Womöglich der amerikanischste aller Songschreiber: die lange Karriere-Achterbahnfahrt des Elliot Murphy

Elliott Murphy ist vielleicht der amerikanischste aller Songwriter – seine Geschichten handeln auch immer von den Autos, in denen seine Figuren sitzen.

Zum Beispiel „On Elvis Presley’s Birthday“ auf dem Album „12“: Der Erzähler erinnert sich, wie er als Junge mit seinem Vater in dessen Cadillac fuhr und im Radio der Geburtstag des King gefeiert wurde. Oder „Buddy And Peggy Sue“ vom neuen Werk „Selling The Gold“: Ein Typ kurvt mit seinem Jaguar durch einen Vorort und nimmt eine Anhalterin mit Sie sagt, sie hieße Peggy Sue, er sagt: „Call me Buddy.“ Dann schießt sie ihm zwischen die Beine. Und Marty May, der abgehalfterte Rock’n’Roller aus Murphys Roman „Kalt und elektrisch“, mietet einen Lincoln samt Chauffeur, um beim 20. Jubiläum der High-School-Abschlußklasse den Star mimen zu können. Obwohl der einstige Star so abgebrannt ist, daß er bei American Express schon lange keinen Kredit mehr bekommt.

Vielleicht ist Elliott Murphy der amerikanischste aller Rockmusiker – in Amerika leben muß er deshalb nicht. Wie viele seiner Kollegen, die in den Siebzigern als Stars gehandelt und in den Achtzigern nur noch in Spezialistenkreisen geschätzt wurden, ist er nach Frankreich gegangen. Komische Welt: In Paris prangt das Konterfei des New Yorkers auf riesigen Plakaten, aber als 1990 mit „12 epischstes und leicht bestes Album erschien, bekam man davon in New „Vbrk nichts mit. Erst drei Jahre später wurde das Werk in Amerika veröffentlicht, und das in gekürzter Fassung.

Es gab Zeiten, da wurde Elliott Murphy als Kapital der großen Plattenfirmen gehandelt. 1973 erschien sein Debüt-Album „Aquashow“, die Presse feierte ihn als neuen Dylan. Doch nach Anbruch der Disco-Ära waren Songwriter nicht länger gefragt, und Murphy stand bald ohne Vertrag da. Schließlich gründete er ein eigenes Label und begann in ähnlichen Dimensionen zu denken wie die Masein vieleher der englischen Independent-Szene, die damals gerade am Entstehen war. Wenn die Inhalte auch ganz unterschiedlich waren.

Auf „Selling The Gold“, seinem neuen Langspielwerk, sendet Murphy einen bittersüßen Gruß in die alte Heimat – eröffnet wird der Songreigen mit „Love Tb America“. Interessanterweise tritt in einem anderen Stück, der romantischen Hymne „Everything I Do (Leads Me Back To You)“, jemand als Gastsänger in Erscheinung, der mit seiner Haßliebe zu den USA sehr viel lukrativer umgeht: Bruce Springsteen. Auf „Selling The Gold“, in acht verschiedenen Ländern von acht verschiedenen Kleinst-Labels veröffentlicht, wimmelt es nachgerade vor illustren Mitstreitern; die zwischen Country und Soul changierenden Nummern sind zum Teil im veritablen Breitwand-Format arrangiert.

Elliott Murphy ist traurig, und er ist komisch, Zynismus aber ist für ihn keine Option. Vielleicht ist das auf seine litarische Vorliebe zurückzuführen. Der Mann, der auf Long Island geboren wurde und niemals ohne seinen Hut aus dem Haus geht, liebt F. Scott Fitzgerald über alles. Und er reagiert manchmal mit der entrückten Eleganz des großen Gatsby auf die Ungerechtigkeiten dieser Welt. 1988, bei seinem letzten offiziellen Hamburger Konzert, spielte er etwa in einer Wave-Disco vor zwei Dutzend Leuten einen ausladenden Set mit vielen alten Hits. Das Jungvolk, das für die anschließende NDW-Party lautstark in den Auftritt platzte, beachtete der Künstler kaum. Er trug einen wunderschönen weißen Anzug, und in der Ferne schien er ein grünes Licht zu fixieren.

Murphy ist Melancholiker, und wie alle echten Melancholiker hat er einen verdammt guten Humor. In „Kalt und elektrisch“, einem aus Kurzgeschichten für den amerikanischen ROLLING STONE kompilierten Roman, berichtet der Mittvierziger recht ergreifend über das unvermeidliche Altern als Musiken „Rock’n’Roll macht einen von innen heraus älter. Er beläßt das Licht im Gesicht und die Schmerzen im Herzen. Übrig bleibt dann nur noch die Neigung zu unglaublich schlechtem Versbau.“

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