Vom Eindruck zum Ausdruck

Das Hamburger Trio DIE HEITERKEIT polarisiert: Für die einen sind sie das Spiegelbild unserer Zeit, für die anderen ein pures Kunstprodukt

Zurück an die theke. Bei einem Konzert der Band Die Heiterkeit stehen einige ältere Herren wie Waldorf und Statler bei den Muppets mit Geheimratsecken und Bierflaschen im fiebrigen Berliner Club Monarch. Die Analogie ist einleuchtend, wird hier doch wahnwitzig geschimpft, geraucht, gefeilscht, getrunken und gepöbelt. Und während die leisen Rockstars aus Hamburg ruhig vor sich hintuckern, die älteren Herren sich ereifern, erlebt man, wie sich das jüngere Publikum im Verlauf des Abends vom hanseatischen Charme einspinnen lässt wie eine neugierige Fliege. Die Heiterkeit: Erfrischend wie nieselnder Regen, aber tückisch wie Gezeitenwechsel.

In Marlene-Dietrich-Tonart singt Stella Sommer an diesem Abend: „Alles ist so neu und aufregend/ Bier trinken in der Bar“. Weder ihr noch Rabea Erradi oder Stefanie Hochmuth fliegen dabei wild die Haare ins Gesicht. Exaltierte Performance und Attitüde sucht man besser woanders. Nicht weit von hier, sagen wir: unten auf der Straße am Kottbusser Tor. Auf der Bühne und vor andächtigem Publikum formulieren Die Heiterkeit derweil ihre Slogans: „Ihr seid mir ja so ähnlich/ wir sind wie Tag und Nacht“ oder „Du bist so süß wie man sein kann/ über mich kommst du hinweg“ oder „Alle Wege führen zu mir“. In ihrer zarten Überheblichkeit lässt sich hinter dieser ironischen Fassade ein Aufruf lesen: gegen das Oberflächliche, den Event oder das Flirren einer Generation sich anbietender Aufmerksamkeitsjunkies. Die Heiterkeit geben sich verbindlich persönlich, sind eher normal, aber äußerst interessant.

Die Heimat des Trios liegt an einer Theke im Souterrain der Hamburger Stresemannstraße 11. „Weil immer irgendjemand da ist, den man kennt“ kehren die drei Frauen auch immer wieder dorthin zurück, in die Bar mit dem Namen Mutter. Hier findet sich der Ursprung ihrer Lieder, der Beschluss, sich gemeinsam in den Proberaum zu sperren. „Für Töchter und Söhne“, liest man auf dem Weg zu den Toiletten; es beschreibt die Besetzungsliste eines gewöhnlichen Abends in diesem Keller, wo sich letzte Bankdrücker aus der Hamburger Schule treffen und gemeinsam Pils trinken, heute wie damals. „Man lernt Hamburgs alte Hasen kennen“, sagt Sommer, „man sieht sich immer wieder in der Mutter.“ Und macht sich bekannt und interessant – die Kreise sind klein.

Ein Jahr bastelte die damals noch namenlose Band in klassischer Trio-Besetzung an ihren Liedern. „Wir wollen ein Gegengewicht schaffen zu diesen ganzen gängigen Themen: Mir geht es so schlecht, ich wurde verlassen, bin so hässlich, so einsam“, erklärt Sommer. Und: „Wir sind eine Haltungsband.“ Ohne Facebook, YouTube und viele Konzerte. „Bands, die einen wirklich interessieren, kommen einmal im Jahr in eine Stadt. Die Leute gehen hin, weil sie wissen, dass es etwas Besonderes ist. Uns war schon klar, dass es funktionieren kann. Dass man sich nicht mit Demobändern und Auftritten anbiedern muss. Hier! Bitte beachtet mich alle!“

Das Projekt Band blieb also erst einmal eine ganze Weile lang geheim. Selbst dem engeren Umfeld wurde es nur in Bruchstücken angedeutet. Erst mit der Zeit einigt man sich auf den prägnanten Bandnamen. Als „Herz aus Gold“ nach anderthalb Jahren Komplizenschaft aufgenommen ist, wird die CD im Freundeskreis zunächst nur zaghaft herumgereicht. Auch dass sie für Ja, Panik im Vorprogramm spielen oder gemeinsam auf deren Label Nein, Gelassenheit eine Split 12-Inch veröffentlichen, klingt aus dem Mund der Heiterkeit höchst unspektakulär. Und doch: Schnell wird die Band gelobt und gefeiert. Musikjournalisten verlieben sich in die sympathischen drei, prominente Helfer schreiben Pressetexte, ein kleiner Mythos wird geboren. Den Rest kann sich jeder selbst ausmalen: gut besuchte Konzerte in Szenelokalen, Medienleute betrinken und Jungvolk begeistert sich.

Aber was ist nun das Tolle an Die Heiterkeit? Dass sie über die eigene Stadt einen Zugang zu ihren individuellen musikalischen Wurzeln fanden, zu einer eigenen Pop-Identität? In Düsseldorf prägt gerade verstärkt wieder Krautrock die Szene und im Norden ist es eben erneut (oder nach wie vor) die Hamburger Schule. Berlin besitzt ein solches Alleinstellungsmerkmal weniger – zu urban, zu unbeständig. Mitte der 90er-Jahre kam der regierende Sound auf jeden Fall aus Hamburg: Tocotronics analog verzerrte Parolen konnten ganze Horden von Jungs mit Frisuren, Trainingsjacken und Adidas Samba in Euphorie und Sinnkrisen stürzen. Da waren hagere Schmerzensmänner die ersten coolen Nerds seit über einer Dekade. „Michael Ende, nur du bist schuld daran, dass aus uns nichts werden kann“, schrie man in Mikrofone von Jugendzentren und Dorfdiskos. Nur, um Teil einer Jugendbewegung zu sein.

Die Dirk von Lowtzows, Jochen Distelmeyers und Frank Spilkers waren gebildete Mittelschicht-Kids und boten dem Establishment, Kleingarten und Spießer die Stirn. Bevor das später immer mehr Kunst und immer weniger Revolte wurde, standen sie Modell für eine dem Punkrock entliehene Gesinnung (und wurden, nebenbei, zur Marke ihrer Stadt). Heute, 17 Jahre nach „Digital ist besser“ in neuen Rollen, fungieren Tocotronic noch immer als Vorbilder und Funktionäre nachwachsender Stänker gegen jugendliche Blödheit.

So liegen Die Heiterkeit fest verankert im Hafen der hanseatischen Genealogie. Wie eine Rückbesinnung auf bodenständige, alte Werte mag das wirken, wie Nostalgie. In Wahrheit ist es aber eher ein Aufruf zu Individualität und zwischenmenschlichem Kontakt, zu Nähe. Ihren musikalischen Bezug wählen sie dabei nicht aus dem Netz irgendwelcher Trends, sondern aus der Tradition. Fragt man nach klangästhetischen Vorbildern, Inspiration oder Helden, ist die Antwort klar: „Pavement.“ Sehr wahrscheinlich, dass Tocotronic einst dieselben Helden hatten – als sie zwar ihre Instrumente weit weniger beherrschten, dafür aber immer noch selbst auf die Bühne tragen mussten wie heute Die Heiterkeit.

Was also ist denn nun das Tolle an Die Heiterkeit? Wenn aus dem Nichts eine junge Frauenband auf den Plan tritt, ist vor allem das männliche Interesse schnell da und ziemlich groß. Hübsche Deutschrock-Frontsängerinnen mit männlicher Begleitcombo (MIA, Wir sind Helden, Silbermond, Juli) hinterlassen im besten Fall noch ein müdes Gähnen. Die Heiterkeit hingegen verbannt die Herren ins Publikum. Nach eigener Aussage dürfte der weibliche Anteil an Fans bei maximal dreißig Prozent liegen. Was gar nicht so erstaunlich ist: Die Heiterkeit macht Musik für Männer. Oder anders: die drei Frauen machen Musik, die sonst üblicherweise eher männliche Zuhörer hat. Konzertbesuchende und Heiterkeit hörende Männer sind solche, die sich Frauen wünschen, die mit ihnen an der Theke sitzen, tough sind, aber nicht zu tough, sondern eher so noch-ein-Bier-um-sieben-tough. Und tough sind die drei heiteren Musikerinnen tatsächlich: An der Theke wehren sie sich mit flotten Sprüchen gegen Männer, die alles (besser) wissen und einordnen und bemäkeln.

Aber: „Die krassesten Verrisse, die krassesten Interviewfragen kommen immer von Frauen“, verrät Stella Sommer. Auf Bezeichnungen wie „Frauenpop“ oder „Deutschrock-Girls“ reagiert sie wie eine Allergikerin auf einen Bienenstich. „Offenbar können sich manche nicht vorstellen, dass alles aus uns selber kommt, und dass nicht irgendjemand sagt:, Macht das mal so'“, ergänzt Hochmuth, „das ist sexistisch und anmaßend.“ Und ein Beleg dafür, wie sehr Die Heiterkeit polarisiert.

Sie seien dilettantisch, auch das ist häufig zu hören, wenn von Die Heiterkeit die Rede ist. Als Vorwurf, nicht als Beschreibung. Auch wenn das erkennbar Teil ihres Bandkonzeptes ist. Oder dass da wohl doch eine starke, maskuline Hand im Hintergrund sei. Nein? Echt nicht? Tatsächlich aber erobern die drei Frauen Boden auf vermeintlich männlichem Territorium: Rockmusik und Kneipe. „Die Haltung einer Band kann sich auch in Selbstbewusstsein ausdrücken“, sagt Hochmuth, die selber im Szenelokal Uebel & Gefährlich arbeitet. Es geht um nichts als sie selbst, als Teil einer Stadt, Teil einer Szene. Und übrigens: Ihre Vor- und Nachnamen sind echt wie sie selbst.

Henrik Boerger

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