Überstehen ist alles

Springsteens E Street Band wurde 40, die Beach Boys 50 Jahre alt – und überhaupt bestimmen die alten Helden die Rockmusik wie noch nie

Ist es überhaupt noch eine Nachricht, dass weiße alte Männer die Rockmusik entführt haben? Doch – ungefähr so lange noch, wie in Berichten über Konzerte der Rolling Stones das Gesamtalter der auf der Bühne stehenden Musiker errechnet wird. Die Jubilare waren irgendwie immer dabei, aber so richtig zum Feiern war niemandem zumute, ihnen selbst wohl auch nicht. So warteten sie bis zum Ende des Jahres, warfen noch eine Anthologie auf den Markt, traten ein paar Mal auf und vertrösteten ansonsten aufs nächste Jahr.

Die Beach Boys dagegen hießen plötzlich Beach Boys 50, Mike Love hätte es sich wahrscheinlich auf die Mütze schreiben lassen – hatte er es sich nicht tatsächlich auf die Mütze schreiben lassen? Das Überleben selbst ist ein Triumph, aber diese stets scheinbar biederen Sonnenkönige spielten in der Royal Albert Hall 36 Lieder und standen dreieinhalb Stunden auf der Bühne.

Ähnlich lange hielten es Bruce Springsteen und die E Street Band im Hyde Park aus, am Ende wurde der Strom abgedreht, obwohl Sir Paul McCartney zu Gast war. Und bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele: Mike Oldfield! Ray Davies! Madness! Pet Shop Boys! Und Sir Paul McCartney! Nie war die Popmusik staatstragender, fuhr auf Streitwagen ins Stadion und illustrierte die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. „Waterloo Sunset“! „Going Underground“! „Our House“!

Eine DVD mit einem Konzert von Led Zeppelin im Jahr 2007 trieb rüstigen 60-Jährigen die Tränen in die Augen, die Alben der Beatles und von The Who wurden endlich wieder auf Vinyl veröffentlicht, und die Bananen-LP von Velvet Underground gibt es nach 45 Jahren im Schuber mit sechs CDs. John Cale, gerade 70 geworden, nahm ein Album mit krausen Sounds auf, gegen die seine früheren Arbeiten wie biederes Schnitzhandwerk anmuten. McCartney sang die Lieblingslieder seines Vaters. Und Scott Walker kehrte diesmal schon nach sechs Jahren zurück, um seine Klanginstallation „Bish Bosch“ vorzustellen: Radikaler und konsequenter als der alte Romantiker ist niemand von den Neutönern. Nur die Lebenszeit geht Walker aus.

Bob Dylan keuchte und krächzte seine selbstgemachten Weisen, Leonard Cohen brummelte „Old Ideas“, Bruce Springsteen wütete schwerfällig und rustikal gegen Finanzgauner und Viehdiebe, Neil Young beatmete Crazy Horse auf zwei Alben, Loudon Wainwright III bedachte die Zeit als solche und jene, die ihm noch bleibt. Nicht ganz eindeutig ist die Ironie der Selbstbespiegelung bei dem alten Hallodri Bobby Womack: „The Bravest Man In The Universe“ aber ist als ernsthafter Plattentitel sogar für sein erhebliches Ego etwas übertrieben. Chris Smither, John Hiatt und Ry Cooder hielten ihr hohes Niveau – Cooder beteiligte sich mit seinem höhnischen „Election Special“ sogar an der Romney-Verhinderung.

Kein Aufstand alter Männer also, aber die Oligarchie in der einst – und auf der Oberfläche der Dinge noch immer – von der Jugend dominierten Kultur. „Überstehen ist alles“, sagte Rainer Maria Rilke.

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