Vom Rücksitz eines Cadillac

Hätte sich Hank nicht ins Loch gesoffen, wäre er heute 75 Jahre alt Sein letzter Crossover-Hit läge 20 Jahre zurück, sein letztes Major-Label-Album derer zehn. Vom Country-Radio ausgemustert, erginge es dem größten Songwriter der Country Music nicht anders als ihrem größten Sänger. Wie sagte noch der A & R-Mann von Epic, der George Jones vor die Tür setzte? „Mein Herz blutet“, gab er kund, „aber George paßt einfach nicht mehr in unsere Produktpalette.“ Zu alt, zu echt, zu Country. Auch dem „Hillbilly Shakespeare“ hätte ein solches Schicksal geblüht, früher oder später, und ganze Sturzbäche von Krokodilstränen wären darüber vergossen worden in Nashvilles Music Row.

Nicht nur diese Demütigung ist Hank Williams erspart geblieben. Kein Klinkenputzen, kein Kotau, keine Krümmung. Keine Duette mit Julio und Bono. Vielleicht hätte er verhindern können, daß Hank Jr. zum Republikaner-Hardliner und Schlock-Rocker degeneriert. Eher nicht, stand er doch selbst zeitlebens unter der Fuchtel. Mutter Lillys Mahnungen und Gattin Audreys Ehrgeiz waren es, die ihn vorwärts trieben, in die Arme der Publisher und Profiteure, in die Dämmerwelt von Amphetaminen und Alkohol. Als Hank unter deren Einfluß am Neujahrsabend 1953 im Alter von 29 Jahren auf dem Rücksitz eines Cadillac sein Leben aushauchte, löste er damit die Eintrittskarte in jenes Reich, in dem das Moos mythischer Verklärung gnädig wuchert und wo jedes halbwegs talentierte Teilzeit-Arschloch als Genie geführt wird. Namen? Kein Platz, es sind zuviele.

Biograph Colin Escott bringt es auf den Punkt: „The tragedy of Hank Williams‘ death wasn’t that it was avoidable, but that it was unavoidable.“ Nicht einmal eine schöne Leiche hinterließ der Erfinder des Hillbilly Cool, der umjubeltste Popstar seiner Zeit. 20 000 Menschen nahmen an seiner Beerdigung teil, ein Indiz nur für die Richtigkeit seines Ehrentitels: Poet Of The People. Unwiderlegbare Beweise dafür gibt es genug. Es sind die Songs, die Hank hinterließ. Gelebte Songs von spartanischem Zuschnitt, dunkel oder lakonisch, zweifelnd oder verzweifelt, an der Welt oder an sich selbst: „You have no heart, you have no shame/ you take true love and give the blame/ 1 guess that I should not complain/ 1 love you still, you win again.“

Fatal addiction.

Vorgetragen mit dieser hohen und twangigen, klagenden, durchdringenden und stets einsam klingenden Stimme, bilden diese Songs den unsterblichsten aller Songwriter-Nachlässe, ein Vermächtnis, das einen mächtigen Schatten wirft über die amerikanische Kultur, literarisch wie musikalisch. Und nun ist Hanks Werk mal wieder aufbereitet worden, nicht allzu protzig und klotzig zum Glück, aber halt in der hermeneutischen Form eines Boxed Set mit 10 CDs, 225 Tracks, Buch, Postkarten und dem ebenso prahlerischen wie irreführenden Titel: „The Complete Hank Williams“. Was fehlt, sind etliche Aufnahmen aus den „Health & Happiness Shows“, den „Mother’s Best Flour Shows“ sowie anderer Radioprogramme, ohne die Hanks kurze Karriere wohl noch kürzer ausgefallen wäre.Was die Box indes bietet, ist beachtlich. Mehr als 50 bislang unveröffentlichte Tracks, Demos zumeist oder frühe Takes, Ausschnitte aus Radiosendungen und Live-MateriaL Allein das im November 1949 in Berlin (!) vor begeisterten G.Ls aufgenommene „Move It On Over“ ist beinahe jede Investition wert, ein Zungenschnalzer für Hankophile sowieso, und ein weiterer Beleg dafür, daß der Rockabilly eine evolutionäre Entwicklung genommen hat (auch wenn Elvis der Evolution im Sommer 1954 kräftig in den Hintern treten mußte).

Das beiliegende Buch zitiert zahlreiche Kollegen und Zeitgenossen des Mannes aus Alabama, und alle verneigen sich artig bis ehrfürchtig. Erhellend ist die Charakterisierung von Tillman Franks, der Hank und Elvis erlebte und beide miteinander vergleicht. „Elvis could mastermind“, schreibt et Presley habe einen Rapport mit dem Publikum gepflegt, habe manipuliert, Elektrizität erzeugt und die Funken sprühen lassen. Williams dagegen habe in sich hineingesungen und sich das letzte Tröpfchen Gefühl abgerungen. „Hank didn’t try to figure nobody out.“

Ganz phantastisch sind die Photos im geschmackvollen Duotone-Booklet, die musikologischen Ausführungen von Colin Escott, der Essay von Daniel Cooper. Der schale Nachgeschmack kommt von der ganzen gottverdammten, megapraktischen und sinnabweisenden Komplett-Mentalität, die Musik zu Mobiliar degradiert. Hab‘ ich alles, brauch‘ ich nichts mehr.

Die frevelhaften postumen Nachbearbeitungen zumindest bleiben unberücksichtigt, die Streicher und Chöre außen vor. Statt dessen barmen nur Hank und seine Gitarre. Digitalisiert, mit Knistern und Rauschen.

Are you swe Hank done it this way?

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