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Unfrieds Urteil: Sigmar Gabriel hat keine Chance!

Was auch immer der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel noch so alles wird: Kanzler wird er auf keinen Fall.

Beim Anblick des SPD-Vorsitzenden und Vizekanzler Sigmar Gabriel weiß man vielleicht nicht immer, ob man jetzt lachen oder weinen soll. Aber eines weiß man verlässlich: Kanzler wird der nicht. Dass und warum das an Gabriel liegt, wird an anderen Orten ausgiebigst analysiert. Vor allem auch in der SPD selbst. Es liegt aber an etwas ganz anderem: Daran, dass die Welt sich verändert hat, so sehr die SPD das auch ignorieren will.

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Gerade ist Gabriel nach den rechtsextremen Ausschreitungen in der Nähe einer Flüchtlingsunterkunft als Vizekanzler und erstes Mitglied der Bundesregierung ins sächsische Heidenau gereist, um dort mit Flüchtlingen zu sprechen.
Die Täter seien ein „Pack“, das nicht zu Deutschland gehöre, sondern „hinter Gitter“, röhrte Gabriel bei der Gelegenheit.

Lagerstimmung wie in guten alten Zeiten

Der richtige politische und gesellschaftliche Umgang mit einer steigenden Zahl von Flüchtlingen wird eine zentrale Frage der kommenden Jahre. Aber bei allem Respekt: Selbst wenn es Gabriel um die Sache geht, so ist es doch auch der Versuch, auf dem Meinungs- und Gefühlsmarkt des Umfragen- und Stimmungsjournalismus ein Produkt zu erzeugen. Faktisch wird dabei nichts gelöst, es geht darum, wer früher und entschlossener die Ausschreitungen „aufs Schärfste verdammt“. Wenn der Eindruck entstünde, es gebe einen anständigen moralisch handelnden SPD-Gabriel und eine unmoralisch zaudernde Unions-Kanzlerin Merkel, dann wäre das ideal. Lagerstimmung. So wie in der guten, alten Zeit. Ich sage nur: Willy Brandt.

Die Westdeutschen wählten zweimal sogar den autoritären Atom- und Pershing-Freund Helmut Schmidt. Weil er der Gute zu sein schien. Zumindest im Vergleich mit CDU-Chef Helmut Kohl und CSU-Chef Franz Josef StrauSS – wie man damals ideologisch etwas überspannt auf die „Stoppt StrauSS“-Buttons schrieb.

Der Rolling Stone-Reporter Hunter S. Thompson hing in jener Zeit wochenlang mit dem Erdnussfarmer Jimmy Carter ab, bis er so zugedröhnt war, dass er ihn für den richtigen Präsidenten hielt. Carter war halt der Demokrat. Damals dachten auch unabhängige und smarte Journalisten im Verlauf eines Wahlkampfes irgendwann, dass der Demokrat (Eugene McCarthy, Robert Kennedy, McGovern, Carter, Clinton) die Welt verbessern würde, der Republikaner (Nixon! Reagan!) sie aber verschlechtern. Dieses bipolare Denken ist spätestens seit 1989 ad absurdum geführt, selbst wenn die Weltverschlechterung dann durch George W. Bush wirklich kam.

Die Sozialdemokraten sind immer noch traumatisiert

Es ist relativ unvorstellbar, dass im deutschen Wahlkampf 2017 irgendwann der Eindruck entstehen könnte, mit Sigmar Gabriel ginge es in eine bessere Welt. Oder auch nur in eine bessere als mit Angela Merkel. Das liegt weniger an Gabriel, als an der Welt (komplex) und der SPD (unterkomplex). Bei der Sozialdemokratie nach Gerhard Schröder handelt es sich um eine stabile 25-Prozent-Partei. Das ist nicht schlecht für eine Realität, in der sie alles dafür tut, nicht größer zu werden.

Das Problem ist, dass die SPD so traumatisiert von ihrem letzten Bundeskanzler Schröder ist, dass sie nicht sehen will, warum es ihm als Letztem gelang, eine Allianz über die Partei hinaus zu schmieden, die von Gewerkschaftern bis Wirtschaftsbürgern reichte. Nicht der einzige Grund, aber ein wichtiger war: Schröder stand für mehr als SPD.

Die Paradoxie besteht darin, dass Gabriel, wenn überhaupt, nur als Schröder-artiger „Bigger than SPD“-Kanzlerkandidat eine Chance hätte.

Aber wer größer als die SPD ist, ist für die SPD nicht auszuhalten. (Das war auch bei Helmut Schmidt und Willy Brandt am Ende so).

Nun sagen manche SPD-Strategen gern, es brauche „wieder richtige Lager mit klaren, unterschiedlichen Positionen in den großen Fragen“. Links, rechts. Gut, böse, siehe oben. Aber das gibt die komplexe Gegenwart nicht her und schon gar nicht die Regierungsrealität, in der die SPD ein verlässlicher Juniorpartner der Union ist.

Und Rot-Grün-Rot als Hebel für eine gerechtere Gesellschaft? Wenn Gabriel mit Rot-Grün-Rot anträte, hätte die Union eine echte Chance auf eine absolute Mehrheit. Mal abgesehen von den bekannten Probleme: Es würden schlicht weitere Teile der links fühlenden Mittelschicht zu Merkel überlaufen.

Erfindung einer „Neuen Neuen Mitte“

Nein, die einzige Chance für Sigmar Gabriel wäre, in Weiterentwicklung des Slogans von Schröders „Neuer Mitte“ eine „Neue Neue Mitte“ zu erfinden. Eine, die in vielem sozialdemokratisch ist, das Gerechtigkeits- und Sicherheitsgefühl der Leute befriedigt und ihren Wunsch, dass sich nichts ändern möge. Und die von einer Partei exekutiert wird, die zwar auch keinen Durchblick hat, aber pragmatisch genug ist, um sich in den Unkalkulierbarkeiten der Gegenwart nicht selbst zu zerfleischen.

Das Problem: Diese Sozialdemokratie gibt es schon. Es ist Angela Merkels CDU.

Peter Unfried ist Chefreporter der taz.

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