Yo, Mr. President!

Amerikas Black Music war immer die Musik der Unterdrückten. Verliert die afro-amerikanische Musik durch einen schwarzen Präsidenten ihren Biss?

Ein Bär von einem Mann! Und er hat Hunger: Ahmir Thompson bestellt 20 scharf gewürzte Hähnchenflügel, eine Extra-Portion Pommes, Chili con Carne und die Maxi-Cola zum Runterspülen. Im „Hooters“ sitzt er, wo leicht geschürzte Frauen Fast Food servieren. Sein wild wuselnder Afro lässt ihn noch mächtiger als sonst erscheinen, auf dem schwarzen Shirt prangt eine gereckte Faust, eingerahmt vom Umriss Afrikas. Doch der alte Kämpfer ist heute zum Scherzen aufgelegt: „Bisher ging ich in gediegene europäische Speiselokale, aber jetzt, da ich einen Präsidenten habe, auf den ich stolz bin, kann ich mich wieder wie ein ordinärer Ami benehmen und in solch üblen Schuppen essen.“

Der 37-Jährige, den Fans und Freunde nur Questlove nennen, gilt als pointiertester politischer Kommentator im Rap. Kaum ein HipHopper hat sich im US-Wahlkampf so exponiert wie der Schlagzeuger von The Roots. Pausenlos wirbelte Thompson in seinem Blog für Obama, und am Tag nach der Wahl stellte er via YouTube eine Ansprache ins Web, die ihn unter Tränen zeigt: „Ich bin so überwältigt!“, beginnt er. „Bin mir nicht sicher, ob ihr auch nur ansatzweise ahnen könnt, was dies für uns bedeutet.“

Was denn? „Obamas Wahl hat Wunder gewirkt für mein Selbstwertgefühl“, sagt Thompson — und schnappt sich noch ein Chicken Wing. „Die Wahl wird auch die Musik der Roots verändern. Unser nächstes Album war schon parat, es hätte ‚Burn, Baby, Burn!‘ heißen sollen — als Antwort auf das,Drill, Baby, Drill!‘, mit dem McCain und Sarah Palin im Wahlkampf bekräftigten, sie würden überall nach Öl bohren lassen, um die Energiekrise zu meistern – so ein Schwachsinn! Ein Weltuntergangsgetöse wäre unsere Platte geworden, destruktiv und knallhart. Nun müssen wir uns wohl oder übel neu erfinden.“

Die afroamerikanische Musik, besonders ihr jüngstes Kind, der Rap, muss sich neu definieren. Denn mit einem schwarzen Präsidenten wird die Black Music erstmals staatstragend. „A Change Is Gonna Come“ hieß es stets — Sam Cookes 1963 komponierte Beschwörung eines sozialen Wandels, ein Manifest wider den Rassismus, wurde zur Hymne der Bürgerrechtsbewegung in den Sixties, später zum Memento für deren Scheitern. Hundertfach wurde das Lied gecovert, von allen schwarzen Stars gesungen – nie aber hat sich dessen Inhalt erfüllt. Bis zum Abend des 4. November 2008, als Barack Obama im Chicagoer Grant Park einer jubelnden Menge die historischen Worte zurief: „Change has come to America.“ Der Wandel ist eingetroffen.

Gerade die älteren Aktivisten tun sich damit schwer. Black-Power-Pastor Jesse Jackson, einst selber Präsidentschaftsanwärter, ließ sich zu einem „Ich könnte Obama die Eier abschneiden“ hinreißen, weil dieser in seinen Augen „nicht schwarz genug“ sei. Erst zuletzt schwenkte Jackson ins Obama-Lager über. „Jackson goutierte nicht, dass Obama die eigenen Leute kritisierte, statt sich einzuschmeicheln. Wie hart Obama mit den schwarzen Vätern ins Gericht ging, weil die meisten von ihnen ihre Familien hocken lassen, missfiel ihm“, resümiert Thompson. „Aber genau das ist der neue Ton: Eigenverantwortung! Jacksons Generation war das Verlieren halt so gewohnt, dass sie Obamas Erfolg anfangs kaum akzeptieren konnte.“

Mit Ketchup- und Tabascoflaschen, Salz-und Pfefferstreuern erstellt Thompson auf dem Kneipentisch einen Hindernisparcours. „Anders als die Juden, die nach dem Holocaust selbstbewusst und stolz aufgestanden sind und Hindernisse meisterten, ließen wir Schwarzen nach unseren Erniedrigungen die Köpfe hängen. Uns kam mit der Ermordung von Malcolm X und Martin Luther in den 6oer Jahren jedwede Power abhanden. Wir dachten bei jedem Problem: ,Fuck it, ich schaff s ja doch nicht.‘ Obama nun sagt uns:,Ich weiß, es wird auf dem Weg Hindernisse und Fallgruben geben, aber wir werden sie meistern.'“ Und mit einer Armbewegung räumt Thompson alle Dosen und Gewürzstreuer zur Seite.

Seit jeher stand Black Music für Protest, im Blues als weltliches Wehklagen, im Gospel als religiöses Flehen. Der Funk zeigte sich anno ’68 mit James Browns Schlachtruf „Say It Loud-I’m Black And Im Proud“ trotzig selbstbewusst, der Soul der 1970er Jahre ging mit Marvin Gayes „What’s Going On“ zu offener Sozialkritik und Anklage über, und im Rap schließlich artikulierten Gruppen wie Public Enemy die Rassenfrage schärfer denn je, ehe Gangsta-Rapper sie zum Räuber-und-Polizei-Spiel karikierten und sich schließlich vor lauter Klunkern, Knarren und Karossen in Selbstgefälligkeit verloren.

Zu Beginn des neuen Jahrtausends jedoch begannen Rapper wie The Roots ihresgleichen zu mehr Selbstverantwortung aufzufordern. Und Soul-Diva Mary J. Blige sagte: „Wir müssen aufhören zu jammern, unser Ururgroßvater sei Sklave gewesen.“ Die Abkehr schwarzer Musiker von der Opferrolle wies dem Kandidaten Obama den Weg: „Yes, We Can!“-Rapper bereiteten das Terrain, auf dem Obama zum Popstar der Politik aufstieg.

Er dankte es, indem er als erster namhafter US-Politiker HipHop als Kunstform anerkannte. „Obama ist ein Hip-Hop-Präsident, ganz klar“, sagt die Rapperin und Dichterin Ursula Rucker. „Rap hat seine Kandidatur erst möglich gemacht. Denn Rapper wie Common und Kanye West haben das neue Selbstverständnis von uns Schwarzen artikuliert.“ Rucker artikulierte kräftig mit. Freilich blieb die Pose der Rapper eine zornige. „Präsident Bush sind die Schwarzen scheißegal“, wetterte Kanye West 2005 kurz nach „Kathrina“ in einer TV-Show, weil der Präsident den Ort der Katastrophe demonstrativ gemieden und es an Bundeshilfe hatte fehlen lassen.

Dass Obama selber die Rassenfrage stets tunlichst vermied, sich gar von seinem langjährigen Pfarrer Jeremiah Wright lossagte, als dieser allzu forsch auf die Black-Power-Klaviatur haute, verziehen ihm die Rapper. Als der Kandidat dem amerikanischen ROLLING STONE verriet, was auf seinem iPod gespeichert sei, erwähnte er neben Unverfänglichem wie Dylan und Elton John auch die Rapper Ludacris und Jay-Z, beeilte sich aber zu betonen, er billige deren derbe Ausdrucksweise nicht. „Er musste sich doch distanzieren, um seiner Wählbarkeit willen“, nimmt Ursula Rucker Obama in Schutz.Und lässt ihrer Begeisterung freien Lauf: „Schauen Sie sich doch diese First Family an! Sie sind jung, sie sind schön — was für eine Identifikationsmöglichkeit für meine vier Söhne! Sie können sich ja gar nicht vorstellen, was es für Kinder bedeutet, ihresgleichen im Weißen Haus zu sehen. Bisher wünschten sich schwarze Mädchen immer blonde Barbies zu Weihnachten. Damit ist nun endgültig Schluss.“ Auf „Ruckus Sound Sysdom“, ihrem vierten Album, veröffentlicht nur Tage nach der Wahl, erzählt Rucker eindringlich von den Schwierigkeiten einer vierfachen schwarzen Mutter, doch zum trotzigen Stolz von früher hat sich neuer Optimismus gesellt.

Einen Vorgeschmack, wie HipHop den Spagat zwischen Zorn und Zuneigung zu meistern gedenkt, gab Rapper Nas bereits im Sommer mit seinem Album „Untitled“, auf dem er rassistische Polizeikorps geißelte, die Chancenungleichheit in Justiz und Berufswelt anprangerte, Obama warnte: „Wir Schwarzen trauen keinem schwarzen Führer“, und ihn am Ende doch für geeignet befand, zum ersten „Black President“ — so der Titel eines Raps – aufzusteigen.

Nach der Wahl verschwand die Skepsis vollends. Busta Rhymes und Jay-Z stellten noch in der Wahlnacht neue Raps zur Feier ihres Präsidenten vor, Common schwärmte auf einer Party in Chicago: „Vor zwei Jahren wollte meine Tochter noch Tänzerin werden. Jetzt ist sie überzeugt, sie könne die nächste Präsidentin sein.“ Er, Common, war es gewesen, der 2003 den ersten Rapvers auf Obama gereimt hatte: „Warum Bush, der so tut, als kriege er Osama/ Warum schicken wir ihn nicht in die Wüste und wählen statt dessen Obama?“ Utopisch klang, was inzwischen eingetreten ist. „Wir müssen nicht mehr rückwärts schauen“, jubelte Common in der Wahlnacht, „wir schauen jetzt vorwärts, dies ist der Anfang.“

Ist es auch der Anfang vom Ende des HipHop als Subkultur? Die ersten großen Rap-Alben nach der Wahl deuten es an: Kanye West zieht sich in fragilen Popsongs ins Private zurück, künstlerisch grandios, aber apolitisch. Common klingt auf „Universal Mind Control“ unbeschwert wie auf keinem seiner früheren sieben Werke, die vor Geschichtslektionen, Aufklärung und Moral nur so strotzten. Common, ein Weggefährte Obamas aus Chicago, der noch am Wahltag für den Kandiaten herumtelefonierte, ist entspannt, tanzfreudig, frivol. Und sein Refrain „I Know A Change Will Come“ klingt nur mehr wie ein Nachhall. „Natürlich wird Obama den Rap verändern, aber zum Guten“, sagte Common auf CNN. „Dadurch, dass unser Mann im Weißen Haus ist, werden wir nicht weniger kämpferisch, aber konstruktiver.“

Als Bill Clinton 1992 ins Weiße Haus zog, wurden die Rock’n’Roller, die ihn im Vorfeld unterstützt hatten, erschreckend matt und leise. Im Flirt mit der Macht wurden sie unkritisch, erst unter Bush fanden alte Kämpen wie John Mellencamp wieder zu ihrer Schärfe zurück. Droht dem HipHop nun nicht dasselbe, verliert er mit dem schwarzen Präsidenten Obama nicht seinen Status als Gegenkultur?

„Den Status als Counter Culture hatte HipHop doch eh schon längst eingebüßt“, findet Ursula Rucker, „dazu sind große Teile der Rapmusik viel zu kommerziell geworden.“ Und Ahmir Thompson, gerade beim 18. Hähnchenflügel angelangt, meint mampfend: .Als Bill Clinton 1992 gewählt wurde, meinten die Rapper doch, dies sei nun unser ’schwarzer Präsident‘ — und prompt erlahmten sie und verloren ihr politisches Bewusstsein. Es kam zu einer ironischen Umkehrung: Schwarze Musiker begannen selbstherrlich den Prunk und Protz zu feiern-eine Rolle, die zuvor ausschließlich den weißen Showstars vorbehalten war. Die Rolle des kaputten, depressiven, armseligen Kerls hingegen, die davor uns Schwarzen zugedacht war, verkörperte nun plötzlich ein Weißer, nämlich Kurt Cobain.

Doch inzwischen weckt Obama in uns Schwarzen wieder einen positiven Geist. Der Kampf beginnt erst – nicht gegen etwas, sondern für den Aufbau eines neuen Amerika. Obama verändert nicht den HipHop, er verändert die Menschheit. Wenn er nur nicht ermordet wird! Jeden Morgen um sechs schalte ich den Fernseher ein, um zu sehen, ob Obama noch am Leben ist.“

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