Try to be Supermensch

Mike Myers hat ein berührendes und komisches Porträt des Musikmanagers Shep Gordon gedreht

Nein, Mike Myers möchte nicht über eine mögliche Fortsetzung von „Austin Powers“ reden. Er möchte auch nicht über den Misserfolg von „The Love Guru“ reden, sein letztes Werk, ein Film so unkomisch, dass die „New York Times“ befürchtete, man könne danach nie wieder lachen. Sechs Jahre ist das her, und seitdem war es ziemlich still um Myers geworden. Ein Gastauftritt als britischer General in Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“. Eine Hochzeit, seine zweite, mit der Ex-Freundin von Moby, Geburt zweier Kinder, einer Tochter und eines Sohnes. Das stand in der Klatschpresse. Ansonsten sah und hörte man nichts von dem großen Komiker.

Nun sitzt er vor einem, in einer New Yorker Hotelsuite. In einem kurzärmeligen Penguin-Hemd mit Strick-Schlips. Er sieht trotz seiner 51 Jahre jungenhaft aus, aber er ist ein erwachsener, ernsthafter Mann, der über erwachsene, ernsthafte Dinge sprechen möchte. „Seit mein Vater gestorben ist, habe ich mich viel mit dem Thema Trauer auseinandergesetzt“, beginnt er das Gespräch gleich ungewöhnlich privat. „Ich dachte zuerst, ich hätte seinen Tod gut überstanden, doch dann kam die Trauer zurück. In Wellen. Die zweite erwischte mich erst neulich, nach der Geburt meines zweiten Kindes, und sie war fast noch stärker als die erste.“

Neben Myers sitzt ein großer, schlanker Mann. Braungebrannt, Halbglatze, rahmenlose Brille, Hawaiihemd. Der Mann spricht ruhig, langsam, mit tiefer, sonorer Stimme: „Du weißt, Mike: Du bist jederzeit in meinem Haus willkommen, wenn du Zuflucht brauchst “ Der Mann heißt Shep Gordon. Amerikaner, Mitte 60, Manager unzähliger Stars – und Gegenstand von Myers‘ neustem Film: „Supermensch: The Legend Of Shep Gordon“, einer Dokumentation über den Tausendsassa, der in den 70er-Jahren mehr Rock ’n’Roll als die meisten seiner Klienten war, und der nun ein esoterischer, aber irgendwo auch einsamer Mann ist, der sich nach einer eigenen Familie sehnt.

Myers kennt Gordon seit den Dreharbeiten zu „Wayne’s World“, dem Film, in dem er und Co-Star Dana Carvey vor Alice Cooper auf die Knie fallen und „We’re not worthy!“ rufen. Seitdem sind sie befreundet, und als Myers, verstört von der ersten Welle der Trauer, einen Tapetenwechsel brauchte, besuchte er Gordon in dessen Haus auf Hawaii. „Ich wollte eine Woche bleiben, aber es wurden zwei Monate daraus. Shep pflegte mich wie ein aus dem Nest gefallenes Küken“, erinnert er sich an die Zeit. Zwei Monate, in denen ihm Shep Gordon so viele bunte Geschichten aus dem Showbusiness erzählte, dass Myers den Entschluss fasste, eine Dokumentation über ihn zu drehen. „Es lag einfach auf der Hand“, erklärt er den für viele überraschenden Karriereschritt ins ernste Fach. „Es gibt niemanden, der bessere Stories erzählt als Shep. Und es gibt keinen netteren Menschen als ihn. Ein Supermensch eben.“ Große Worte über einen Mann, von dem bislang nur die wenigsten Menschen gehört haben dürften.

Wer ist Shep Gordon eigentlich? Der Film gibt viele Antworten darauf. Er zeichnet anhand von alten Fotos, privaten Super-8-Filmaufnahmen, nachgestellten Szenen und aktuellen Interviews mit Freunden, Stars und Klienten – oftmals alles in Personalunion – das Porträt eines jungen Soziologiestudenten, der zufällig ins Showbusiness stolperte, darin auf blühte, beinahe verglühte – und heute eine integre, loyale Person ist, im Jiddischen schlicht „Mensch“ genannt, die ohne mit der Wimper zu zucken strauchelnden Freunden monatelang Asyl gewährt.

Die Liste von Gordons Klienten liest sich beeindruckend. Er managte im Lauf seiner Karriere unter anderem Blondie, George Clinton, Groucho Marx, die Gipsy Kings, Jean-Luc Ponty, Luther Vandross, Pink Floyd (für neun Tage, mehr dazu später …), Raquel Welch, Rick James, Teddy Pendergrass und natürlich Alice Cooper, dessen dadaistische Horrorshow Gordon erfand, und der heute, 43 Jahre später, eher „ein Körperteil als ein Klient“ von Gordon ist. Doch es sind weniger die großen Namen, die den Film sehenswert machen, als die Anekdoten, die darin zum Besten gegeben werden. Wie Gordon im legendären Landmark Hotel in Los Angeles von Janis Joplin geohrfeigt wurde, weil er ihre Lustschreie für Hilferufe gehalten und versucht hatte, sie aus den Fängen des Typen zu befreien, mit dem sie gerade am Pool vögelte. Joplin entschuldigte sich am nächsten Tag, stellte ihn Jimi Hendrix vor, der ihm dann den Job als Manager von Alice Cooper besorgte. So beginnt die Legende.

Pink Floyd gehörten auch mal zu seinen Klienten. Allerdings nicht sehr lange, weil der Club, in dem er ihnen einen Auftritt besorgt hatte, abbrannte und die Band auf ihren Reisekosten sitzen blieb. „Ein paar Wochen später bekam ich eine schriftliche Kündigung von Nick Mason“, erinnert sich Gordon an das Intermezzo. „Die Absenderadresse lautete: Mason Towers. Ich war so beeindruckt, dass ich zu Alice sagte: ,Eines Tages werden auch wir in nach uns benannten Häusern wohnen!'“

So weit kam es zwar nie, aber Gordon machte Cooper zum Superstar – und sich selbst damit zum Multimillionär. Sein Erfolgsrezept für Alice war denkbar einfach: „An der Uni hatte ich gelernt, dass drei Dinge besonders starken kulturellen Einfluss haben: Gewalt, Sex und Rebellion. Alice sollte alle drei verkörpern.“ Und so schickte er die Band seines Klienten in durchsichtigen Plastik-Klamotten auf die Bühne, und rief dann die Polizei, auf dass die Musiker wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses verhaftet würden. „Leider erfolglos: Durch den Schweiß liefen die durchsichtigen Anzüge an. Bis die Polizei eintraf, gab es nichts mehr zu sehen.“ Andere Aktionen funktionierten besser. Beim Toronto Rock & Roll Revival ließ Gordon ein lebendes Huhn auf der Bühne los. Cooper schmiss es ins Publikum – und das warf es zurück, zerrupft in seine einzelnen Gliedmaße. „Überall Federn und Blut, ich wurde fast ohnmächtig“, stöhnt Gordon, fügt aber zufrieden hinzu: „Am nächsten Tag stand in der Zeitung ,Alice Rips Head Off Chicken! And Drinks The Blood!‘ Das hat uns bekannt gemacht.“

In London ließ er einen Laster mit einem überlebensgroßen Poster von Alice Cooper, nackt bis auf eine Boa Constrictor um die Hüften, mitten zur Rush Hour eine Panne am Picadilly Circus vortäuschen. Der Verkehr kam zum Erliegen, die Presse tobte über den „Absolutely Sick Horror Rocker“ – aber die Show in der Wembley Arena war innerhalb von wenigen Stunden ausverkauft, Coopers Single „School’s Out“ schoss in den UK-Charts auf Platz eins.

Auch anderen Klienten verhalf Gordon mit originellen Ideen zu Erfolg. Die biedere Folk-Sängerin Anne Murray ließ er mit den „Hollywood Vampires“ ablichten, einer illustren Truppe von strammen Zechern, die sich regelmäßig im Rainbow Bar & Grill am Sunset Boulevard trafen und zu denen unter anderem Harry Nilsson, Keith Moon, Micky Dolenz und John Lennon in seiner schlimmsten Phase gehörten. Das Foto von Murray mit Lennon und Konsorten ging um die Welt: Mit einem Knips war aus der grauen Maus ein It-Girl geworden. Für Soulsänger Teddy Pendergrass, den Gordon nur deshalb als Klienten gewinnen konnte, weil er nach einer dreitägigen Sex-und Koks-Orgie immer noch aufrecht stand, erfand er gar ein komplett neues Konzerterlebnis: „For Women Only“-Shows, in denen Frauen ungehemmt den „Sexy Motherfucker“ anschmachten konnten.

Überhaupt: Sex und Drogen! Auf einem alten Foto sieht man Gordon in einem T-Shirt mit dem Aufdruck „No Head, No Backstage Pass“ – hinter die Bühne kam man also erst nach mündlicher Prüfung. Das hat laut Gordon „sehr gut funktioniert“. Er war mit einem Playboy-Model verheiratet, ein paar Jahre mit Sharon Stone liiert, und denkt laut seinem Freund Michael Douglas „gerne mal mit seinem Unterleib und nicht mit dem Kopf“. Sylvester Stallone, auch ein Freund Gordons, geht davon aus, dass er untenrum „wie Long Dong Silver“ gebaut sein müsse …

Und Drogen? LSD, Koks, Pot, Alkohol, das alles gehörte laut Gordon „zur Tagesordnung“. In seinen Anfangszeiten im Landmark Hotel dealte er noch selbst: „Der Job als Manager war ursprünglich bloß ein Deckmantel für den Fall, dass die Polizei fragen sollte, woher mein Geld stammt.“ Willie Nelson beschreibt ihn im Film als einen der größten Kiffer überhaupt – und das ist in Nelsons Welt eines der größten Komplimente überhaupt. „Meinen ersten Trip habe ich mit 20 in Mexiko genommen“, erinnert sich Gordon im Interview. „Ich hatte einen Sack Peyote gekauft. Das Zeug galt als Rheumamedizin und wurde dort pfundweise vertickt. Ich mixte mir einen Trank, saß am Feuer, bis es erlosch. Allein mit meiner Willenskraft habe ich es wieder entfachen können, so stark war der Trip und meine Verbindung zur Natur. Es war ein einschneidender Moment in meinem Leben: Von da an wusste ich, dass ich fast alles kontrollieren könnte. Einen Star aus jemandem zu machen, ist nichts im Vergleich zum Entfachen eines Feuers.“

Mike Myers schüttelt in solchen Momenten nur ungläubig mit dem Kopf. „Es gibt immer noch Geschichten, die ich nicht kenne. Jeder Tag mit Shep birgt neue Überraschungen. Ich weiß noch, wie er mich zu einem Grillfest mit Arnold Schwarzenegger und Sylvester Stallone schleppte. Ich dachte, ich sei bei ,Madame Tussauds‘, nur dass da ein Schwein überm Feuer rotierte.“ Myers beschränkt sich während des Interviews vorwiegend auf solch knappe, witzige Einwürfe. Meistens hört er einfach nur staunend zu, und lässt Gordon, den er klar als väterliche Figur idolisiert, erzählen. Wie der sich mit seinem Nachbarn Cary Grant das Sorgerecht für eine Katze teilte, wie er Ridley Scotts ersten Film, „The Duellists“ produzierte usw. usf.

Natürlich gibt es auch dunkle Seiten im Leben eines Managers – und Gordon ist sich derer bewusst: „Ich habe mein Leben damit verbracht, Menschen berühmt zu machen. Aber Ruhm ist sehr ungesund. Es ist nahezu unmöglich, den Prozess unbeschadet zu überstehen. Ruhm an sich hat keinerlei Wert.“ Mitte der Siebziger zog Gordon langsam die Bremse: „Janis war tot, Jimi war tot, Jim Morrison war tot, Alice war in einer Entziehungsklinik. Das Leben in Los Angeles war zu schnell, zu ungesund geworden. Also zog ich nach Hawaii.“ Hier fand er Zeit zu reflektieren. Er lernte Kochen, tauchte in die Welt der haute cuisine ein, sorgte dafür, dass befreundete Köche wie Roger Vergé und Wolfgang Puck wie Rockstars behandelt wurden und investierte in Restaurants. Als Teddy Pendergrass 1982 bei einem Autounfall schwer verunglückte, war es Gordon, der dem Sänger eröffnen musste, dass er nie wieder laufen würde: „In diesem Moment fing ich an, meinen Job nicht mehr wirklich zu mögen.“ Gordon trennte sich von vielen Klienten, nahm keine neuen mehr an, hörte mit dem LSD auf, da das bei ihm „sowieso nicht mehr wirkte“, und begab sich auf die Suche nach dem wahren Sinn des Lebens, nach Familie und Freundschaft. Er beschäftigte sich mit Buddhismus, wurde Intimus des Dalai Lama, bewirtete und beherbergte auf Hawaii eine Armee von Freunden und heiratete eine attraktive Raw-Food-Köchin namens Renée Loux. Doch der Wunsch nach eigenen Kindern blieb unerfüllt, die Ehe ging in die Brüche.

Als Gordon während der Dreharbeiten zu „Supermensch“ nach einem Darmverschluss notoperiert werden musste und aus der Narkose erwachte, saß an seinem Bett einzig seine Assistentin. Es ist einer der anrührendsten Momente im Film, und darauf angesprochen, gibt Gordon zu: „Sicher, ich bin manchmal einsam. Einsamkeit war mein Leben lang ein Teil von mir, seit meine Mutter mir verbat, Freunde zu uns nach Hause einzuladen. Aber das überkompensierte ich ja später, und generell ist es eine glückliche Einsamkeit. Ich wünschte nur, ich hätte eigene Kinder.“

Dann zwinkert er: „Vielleicht klappt es ja, ich habe noch den einen oder anderen Schuss in mir …“

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