White Boyz in the Hood

Für die Generation, die mit Public Enemy oder Run-DMC groß wurde, ist der Rap keine Frage der Hautfarbe. Was nun eine neue Riege weißer MCs unter Beweis stellen möchte - so der Dr. Dre-Protegé Eminem, Wu-Tangs Entdeckung Remedy sowie Everlast.

Für die Generation, die mit Public Enemy oder Run-DMC groß wurde, ist der Rap keine Frage der Hautfarbe. Was nun eine neue Riege weißer MCs unter Beweis stellen möchte – so der Dr. Dre-Protege Eminem, Wu-Tangs Entdeckung Remedy sowie Everlast Remedy, neuestes Mitglied der ausgedehnten Wu-Tang Clan-Familie, rollt sich einen ‚dicken Joint, während der Junge von der Tankstelle seinen grasgrünen Audi Quattro blitzblank poliert und aus der Stereoanlage fette Beats von seinem gerade fertiggestellten Debütalbum quellen. Der 27 Jahre alte Rapper relaxt nach bewährtem Wu-Muster: mit seinem Kumpel Qock an der Waschstraße, nur fünf Minuten entfernt von den Straßen, auf denen die härteste Rap-Crew der Ostküste aufwuchs. Anders als die Wu-Tang-Kollegen ist Remedy nicht nur weiß und Jude, sondern außerdem Sproß einer der prominentesten Familien auf Staten Island. „Eine Menge schwarzer Typen denken, sie hätten mehr Durchblick als ich. Die versuchen noch nicht mal, mich mit Respekt zu behandeln“, sagt er. „Das geht mir manchmal selbst mit Wu-Tang-Leuten so. Typen, die mich nicht kennen, schauen mich an, als wollten sie sagen, ,Was hat dieser Bursche hier überhaupt zu suchen? 4 “ Im Frühjahr kommt Remedys erstes Soloalbum auf den Markt, coproduziert von Clanchef RZA, der sich auch gleich an zwei Tracks beteiligte: Grooves auf dem einen und Rhymes auf dem anderen. Außerdem gibt es Gastauftritte von den Wu-Tang-Größen Cappadonna und Inspektah Deck. Remedy gehört zu einer Reihe vielversprechender weißer MCs, die fest entschlossen sind, 1999 ganz groß rauszukommen. Non Phixion werden ebenfalls im Frühjahr ihr erstes Album abliefern, und RA die Rugged Man, ein Rapper aus Long Island, der sich bereits Reimgefechte mit dem inzwischen verstorbenen Notorious B.I.G. lieferte, veröffentlicht seinen Solo-Erstling aufPriority Records, der Label-Heimat von Ice Cube und MacklO. Auf der anderen Seite des Kontinents stand vor kurzem Dt Dre mit Eminem im Studio, einem jungen weißen Rapper, der letztes Jahr mit seiner selbstproduzierten EP für Furore sorgte. Eminems „richtiges“ Debüt, das von Dre produzierte Album „Slim Shady“, soll im Februar in die Läden kommen. Was zählt, ist Talent, nicht die Hautfarbe, meint Dre. „Das hat nichts mit Rassismus zu tun. Um ehrlich zu sein, die meisten weißen MCs sind einfach nicht gut genug. Ein schwarzer Eishockey-Spieler könnte sich ja auch nicht auf den Wirbel verlassen, den die Medien um ihn machen – wenn der auf dem Eis nichts bringt, ist er nach fünf Minuten weg vom Fenster.“ Als wollte er Dr. Dre Argumentationshilfe leisten, hat sich Everlast mit seinem kürzlich veröffendichtenSoloalbum“^ifeyiwt/Sings7Äeß/Hes a als einer der erfolgreichsten Vertreter der weißen Rap-Schule etabliert. Everlast, früher MC der White-Rap-Ikonen House Of Pain, deren 92er-Hit „Jump Around“ noch heute auf jeder anständigen HipHop-Party gespielt wird, führt die Renaissance weißer Rapper auf simple Evolution zurück. „Wir haben es jetzt mit einer Generation zu tun, die mit nichts als Rap und HipHop aufgewachsen ist. Kein Wunder, daß die jetzt mehr draufhaben als früher.“ Selbst ehrwürdigste und konservativste HipHop-Autoritäten sind sich inzwischen einig, daß die Rassenschranken im Rap endlich fallen müssen. „Ach, weißt du“, meint Public Enemy-Boß Chuck D, „Rap gibt es jetzt schon seit zwanzigjahren, da ist es doch wirklich völlig egal, wie jemand aussieht oder wo er herkommt Die Musik hat alle gesellschaftlichen Schichten durchdrungen. Bloß weil jemand schwarz ist, hat er nicht automatisch mehr Ahnung von HipHop.“ Tatsächlich macht seit einiger Zeit eine ganz neue Schule weißer Rapper von sich reden, zu der neben Non Phixion und RA The Rugged Man so vielversprechende Talente wie Necro, Cage, The High and Mighty, oder Multikulti-Mannschaften wie Company Flow und Dilated Peoples gehören. In der Vergangenheit mußten sich weiße Rapper zumeist mit einem Mauerblümchen-Dasein begnügen. Echte Erfolge waren ran die Beastie Boys hievten 1986 mit JLicensed To IW das erste Rap-Album an die Spitze der Charts, 3rd Bass und House OfPain reüssierten im Crossover-Bereich. Doch es gab auch Rückschläge wie Vanilla Ice und Marky Mark, und hin und wieder auch die reine Peinlichkeit – weiße Möchtegern-B-Boys, die The Ofispring mit ihrem Hit „Pretty Fly (For A White Guy)“ gerade gnadenlos ins Visier nehmen. Kein Wunder also, daß weiße MCs es nicht gerade genießen, wenn man ihnen nur wegenihrer Hautfarbe Aufmerksamkeit schenkt. El Producto von Company Flow wollte sich zu diesem Thema nicht einmal mehr äußern. „Auf so was laß ich mich nicht mehr ein“, meint er. „Ich habe keine Lust, diesen Mist durch irgendwelche Kommentare auch noch zu unterstützen.“ Bands wie 3rd Bass und House Of Pain können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß auf jeden Beastie Boy weiterhin Dutzende zwekrangige Figuren kommen, die kaum eine Fußnote wert sind. Die Liste wirklich wichtiger weißer Rapper ist noch immer ziemlich kurz. „Im HipHop-Universum sind wir die verdammten Aliens“, wettert 111 Bill von Non Phixion. „Aber die werden sich noch wundern – weiße Kids haben jetzt auch jede Menge guter Rhymes drauf.“ Das würde man bei diesem Trio auf den ersten Blick nicht unbedingt vermuten. Necro und IU Bill sind Sprößlinge israelischer Einwanderer, und die Mutter von Goretex, dem Dritten im Bunde, erzog ihren Sohn schließlich im jüdischen Glauben, nachdem sein mexikanischer Vater das Weite gesucht hatte. Non Phixion haben aus ihren familiären Wurzeln einen neuen Slang entwickelt. „Wenn ich irgendwelche jiddischen Insider-Begriffe verwende, verstehen HipHop-Fans das vielleicht nicht auf Anhieb, aber sie wissen, daß es authentisch ist“, erklärt Goretex. „Meistens kommt es verschlüsselt oder in irgendeinem beliebigen Satz versteckt daher. Zum Beispiel wie in: ,Religious cats be thinking Monsey 1 – Monsey ist ein Urlaubsort in Upstate New York, wo nur die echt durchgeknallten orthodoxen Juden hinfahren. Das interessiert die Leute, sie wollen rausfinden, wovon zum Teufel ich eigentlich rede.“ Wenn die Welt herausbekommt, wovon Eminem so redet, wird sie vielleicht weniger begeistert sein in Dr. Dres Lieblingstext seines hellhäutigen Proteges vergnügt sich Eminem in einer Fantasie-Orgie mit der massakrierten Nicole Brown Simpson. „Der läßt derart abgefahrene Sachen ab, Mann, von denen andere MCs nicht mal zu träumen wagen dürften“, schwärmt Altstar Dre. „Er ist einer der besten MCs, mit denen ich je gearbeitet habe.“ Das ist ein hohes Lob von dem Mann, dessen Beats einst keinen Geringeren als Snoop Dogg und N.W.A. aus den Startlöchern halfen. Dre behauptet, Eminems Hautfarbe habe ihn nicht mal eine Sekunde lang gestört. „Wenn ich den Leuten Eminems Sachen vorspiele, dann sage ich ihnen natürlich nicht, daß er weiß ist, und jedesmal heißt es: ,Who die fuck is that?‘ Ich finde, es ist sogar eher ein Vorteil für ihn, nicht schwarz zu sein, weil er sich damit eher den ,alternativen‘ Markt sichern kann.“ Das hört Eminem wiederum weniger gern: „Scheiß‘ auf die Leute, die mich in diese White-Rapper-Schublade stecken. Bis jetzt haben sie weiße Rapper immer vorgeführt wie blöde Zirkusaffen. Ich denk da anders. Wenn sie mich rausbringen wollen, dann sollen sie mich als Rapper rausbringen und gefälligst nur danach gehen, was ich kann. Als Dre das erste Mal mit mir aufkreuzte, heulten seine Mitarbeiter alle auf: ,Um Gottes Willen, bloß keinen weißen Rapper!‘ Aber Dre meinte nur: ,Ist mir scheißegal, ob dieser Typ blau, grün oder gelb ist, das wird mein nächstes Projekt!'“ Wer zwischen zwei völlig verschiedenen Welten lebt, meint Eminem, ist in der Lage, beide unvoreingenommener zu sehen. „Ich weiß, wie’s da draußen in den Vororten zugeht und ebenso hier drinnen in der inner city -weil ich nämlich beides durchgemacht habe.“ Auch Remedy ist überzeugt, daß jeder Rapper, egal welcher Rasse er angehört, ein Produkt seiner Umgebung ist. „Wenn ich auf dem Land aufwachsen würde, könnte ich auch versuchen, Rapper zu werden, aber sehr weit würde ich damit wahrscheinlich nicht kommen. Rap gehört auf die Straße, und das Gefühl für die Straße kriegst du nur, wenn du dich da früh genug rumgetrieben hast.“ Anfang der neunziger Jahre, als RZA dem aufstrebenden Jung-Rapper zum ersten Mal begegnete (damals hatte Remedy Demos produziert und kurzzeitig mit EPMDs Erick Sermon zusammengearbeitet), bestritt dieser seinen Lebensunterhalt hauptsächlich als Pot-Dealer und drückte sich auf Hinterhöfen herum. RZA erkannte schnell, daß er mit Remedy einen echten Fang gemacht hatte: „Der steht auf Geld und auf Weiber, und vor allem hat er das Wu im Herzen. Remedy sagt, was Sache ist.“ Trotz seiner bunten Vergangenheit stammt Remedy eigentlich aus einer betuchten und äußerst einflußreichen Ostküsten-Familie: Seinem Onkel gehört der Atalanta-Konzern, ein internationaler Lebensmittelvertrieb, sein Vater ist ein Immobilien-Mogul, der dem Wu-Tang Clan seinen noblen Landsitz in New Jersey, Wu Mansion, verschaffte. Mit anderen Worten: Wenn Remedy auf seiner Indie-Single „Seen It All“ von ^jeder Menge Kohle in der Schweiz“ prahlt, dann macht er nicht unbedingt Witze, sondern weiß, was er da abläßt. Doch trotz seiner ultrahippen Klamotten und einem lupenreinen HipHop-Vokabular weiß auch Remedy ziemlich genau, was er ist, und was er nicht ist. Zum Beweis wirft er eine Kassette mit einem seiner neuen Songs ein, „Love Is Love“, der genau dieses Thema behandelt und überraschend viel Sympathie für seine weniger realistischen Rapper-Kollegen aufbringt: „To the fake MCs that swear they could rap/For all those cats that love to talk yak/For all those white kids that wanna be black/Love is still love, y’all/I got your back.“ ,,Ich versuche gar nicht erst, schwarz zu sein“, sagt er. „Ich bin gern weiß. Und ich weiß auch, wer ich bin. Um als MC etwas rüberzubringen und mit seinem Publikum kommunizieren zu können, muß man wissen, wer man ist.“ Für Eminem ist es die traditionell tabubrechende Natur des HipHop, die Menschen und Kulturen zusammenbringt. „Wenn es eine Musik gibt, die die Rassenschranken überwinden kann, dann ist es definitv HipHop“, sagt Eminem. „Denn wenn ich auf der Bühne stehe und ins Publikum schaue, sehe ich Schwarze, Weiße, Chinesen, Koreaner. Lauter verschiedene Nationalitäten. So was siehst du nicht bei einem Rockkonzert und erst recht nicht bei irgendwelchen Country-Dudlern. Das schafft einzig und allein HipHop.“ J3

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