ZU HAUSE IN DER WELT

Diesmal klingeln keine Kalimbas! Es gibt kein sonniges Gitarrengekicher zu hören und kein hölzernes Klickediklack aus dem Propädeutikum des Afrobeat. Stattdessen singt ein christlicher Kirchenchor „bahuba“ und „meck-meck-meck“, ein schottischer Dudelsack dudelt, ein Spinett aus Virginia klimpert heitere Loops zu schwer schnaufend geschlagenen Trommeln, magnetische Bässe britzeln im Untergrund, und an der lustigsten Stelle des Albums verheddert sich ein Rockabilly-Sänger im genregerecht gestotterten Refrain seines Lieds in einem Knoten aus irren Filter-Effekten: Alle paar Sekundenbruchteile wechselt sein Klang zwischen der Stimme eines Greises und dem Organ eines brünftig sich aufplusternden jungen Kerls: „B-b-b-b-b-baby-baby-baby!“ So und so ähnlich klingt „Modern Vampires Of The City“, das neue Album von Vampire Weekend; und man sagt nicht zu viel, wenn man sagt, dass dies eine überraschende Entwicklung darstellt. Auf seinen ersten beiden Platten, „Vampire Weekend“ (2008) und „Contra“(2010), hatte sich das blutjunge New Yorker Quartett an der Verbindung von amerikanisch geprägtem Indie-Rock-Hipstertum und traditionellen westafrikanischen Musizierweisen versucht; es gab typisch newyorkerisches College-Pop-Falsett nach David-Byrne-Art zu hören, aber dazu eben auch nigerianische Highlife-Gitarren, kongolesische Rumbas und senegalesischen Reggae. Und das mit außerordentlichem Erfolg! Von den Freunden der bei aller Liebe in den vergangenen Jahren doch zusehends anämisch wirkenden Gitarrenmusik wurde dieser transatlantische Crossover begeistert gefeiert: An den frisch wirkenden subsaharischen Klängen sollte das Wesen der Rockmusik von weißen Knaben genesen.

Bei alldem versuchten Vampire Weekend -das war das Tolle an ihnen -gar nicht erst den Eindruck zu erwecken, als ob sie jemals selber in Afrika gewesen seien. Stattdessen inszenierten sie sich freimütig als gut ausgebildete Bürgertumskinder von Ivy-League-Universitäten mit einem Faible für exotische Klänge; sie reimten „Reggaeton“ auf „Benetton“ und benannten ihre Stücke nach bedeutenden Orten an der von britisch orientierten Dynastien besiedelten nordamerikanischen Ostküste. Auch ein Stück über die Bedrohung des besonders von britischen Philologen bedächtig beschützten Oxfordkommas hatten sie auf ihrer Debüt-LP im Programm: Dabei handelt es sich um jenes Komma, das in einer Aufzählungsreihe vor dem letzten „und“ oder „oder“ steht, wie etwa in „indie rock, highlife, reggae, and afrobeat“. Von postmodernen Orthografie-Erneuerern wird das Oxfordkomma ebenso entschieden bekämpft, wie es von den Sachwaltern der sprachlichen Tradition verteidigt wird.

Wie geht es dem kleinen Racker eigentlich heute? Beim Interview zur neuen Platte sitzt Ezra Koenig, Sänger und Songschreiber von Vampire Weekend, kerzengerade und konzentriert auf einem Stuhl; er trägt einen teuren Internatszöglingspullover und pellt zwischen zwei Sätzen mit spitzen Fingern ein Frühstücksei. „Das Oxfordkomma? Ich habe gerade gelesen, dass es inzwischen selbst bei der Oxford University Press unter Vorbehalt steht. Gut so, wir sind ja auch immer dagegen gewesen! Und zwar unabhängig von der Tatsache, dass der Gebrauch des Oxfordkommas von Nutzen sein kann. Aber es gibt Leute, die unter allen Umständen auf solche orthografischen Feinheiten bestehen, um dann auf Leute herabblicken zu können, die den richtigen Gebrauch nicht beherrschen Das sind Machtspielchen mit esoterischem Wissen: Konservatismus ohne Wert!“

Nun hat Koenig ja selber Literaturwissenschaften studiert -neigt man da nicht notwendig zum Konservatismus? Schließlich geht es dort vor allem um Philologie: Man will die Kunst vergangener Zeiten für die Gegenwart konservieren. „Nein“, sagt Koenig, „ich interessiere mich für Geschichte, aber das hat mit Konservatismus nichts zu tun. Die beste und modernste Kunst hat sich immer von der Vergangenheit inspirieren lassen und war deswegen nicht weniger modern. Das gilt in der Literatur ebenso wie im Pop: Hör dir zum Beispiel Morrissey an und dieses drollig-antiquierte Vokabular, das er immer gebraucht! Absolut altmodisch und doch so cool!“

Mehr noch als die beiden Vorgängeralben handelt „Modern Vampires Of The City“ von der Geschichte und von historischen Zusammenhängen. Es geht um die Besiedelung der USA und die Entstehung der amerikanischen Nation; es geht um die Geschichte der populären Musik und die vielfältigen Inspirationen und Wechselbeziehungen, aus denen ihre Tradition entstand. Wobei Vampire Weekend sich nicht mit einfachen Zitaten begnügen, sondern stets gleich komplexe Verweisketten knüpfen. Das Stück „Step“ etwa, erläutert Koenig, wurde von einem Text des Neunzigerjahre-Ostküsten-Rappers YZ inspiriert, der wiederum von der Westküsten-Crew Souls Of Mischief gesampelt wurde, und zwar zusammen mit einem Grover-Washington-Jr.-Cover des Stückes „Audrey“ von der kalifornischen Softrock-Band Bread. Das melodische Leitmotiv von „Step“, sagt Koenig, hätten sie von Bread übernommen, während der Text auf YZ anspiele. So bewege man sich in einem Song einmal quer durch die Jahrzehnte und durch die musikalischen Gattungen und über den Kontinent und wieder zurück.

Womit wir wieder beim Literaturstudium sind: So wie Vampire Weekend auf diesem Album, könnte Jacques Derrida heute einen Popsong komponieren, wenn er noch könnte. „Oh ja, Derrida!“ Ezra Koenig freut sich: „Ich liebe ihn und seine Idee der Intertextualität, dass Texte sich nur auf Texte beziehen und nicht auf die ,Realität‘. Das klingt ja immer so wahnsinnig akademisch und prätentiös, wenn man im Zusammenhang mit Popmusik von Intertextualität redet. Aber genau das ist es ja, worum es im HipHop geht!“ Würde er Vampire Weekend denn als HipHop-Gruppe bezeichnen?“Natürlich nicht, aber wir zehren von den historischen Errungenschaften von HipHop, von der Sample-Kultur und der dauernden Selbstvergewisserung durch Anrufung der Tradition.“ Dahinter führe heute kein Weg mehr zurück: „Wir sind alle in der Post-Hip-Hop-Epoche geboren, und wir machen Musik für die Post-HipHop-Epoche.“

Doch bei allem Spaß am Verweis und Zitat sind gerade die Texte auf der neuen Platte äußerst subjektiv und individualistisch gehalten. Ist das nicht ein Widerspruch? Auf der einen Seite die postmodernintertextuelle Kompositionsweise, auf der anderen Seite das alte Ego aus der wahrhaftigkeitsseligen Singer/Songwriter-Schule?“Ich verstehe, dass man da einen Widerspruch erkennen kann“, sagt Ezra Koenig, „aber ich halte ihn für einen Scheinwiderspruch. Wie entsteht denn Subjektivität? Durch intertextuelle Verknüpfung! Stell dir einen 14-Jährigen vor: Der hört, was seine Freunde und seine Eltern hören; was im Radio gespielt wird und was man im Internet findet; der hört HipHop und Pop -und in seltenen Fällen vielleicht sogar mal Rock, der klickt sich durch YouTube -und irgendwann fängt er damit an, aus dieser ganzen Überfülle von Informationen das auszuwählen, womit er sich identifizieren kann und woraus sich das bildet, was wir dann ,Ich‘ nennen. So und nicht anders entsteht Subjektivität.“

Das sei im Grunde immer schon so gewesen. Nur habe die Postmoderne das Bedürfnis nach fixierten Identitäten geschwächt:“Früher definierten die Leute sich als Metalheads oder als Punks und übernahmen mit der Musik auch den gesamten Lifestyle. Heute identifiziert man sich auf differenziertere Weise; man hört Punk und HipHop und die Eagles und Drake; man kombiniert alle möglichen Arten von Musik miteinander, die eigentlich gar nicht zusammenpassen; und den Lifestyle oder die Lieblingsklamotten kriegt man noch mal von ganz anderswo her.“ In gewisser Weise, sagt Koenig, könne man dies als die Amerikanisierung der popkulturellen Ich-Bildung betrachten: Denn in den USA besaß ja immer schon jeder mindestens eine doppelte Identität. „Die Leute sind irisch, italienisch oder jüdisch und zugleich eben auch noch Amerikaner. Wenn sie älter werden, neigen die meisten dazu, sich mit einer Seite zu identifizieren: entweder mit der Herkunft ihrer Familie oder mit ihrer Staatsbürgerschaft. Ich finde, man muss beide Seiten aushalten können, alles andere ist doch unehrlich.“

Auf ihren ersten beiden Alben haben Vampire Weekend diesen Spaß an der multiplen Identität in der Verschränkung von Indie-Rock und Weltmusik ausgelebt. Auf „Modern Vampires“ arbeitet die Band sich nun statt dessen an uramerikanischen Standardmotiven wie Barbershop-Chören und Gospelgesängen ab, an Country-Rock-Klängen und Adult-Oriented-Popmusik aller Art. Dazu passend werden gleich zwei amerikanische Gründungsmythen bemüht: Auf der Homepage der Band prangt ein Gemälde, das George Washington bei der Überquerung des Delaware zeigt; der Song „Hudson“ handelt davon, wie Henry Hudson, der Koloniengründer, Mitte des 17. Jahrhunderts von amerikanischen Ureinwohnern an eben jenem Fluss erschlagen wird, der heute noch seinen Namen trägt.

Kann man also sagen, dass „Modern Vampires“ laut Auskunft der Band auch der „Abschluss einer Trilogie“ nach der musikalischen Feier der Globalisierung nun wieder die Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln betreibt? Ezra Koenig freut sich: „Schön, dass mich das endlich mal jemand fragt! Die meisten Leute haben das schlicht übersehen. Aber ja, darum gibt es das Washington-Gemälde und das Hudson-Stück: weil wir uns gerade angesichts unserer unterschiedlichen Hintergründe gefragt haben, was uns eigentlich miteinander verbindet. Die Eltern von Rostam Batmanglij kommen zum Beispiel aus dem Iran; die Familie unseres Drummers Chris Thomson ist halb ukrainisch, halb irisch. Meine Eltern sind New Yorker Juden, deren Vorfahren aus Osteuropa stammen; ich selber bin in einem Kaff in New Jersey aufgewachsen. Weil meine Eltern aus der Stadt kamen, fühlte ich mich in der Provinz immer fremd, als Schüler habe ich mich für einen Kosmopoliten gehalten. Aber nachdem ich mit meiner Band ein paar Jahre um die Welt getourt bin, stelle ich fest, dass ich viel provinzieller bin, als ich damals glauben wollte, und viel amerikanischer! Den anderen ist das genauso gegangen, darum hatten wir den Eindruck, dass wir uns jetzt einmal mit dem ,Amerikanischen‘ in uns beschäftigen sollten.“

Darum haben sie die Technik des musikalischen Patchworks, mit denen sie auf den ersten Alben ihr charismatisch „globalisiertes“ Klangbild erschufen, nun einfach mit der Vielzahl an Genres zusammengebracht, aus der die „amerikanische“ Musik besteht: Country und Gospel, American Folk und christliche Musik, Kirchenchöre und Soul. „Amerikanische Musik ist ja selber ein Patchwork“, sagt Koenig, „ganz im Gegensatz zu dem, was landläufig unter dem Etikett ,Americana‘ gehandelt wird, also Banjomusik und Stomping und solche Sachen. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass das eine Fiktion ist, eine Erfindung. Das Amerika, auf das diese Art von ,Americana‘ anspielt, gibt es nicht und hat es nie gegeben. Und es ist eine verdammt langweilige Fiktion: Wenn man nur dieses öde Americana-Zeug hört, stellt man sich Amerika doch unweigerlich als ein verdammt ödes Land vor. Dabei ist unsere musikalische Geschichte so reich und so weird, so vielgestaltig und schräg, es gibt so viele tolle Stile und Traditionen, aus denen man schöpfen kann.“

Warum in die Ferne schweifen, wenn die Welt so nahe liegt? In gewisser Weise haben Vampire Weekend also ein Weltmusik-Album aufgenommen, das nicht mehr ins Exotische strebt, sondern mit künstlich verfremdetem Blick die „eigene“ Tradition neu betrachtet: Vielleicht könnte man Ethnosoziologen-Indie-Rock dazu sagen. Jedenfalls war dies die beste Idee, die Vampire Weekend bislang hatten! Und so virtuose Rhythmen und Melodien, wie sie auf dieser neuen Platte gelingen, hat man von dieser immer noch jungen, aber neuerdings wieder vielversprechenden Band auch noch nicht gehört.

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