WM-Blog: Bayern-Block versagt gegen Algerien, um ein Haar scheidet Deutschland aus

Unverdienter Sieg: Ein Team, das nicht in der Lage ist, in 90 Minuten gegen Algerien zu gewinnen, hat es objektiv nicht verdient, ins WM-Viertelfinale einzuziehen - WM-Blog, Folge 20

Der Filmjournalist, Kritiker und ROLLING-STONE-Autor Rüdiger Suchsland schreibt hier über die Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien.

Bayern-Block versagt gegen Algerien, um ein Haar scheidet Deutschland aus

„90 Minuten haben wir ja die Null gehalten“, sagt Manuel Neuer im ZDF-Interview. Wow! Echt ey!! Das ist ja geil: Deutschland hat gegen Algerien tatsächlich die Null gehalten. Und das sogar 90 Minuten lang – allein für solch eine Feststellung hätte der Mann ein Jahr Magath-Trainings-Gulag in der Nordsahara verdient. Mann oh Mann.

Bei Neuers Bemerkung, die wir ansonsten dem Übermut des neuen deutschen Liberos zuschreiben wollen, kam nicht nur die alte Huub-Stevens-Schule des Ex-Schalkers Neuer durch. Sondern auch die Anspruchshaltung und der Geist der neuen Deutschen. Jetzt wo Löws Konzept bei jedem neuen deutschen Spiel wieder kapitulieren muss, wo es nicht geklappt hat, von Spanien modernen Fußball zu lernen, wo die Spanier ausgeschieden sind, fungiert die andere bête noire der Deutschen als Vorbild: Von Italien lernen soll offenbar Deutschland den vierten WM-Titel bringen: Hauptsache zu Null, Hauptsache irgendwie weiter.

Das wird aber nicht klappen Leute. Ihr seid keine Italiener, ihr seid nicht cool und elegant, sondern doof.

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Man soll vielleicht nicht mit Filmkritikern Fußball gucken. „Ein furchtbar enttäuschendes, beschissenes Spiel“ sagte Josef Schnelle in der 86. Minute, und schüttelte sich aus der Depression. Dann brach der Kölner in ihm durch: „Ohne Podolski bin ich sowieso nicht für Deutschland.“ Und Julia Teichmann ergänzte treffend: „Wie Mädchen schießen die aufs Tor“.

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Nach Allegria war keinem zumute – die Zuschauer immerhin waren in Porto Alegre aktiv, doch die weißgekleidete Mannschaft verzichtete auf ihren Anteil, um das Volk zu erheitern, und spielte wie 11 Krankenschwestern auf Urlaub. Es war die erwartbare Katastrophe für Deutschland. Das Team spielte komplett ohne Esprit. Die Abwehr mit dem doofen Höwedes finanzbeamtig. Vielleicht hatten manche im Team schlechtes Dope reingezogen, jedenfalls floss das theoretisch flüssige Kombinationsspiel zäh wie abgestandener Kartoffelbrei: Kein Direktspiel, keinerlei Flügelangriffe. Es kam kein Pass an.

„Deutschland setzt Algerien endlich mal unter Druck“, schaltete Bela Rethy in den fünften Gang. Bei den Fußballern auf dem Rasen langte es allenfalls zum dritten. Man sah schnelle, elegante Spielzüge der Algerier. Warum sieht man so etwas nicht von Deutschen?

Man sah stattdessen klaffende Abwehrlücken. Unfähigkeit aller Beteiligten, einen fehlgeschlagenen Spielplan, so es denn überhaupt einen gab, umzustellen.

Man erlebte wachsende Nervosität, daraus folgende Blödheit, schließlich eine insgesamt paralysierte Mannschaft. Nur die Tatsache, dass die gegnerischen Beduinenkicker Pech hatten, verhinderte, dass die allzugerechte Strafe auf dem Fuß folgte.  

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Wir haben es ja geahnt und das deutsche Team gewarnt: Das Spiel gegen Algerien wird sauschwer. Aber der DFB liest offenbar nicht diesen Blog, und einmal mehr kam bei den Deutschen Hybris vor dem Fall. Oliver Kahn im ZDF meinte noch: Das seien Profis, die unterschätzen keinen Gegner. Von wegen! Natürlich unterschätzen Deutsche Nationalspieler eine algerische Auswahl, auch wenn viele irgendwo in Europa kicken.

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Seien wir ehrlich: Das hätte trotzdem keiner so schlimm erwartet. Und seien wir nochmal ehrlich: Die Deutschen hatten es nicht wirklich verdient, weiterzukommen. Man muss schon reichlich borniert sein, und sich heute noch im Mertesacker-Stil an „Hauptsache gewonnen, egal wie“ und ähnlichen Weisheiten aufgeilen. Ein Team, das nicht in der Lage ist, in 90 Minuten gegen Algerien zu gewinnen, hat es objektiv nicht verdient, ins WM-Viertelfinale einzuziehen.

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Endlich spielten Khedira und Schweinsteiger zusammen, das immerhin war ein Lichtblick des Spiels. Ansonsten lautet die Erkenntnis: 1. Die Formkurve der deutschen Nationalmannschaft zeigt ganz klar nach unten. Jedes Spiel in Brasilien ist schlechter als das zuvor. 2. Noch nie in der deutschen Länderspielgeschichte spielten derart viele Bayern-Spieler mit. Selten spielten sie so schlecht. Der Bayern-Block hat verloren, aber Löw tut sich schwer einen Plan-B zu entwickeln.

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Das Mertesacker-Inerview nach dem Spiel sprach Bände. Klar, es gibt einen nicht so kleinen Teil der deutschen Fans, die auf genau diese Mertesacker-Art stehen, die genau so argumentieren. Die sich immer schon lustig machen über „Tiki-Taka“, weil sie es nicht verstehen, die für Real halten, wenn Madrid gegen Barcelona spielt, und über Schönspieler spotten.

Aber Mertesacker bewies auch, wie man sich selbst betrügen kann, wie kritikresistent diese Spieler sind. Viertelfinale, Merte, ist nicht super. Das ist das Minimum einer deutschen Mannschaft nach dem Krieg. Dafür bekommst Du auch mehr Kohle als die Algerier zusammen!

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Das total entleerte PK-Sprech von Philipp Lahm trug zwar auch nicht zur Aufklärung bei. Doch Lahms nicht minder leerer Blick erzählte die Wahrheit. Gerade eben hatte er in den Abgrund geblickt. 

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Wer an Grundsätzlichem interessiert ist, konnte erkennen, dass die deutsche Mannschaft in allen Mannschaftsteilen zu schlecht besetzt ist, und Verstärkung braucht. Kroos und Özil spielten auf Normalmaß, Lahm einmal mehr noch nicht mal auf seinem, aber Jogi Löw, stur wie ein badischer Ackergaul, ändert noch nicht mal, was er ändern kann. Als ob er seiner Mannschaft etwas beweisen wollte, musste Klose draußen sitzen bleiben. Immerhin brachte Löw mit Schürrle wenigstens einen nominellen Stürmer, und wechselte den überforderten uninteressanten Götze aus. Aber auch wenn ich alles andere als ein Fan von Oliver Kahn bin, hat er recht, das Fehlen eines solchen im Team zu beklagen.

Das Golden Goal durch Özil gab den Deutschen nun kurz vorm Elfmeterschießen eine unverdiente Bewährungschance. Fragt sich, ob Löw diese nutzt, und alle Germanismen aus seinem Team tilgt.

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Ich glaube, dieses Spiel hat gezeigt, dass Löw endgültig an seine Grenzen gestoßen ist. Dass ihm der frische Blick selbst auf jene Spieler fehlt, die der mit nach Brasilien genommen hat. Löw ist einem solchen Turnier nicht mehr gewachsen, er ist so arrogant und stur wie seine Spieler, und solange er damit irgendwie durchkommt, wird sich nichts ändern.

Vielleicht macht Löw ja doch nicht alles richtig, wenn er keinen einzigen Spieler aus einer Mannschaft aufstellt, die in den letzten vier Jahren zweimal Deutscher Meister und zweimal Vizemeister wurde, einmal den DFB-Pokal gewann, und einmal ins Pokalfinale kam, die 2013 das Championsleague-Finale erreichte und als einzige den diesjährigen Championsleague-Gewinner bezwingen konnte.

Ich möchte behaupten, dass Großkreutz auf der rechten Seite besser gespielt hätte als Mustawi, dass Schmelzer mehr Druck nach vorn gemacht und kampfstärker gespielt hätte als Höwedes, dass Durm auch einen besseren Linksaußen abgibt.

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Und Frankreich, der nächste Gegner? Reißt keine Bäume aus. Wird im Gegensatz zu den Algerien nicht unterschätzt werden. Also leichter sein. Aber nicht leicht, schon gar nicht für ein deutsches Team in der gestrigen Verfassung.

Am Anfang war Nigeria überlegen. Die „Super Eagles“ erzielten ein frühes Abseitstor, hatten weitere dicke Chancen, die Franzosen zeigten Respekt und spielten entsprechend verhalten. Im Angriff allerdings sah man Fehler über Fehler, und es wird lustig sein, wenn dieser No-Sturm auf die deutsche No-Abwehr trifft.

Aber auch in der zweiten Hälfte war es anfangs unfassbar, wo die Nigerianer überhaupt im französischen Strafraum an den Ball kamen. Frankreich war unsicher, wie sie ihr Spiel anlegen sollten. Als dann in der 61. Minute Grietzmann für Giroud reinkam, hatte das einen ähnlichen Effekt wie Depays Einwechslung im Achtelfinale der Holländer.

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Als es dann einmal richtig lief gegen Nigeria, spielten die Bleus avec bravour. Wie ein TGV auf Höchstgeschwindigkeit flutschten die französischen Angriffe und schnitten in die grünen Abwehrreihen wie ein Messer in warme Butter. Das einzige Manko: Wieder einmal kam die effectivité zu kurz, und aus den vielen Chancen resultierte lange kein Tor.

Aber bisher waren das alles leichte Aufgaben. Schaun mer mal, ob nach allem Vorgeplänkel beim Alles-Oder-Nix des Viertelfinales nicht plötzliche nervosité einsetzt, die den TGV entgleisen lässt.

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