Von Karrierewegen und Schreibprozessen: Das Damen-Duo Boy ist mit neuem Album zurück

Vor vier Jahren lieferten sie den schönsten Sommerhit und verschwanden. Nun ist das Frauenduo mit dem Jungsnamen endlich zurück. Hat sich das Warten gelohnt?

Valeska Steiner und Sonja Glass verwüsten keine Hotelzimmer. Sie rauchen nicht, trinken wenig und nennen sich Boy. Auf Tour durch die USA werden sie weder von DEA-Drogenfahndern noch von Groupies behelligt. Dabei kennen sie das internationale On-the-road-Gefühl weit besser als die meisten ihrer deutschsprachigen Musikerkollegen.

Boy hatten Auftritte in Japan und Däne­mark, spielten im Pariser Olympia und in der Great American Music Hall in San Francisco. Und nicht nur in Minneapolis hat das amerikanische Publikum ihren 2011er Hit „Little Numbers“ Zeile für Zeile mitgesungen. „Ihre geschmeidige Handwerkskunst klingt in den Songs fast arglos und unschuldig“, notierte die „New York Times“ nach Boys Auftritt im Songwriter-Mekka Joe’s Pub an der Lafayette Street.

Valeska Steiner und Sonja Glass sind ein ausgesprochen aussichtsreiches Indie-Duo mit Lebensmittel­punkt Hamburg, das kaum etwas von dem hat, was man gemeinhin mit den wenigen größeren Pop-Exporten aus Deutschland verbindet: nichts Elektronisches, kein teutonisches Grollen, keine Kunst-Avantgarde, kein Modern Talking. Sie spielen einen fluffig-luftigen Folkpop, der sich auch mit der Klampfe auf dem Barhocker aufführen lässt. Eine gemeinhin angloamerikanische Domäne, die sie in einer Zeit, in der Deutschpoeten wieder gefragt sind, englisch singend für sich erobert haben. Und sie können nichts dafür, dass ihr Überhit „Little Numbers“ nach über 14 Millionen Video-Clicks und Top-5-Platzierung selbst in
Japan auch als hübscher Werbesong für eine Halbfettmargarine durchgehen könnte.

Valeska Steiner seufzt. Sie ist 29, hat lange, blonde Haare und kommt aus einer kosmopolitischen Schweizer Familie. Als Songschreiberin mit dem Mundartbarden Adrian Stern an der Gitarre galt sie um 2005 herum als Zürcher Nachwuchs-Darling. Im Netz gibt es noch ein Foto von ihr aus dieser Zeit, das sie als ernst dreinblickende Folk-Heroine zeigt. An der Waterkant suchte sie neue Inspiration und blieb dort hängen.

Sonja Glass ist 37, hat lange, schwarze Haare und ist zugezogene Hanseatin, die auf der Kunsthochschule im niederländischen Arnheim E‑Bass studierte und sich danach ihre Brötchen als Tourmusikerin verdiente. Bei einem Workshop der Hamburger Musikhochschule lernten sie einander kennen und schätzen. Seit sieben Jahren arbeiten sie nun zusammen – vor vier Jahren veröffentlichten sie ihr erstes und lange einziges Album, landeten mit „Little Numbers“ einen Hit, der schleichend seinen Weg über Europa bis nach Asien und in die USA fand.

Nun sind Boy wieder da – und sie covern bei den Zugaben ihrer Konzerte „Lonely Boy“ von den Black Keys. Doch auf die Frage, wie viel Rock’n’Roll in ihnen stecke, müssen Valeska und Sonja erst mal lachen. „So Nirvana-mäßig, oder wie?“ Nein, für sie ist „Lonely Boy“ bloß ein schöner Song, der gut swingt und in ihrer Version ungemein federnd daherkommt. Selbst der „Ohohohoo“-Refrain wirkt leicht und so gar nicht breitbeinig. Boy sind ja auch alles andere als böse Mädchen (oder Prinzessinnen). Eher Streberinnen der sympathischen Sorte.

Wenn sie von ihren USA-Erfahrungen sprechen, dann von der Weite des Landes, den kulturellen und klimatischen Unterschieden, von endlosen Fahrten im Nightliner. Vor 2010 und ihrer selbst produzierten EP, „Hungry Beast“, haben Boy durchaus erlebt, was es heißt, sich durchzubeißen in den Mini-Clubs der Provinz. Alles eine Frage von Disziplin und Talent. Tugenden, die auch im Ballett geschätzt werden. Oder in der Klassik. Abgründe und Exzesse interessieren sie so wenig wie feministischer Rrriot-Radau. Ihr Antrieb zur Kunst kommt woandersher. „Unsere größte Freude ist einfach, wenn wir uns in Musik ausdrücken und ein Gefühl auf den Punkt bringen können. Wir suchen perfekte musikalische Momente, die ganz bestimmte Lebenssituationen widerspiegeln “, sagt Valeska Steiner.

Die beiden sitzen im Seitentrakt der berühmten Berliner Hansa Studios, um über „We Were Here“ zu sprechen – sagenhafte vier Jahre hat es vom Debüt bis zum zweiten Album gedauert. Nun absolvieren sie ein über vier Städte durchgeplantes Interviewprogramm, das zeigt, wie hoch die Erwartungen an dieses so radiotaugliche wie ungewöhnliche Duo sind. Dennoch lassen sie sich weder Müdigkeit noch Genervtheit anmerken. Sie sind aufgeweckt und schlagfertig und ergänzen sich wie Simon und Garfunkel. Steiner neigt zu adretten Blusen, Glass eher zu funktionalerem Gewand. Glass ist die Handfestere, prescht voran. Steiner wartet erst mal ab, antwortet aus der Texterperspektive, wobei sie sich die Antwortblöcke gegenseitig wie bei einer Stafette übergeben. Das Rollenspiel auf der Bühne zwischen Instrumentalistin und Sängerin setzt sich im Gespräch fort. „Ich habe mich bei der Albumproduktion ungemein frei gefühlt, weil ich das Gefühl hatte, alles machen zu können“, kommt Steiner noch einmal zurück auf die Frage nach dem Rock’n’Roll-Moment bei Boy. „Ich weiß aber nicht, ob man das Rock’n’Roll nennen darf.“ Und Sonja Glass ergänzt: „Über Wochen ist dann Musik das Wichtigste im Tages­ablauf: weil du alles gibst, weil du nur darüber nachdenkst, welchen Ton du auf dieser oder jener Gitarre spielst.“

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