Yeasayer nicht auf Tour, aber im Interview über Kunst und „Fragrant World“

Eigentlich wollten Yeasayer diese Woche drei Konzerte in Deutschland spielen. Leider wurde das erst Mal auf Eis gelegt. Um sich die Zeit bis zu den Ersatzterminen zu vertreiben, präsentieren wir an dieser Stelle unser Interview mit Chris Keating. Jörn Schlüter sprach mit dem Musiker unter anderem über Einflüsse und Kunst. Und das letzte Album "Fragrant World", das von uns respektable vier Sterne erhielt.

Yeasayer gehören zur jüngeren Generation Brooklyner IndieBands, die widerstrebendste Einflüsse mithilfe lässig angewandter elektronischer Mittel zu einer ebenso einleuchtend rhythmisierten wie eingängig melodischen Popmusik verschmelzen. Das selbst produzierte zweite Album, „Odd Blood“, bescherte dem Trio 2010 den Durchbruch und machte es – über  die wohlwollenden Kritikerkreise hinaus – bekannt.

Chris Keating, Sie haben angekündigt, das neue Album, „Fragrant World„, würde wesentlich funkier werden, als das vorangegangene. So ist es auch gekommen.

Mir fiel diese Grenze zwischen  den Stilen auf, die ich mag. Parliament, Isley Brothers, Aaliyah auf der einen, Kölner Kompakt-Techno, Oval und Neu! auf der anderen Seite. Ich habe mich gefragt, was diese Kluft ausmacht und wollte eine Art Dissonanz stiften zwischen R&B-Midtempo-Groove und elektronischer Landschaft.

Gab es diese Idee schon, als  Sie 2005 anfingen?

In New York gab es damals diesen Kult des Coolen: 90 Prozent Haltung – entweder als die neuen Strokes oder als Joy Division der dritten Generation. Ich habe einfach tolle Sachen vermisst wie appalachische Field-Recordings aus Kirchen in West Virginia oder die Missa Luba, afrikanische Chöre, die auf Latein singen. Das sollte man, natürlich nur als Verweis, in unserer Musik hören.

Das schien damals auch gerade in der Brooklyner Luft zu liegen. Kannten Sie die entsprechende Szene?

Ich kannte Animal Collective mit ihrem tribalistischen Ansatz. Ein bisschen älter als wir, aber auch aus Baltimore. Die Dirty Projectors und Grizzly Bear habe ich erst kennengelernt, als wir mit ihnen aufgetreten sind, und dann haben wir eben diese ganze super Community entdeckt.

Eine Gemeinsamkeit ist das psychedelische Moment. Von welchen Drogen sprechen wir?

Ach, ich weiß gar nicht, ob es etwas mit Drogen zu tun hat. Nichts gegen Drogen, aber die zeitgenössische Psychedelik hat mehr mit dem irren Erfindungsreichtum im Studio und den Möglichkeiten zu tun, die man allein im Schlafzimmer hat. Was schon an sich eine alternative Realität darstellt.

Was an diesem Studio-Irrsinn auffällt: Es ist ein eigenartiger technologischer Soul.

Was könnte mehr Kraft haben als Otis Redding? Es geht aber um ein Update der Idee. Kanye West hat das auf „808 & Heartbreaks“ beeindruckend hingekriegt – ein aufregender, neuer Blick auf diese Musik. Dazu kommt wohl, dass die Manipulation und das etwas dehumanisierende Spiel mit der menschlichen Stimme technologisch der letzte Schritt war. Eine der Leitideen des neuen Albums war, eine spielerische Brücke zwischen dieser dehumanisierenden Technologie und der Soulfulness herzustellen.

Die erste Single, „Henrietta“, handelt von der schwarzen Krebspatientin Henrietta Lacks, deren Zellen die Forschung seit 1951 verwendet – damals ohne ihr Wissen.

Die verfremdeten Stimmen passen zum Thema, dass ein menschliches Leben zur kalten Industrieware wurde. Einige Texte beschäftigen sich mit dem Verschwinden von Menschlichkeit in einer kalten, lieblosen Umwelt. Die Hässlichkeit der Finanzkrise etwa: Eklige, untalentierte Scheißer, die keine Lust haben, für ihr Geld zu arbeiten und dabei mit ihren Wetten eine ganze Gesellschaft bedrohen können.

Besonders funky gelungen ist auch „Reagan’s Skeleton“.

(Lacht) Das war eher ein Scherz,  ein   Gegengewicht zu den etwas ernsteren Texten und eine kleine Verbeugung vor „Thriller“ und Depeche Mode, die ich auch sehr mag. Er sollte diese von den Rechten absurd vergötterte amerikanische Ikone veralbern, die doch eigentlich nur ein Arschloch ist, und selbst als Schauspieler eine Null. Obwohl – gegenüber den aktuellen Konservativen wirkt er fast modern.

Es gibt leichte Reggae-Anklänge, man wird öfter an Prince erinnert, und überhaupt gibt es einen starken schwarzen Einfluss. Womit sind Sie selbst aufgewachsen?

(Lacht) Beatles, Stones. Meine Eltern stammen aus den 60ern. Mein erstes Konzert war Michael Jackson bei der „Bad“-Tour 1987. Ich glaube, für meine Generation (Keating ist 30) war dieser Split nie wichtig. Meine Schwester ist zehn Jahre älter, für die war das noch aktuell. Aber bei mir gab es N.W.A. oder Public Enemy genauso wie Pavement oder ältere Sachen wie Cure und Smiths. Aber es löst sich derzeit mit Frank Ocean oder Weeknd großflächig auf. Als wir beim Coachella Festival spielten, meinte jemand: „Hinten stehen Jay-Z und Beyoncé. „Ich dachte: Bullshit. Ich kenne Beyoncés Schwester ein bisschen, aber Beyoncé habe ich nie kennengelernt. Und da standen sie: „Hey, wir sind hier, weil wir euch sehen wollten. Wir warten jetzt auf Ra Ra Riot“ – bemerkenswert (lacht).

Die ersten Videos zeigen tolle psychedelische Animationen von Yoshi Sodioka. Wie kamt Ihr auf den?

Ich mag seine Sachen, dann habe ich ihn gefragt. Ich habe Kunst studiert und bin sehr daran interessiert. Das ist mit das Tollste, in einer halbwegs erfolgreichen Band zu spielen: Gefällt einem ein Künstler, geht man hin und fragt: „Willst du was für uns machen? Wir haben ein bisschen Geld, hier ist das Album – mach’ einfach, was du willst.“

Hier das Video zu „Henrietta“, eines Lieblingssongs von „Fragrant World“:

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