Wildwest als Kindheitstraum

Das Mex-Flair und die Tex-Attitüde, die sich so schön unterschwellig durch das aktuelle Bluetones-Repertoire ziehen, sind natürlich nicht aus erster Hand. Folk braucht Authentizität, Pop lebt von Zitaten. Und die finden sich überall, sogar in einer zum Übungsraum umgebauten Garage im diesigen Hounslow. Die Vorstellungskraft bekomme Flügel, wenn man als kleiner Junge in einer grauen Vorstadt sitze und an ausgedehnte Reisen nicht im Traum zu denken sei, sagt Bassist Scott Morriss, „it’s a childhood fantasy“.

Sein Bruder Mark, Sänger und Texter der Band, hört viel Country Rock, liebt Gram Parsons. Auch das habe sicher zum Prärie-Pop beigetragen. „Den entscheidenden Kick“, offeriert Gitarrist Adam Devlin, „gab uns Sam Peckinpah. Wir saßen nächtelang vor dem Fernsehei; schwelgten in diesen Western und tranken Tequila. Später, im Studio, drängten sich dann Bilder auf, die in unserem kollektiven Gedächtnis herumspukten. Eins führte zum anderen, wir brauchten es nicht einmal lange zu diskutieren. We werejust trying to create a mood.“

Hinübergeflogen sind sie dann auch, können sich sowas nach diversen Hit-Singles, einem die UK-Charts toppenden Debüt-Album und mehr als einer Sell-Out-Tournee jetzt auch leisten. Der Südwesten hat sie magisch angezogen, doch irgendwie war es im Film aufregender.

Ein wenig klingt Jteturn To The Last Chance Saloon“, die neue LP, als hätte man bei ihrer Genese den amerikanischen Markt im Visier gehabt, nicht nur der Arizona-Atmosphäre wegen, sondern auch musikalisch. Die Gitarren sind muskulöser, die Songs projizieren Weite und Hitze, und Produzent Hugh Jones setzt auf Power, wo vorher Pop war. Letzterer Faktor gilt dem durchschnittlichen amerikanischen College-Kid ja als äußerst suspekt „Pop sucks, man. Pop’s fbr sissies.“ So oder ähnlich denken die meisten. Gefallen findet, was ordentlich lärmt und drückt. Und das höchste Lob für eine Band, gleichbedeutend mit einem Passepartout für alle College-Dorms des Kontinents, ist noch immer: „They kick ass.“

Die Bluetones sind entsetzt, ja verletzt. Nein, solche Spekulationen seien ihnen fremd, versichern sie mit Nachdruck. „Wir wußten ja nicht einmal, ob die Platte in Amerika herauskommen würde“, beteuert Morriss der Jüngere, den seine Mutter nach ihrem heartthrob Scott Walker benannte (coolmum). „Im übrigen ist uns spekulatives Arbeiten völlig fremd. Wir schielen nicht nach Märkten, wir spielen nur für uns.“ Adam Devlin assistiert: JEs war der Kulminationspunkt einer zweijährigen Entwicklung, die hauptsächlich auf der Bühne stattgefunden hat Wenn du so oft auftrittst wie wir, verändert sich dein Sound zwangsläufig, ganz allmählich. Wir sind heute viel bessere Musiker als noch zur Zeit von „Expecting To Fly“, haben erheblich mehr Vertrauen in unsere instrumentalen Fähigkeiten. Alles wurde mit der Zeit lauter und vielleicht ein wenig aggressiver. Nimm den Baß. Den kannst du mittlerweile hören, früher war er im Mix versteckt“ Und Deine Gitarre, werfe ich ein, hat inzwischen mehr von Led Zeppelin als von den Byrds. „Kann sein“, sagt Devlin, „aber das muß nicht so bleiben. Die nächste Platte wird mit Sicherheit wieder völlig anders klingen.“ Die Mutation vom perfekten Pop in Wildwest-Rock sei nicht von Dauer, darin sind sich die Tones einig. Im übrigen stünden ausgedehnte Tourneen an, die das Material verbiegen und den Klang modifizieren werden. Bleibt das Image-Problem. Kein verkäufliches Profil, mögen die Promoter beklagen. Blaß, urteilt der Presse-Profi. Alles Idioten, meinen die Bluetones. „Nur weil wir Musiker sind, müssen wir uns doch nicht wie Berserker auffuhren“, sagt Mark Morriss, „und was geschieht mit all den profilneurotischen Bands, die jeden Hype mitmachen? Sie werden bei den Medien durchgereicht und sind der Schnee von gestern, ehe sie sich versehen. So etwas kann uns schon mal nicht passieren.“

Trotzdem: Rock’n’Roll ohne Sex und Drogen? Keine Orgien, keine zertrümmerten Fernseher in Hotelzimmern, keine Fehden, nicht einmal zwischen den Brüdern Morriss. Dabei sind die Vorbilder so nah. Und: Heißt von Oasis lernen nicht siegen lernen? „Noel und Liam sind verdammt unterhaltsam“, gesteht Scott Morriss, „und wir lesen ebenso gern über ihre wahnwitzigen Eskapaden wie jeder andere auch, aber Mark und ich sind halt anders. Nicht einmal in unserer Jugend gab es zwischen uns Zoff, ist nicht unsere Art Wir respektieren und mögen einander. Was will man machen?“

Tough luck indeed.

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