit denen ging es dann nach Deutschland. Unser erster Gig war in Düsseldorf in einem Nachtclub. Drei Monate für 40 Mark die Nacht haben wir alles gecovert, was es so gab. Und dort kriegte ich dann einen Fuß in die Tür. Vorher hatte ich in London auf Empfehlung eines südafrikanischen Freundes bei einem hohen Tier von der EMI vorgesprochen. Der sagte: „Wir würden gerne eine Platte mit dir machen – aber du musst erst mal mit mir schlafen.“ England war total verrückt zu der Zeit.

Wie muss man sich die Schlagerszene der späten 60er und der 70er-Jahre vorstellen?

Die Szene war stark von Neid und Konkurrenz geprägt. Bei der „ZDF Hitparade“ hat man im Prinzip jedem Künstler gewünscht, dass er von der Bühne fällt.

Sie haben ihre Karriere als Elvis-Imitator begonnen. Kriegen sie das heute noch hin?

Elvis war das Vorbild. Dazu folgende Geschichte: Stefan Raab hat gefragt, ob ich bei seinem Autoball mitmachen will. Da hätte ich Bock drauf, aber … Kenny Rogers hat mal gesagt, bei schwierigen Entscheidungen hätte er sich immer zurückgelehnt und sich gefragt: Was würde Elvis machen? Nun: Elvis beim Autoball kann ich mir nicht so gut vorstellen, also werde ich absagen. Torsten Gross

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