„Wall Street“: Arne Willander hat zum Kinostart der „Fortsetzung“ noch einmal das Original geschaut.

Oliver Stones Meisterwerk "Wall Street" definierte die 80er-Jahre von den Hosenträgern über Angeber-Kunst und Talking Heads bis zur Sushi-Maschine. Eine Wiederbesichtigung von Arne Willander.

Im Vorspann umkreist die Kamera die Türme des World Trade Center als phallisches Zentrum eines hybriden Reiches. In goldenes Licht getaucht sind die Staten-Island-Fähre, die Brücken, die U-Bahnen. Und beim Blick ins überfüllte Innere eines Waggons sieht man zum ersten Mal die mit Gel angeklatschten Haare, zuerst von hinten. Dann sehen wir den Mann, der dazu gehört: Bud Fox (Charlie Sheen) ist auf dem Weg zur Wall Street, macht den obligaten Witz mit der Empfangsdame, geht zu seinem Platz in den Reihen der Börsen-Broker. Nebenbei sehen wir auch einen ausgebrannten Veteranen: „Irgendwann kam ich hierher und setzte mich auf diesen Stuhl, und seitdem sitze ich hier.“ So will Bud Fox nicht werden. Wir lernen seinen launigen Kollegen Marvin kennen und seinen Chef, der mit schwingendem Spazierstock durch die Reihen geht. Der Film ist keine 15 Minuten alt, da sitzt Bud mit seinem Vater Carl (Martin Sheen) in einer rustikalen Kneipe und sagt dem Alten zwei Dinge. Erstens: „Es heißt jetzt Pasta; Spaghetti gibt es nicht mehr.“ Zweitens: „Es ist heute nichts Ehrenvolles mehr, arm zu sein, Dad!“

Der Vater, redlicher Gewerkschaftsvertreter bei einer Flugzeugfirma, wird Bud den Weg zu Gordon Gekko (Michael Douglas) ebnen. An Gekkos Geburtstag bekommt er seine fünf Minuten, überreicht die Havanna-Zigarren und macht brav seine Vorschläge. Gekko misst seinen Blutdruck („Ist billiger als zum Arzt zu gehen“), während er zuhört. „Von hundert Ideen am Tag wähle ich eine aus!“ prahlt Michael Douglas, die breiten Hosenträger über dem hellblauen Hemd, Schwitzflecken unter den Achseln. „Reiß ihnen die Zunge heraus!“ ruft er zwischendurch seinem Assistenten zu. „Lunch ist für Verlierer“, belehrt er Fox. Als der das Büro verlässt, beachtet Gekko ihn schon nicht mehr.

Am nächsten Tag aber bekommt Fox einen Anruf; bald darauf trifft er Gekko in seinem Stamm-Restaurant (Lunch?) und bekommt ein großes Beef Tatar mit einem kreisrunden Eigelb serviert; dann schwitzt er mit Gekko beim Squash und in der Sauna und wird unterrichtet: „Die feinen Herrschaften lieben die Tiere mehr als die Menschen.“ Gekko kommt nicht von einer Elite-Universität, er hat sich überall eingekauft.

Gekko ist also der satanische Meister für den Lehrling Fox, schickt gleich eine Edeldirne, und im Fond der Limousine schnupfen sie Kokain vom Löffelchen und trinken Rotwein, bevor es an den Hosenlatz geht. Fox soll den britischen Investor Larry Wildman ausspionieren, der von dem Briten Terence Stamp gespielt wird. Die beiden Alpha-Tiere umschleichen einander dann in Gekkos Wohnung, sie fauchen und drohen. Fox lernt die Innenarchitektin Darien Taylor (Daryl Hannah) kennen, kauft ein Apartment mit Blick über Manhattan, schafft zeitgenössische Malerei an und eine Sushi-Reis-Maschine; dann sieht man die pittoresken Silhouetten von Hannah und Sheen auf dem Bett. Zu spät merkt Bud, dass Gekko Vaters Firma abwracken will. Carl – der natürlich alles kommen sah – erleidet einen Herzinfarkt, und der Sohn weint an seinem Krankenbett.

In den überkandidelten Dekors mit asymmetrischen Möbeln und Schnickschnack an den Wänden ist niemand behaust; Old-Economy-Carl schnuppert skeptisch an einem Thunfisch-Nigiri, und auch der Übernahmeplan stinkt ihm. Gekko will einen Teller abstellen, der zu Boden fällt, weil der Tisch keine Platte hat. Im Hintergrund läuft „This Must Be The Place“ von den Talking Heads, ein Stück von der Platte „Speaking In Tongues“ (1983), die natürlich ein artsy Cover hat. Von Gekko heißt es, er habe einen glänzenden Kunstsinn und kaufe immer das Richtige.

Seine größte Kunst ist aber die Überredung: In der legendären gro-ßen Rede vor den Aktionären – die Kamera umkreist Douglas – düpiert er den Vorstand, inszeniert sich als Wohltäter und preist die Gier als „Kern allen menschlichen Fortschritts“: „Die Illusion ist Wirklichkeit geworden. Ich erschaffe gar nichts“, erklärt er Fox, als der ihn anklagt. „Ich besitze.“

Millionen wollten sein wie er.

Arne Willander

Lesen Sie morgen auf www.rollingstone: Die Filmkritik von Oliver Hüttmann zu „Wall Street 2“ und das große Interview mit Michael Douglas.

Ab morgen im Kino: „Wall Street 2 – Geld schläft nicht“

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