Zurück in die 90er

LSO WIEDER DER alte Konflikt – diese heikle Sache mit der Authentizität in der Popmusik. Wie hält man als junge, vielgelobte Punk-Rock-Band die Plateaus in Sichtweite, zwischen denen man da plötzlich hin und her springen muss: die wohlig warme Underground-Szene des Do-It-Yourself-Punks und das weitläufige Terrain der Indie-Rock-Plattendeals. Allison Crutchfield und Kyle Gilbride, die Swearin‘ 2011 in Brooklyn gründeten, nicken zaghaft. „Komplizierte Sache“, murmelt Crutchfield und Gilbride erklärt: „Das große Problem daran ist, dass sich die beiden Welten praktisch überhaupt nicht überschneiden. Wenn man in beiden gleichzeitig existieren will, muss man beides abwechselnd machen: Album-Tour durch Europa und Mini-Konzert in irgendeiner dunklen Bar in Idaho.“

In ihrer Musik jedenfalls verbinden sich DIY-Ästhetik, Lo-Fi und Punk-Texte mit dem mächtigen Sound von 90s-Alternative-Rock, eingängigen Hooklines und Fuzzverzerrten Gitarren. Über diese dichtgedrängte Mischung zeigten sich im Sommer 2012 etliche Kritiker begeistert, als Swearin‘ in Amerika ihr selbstbetiteltes Debütalbum veröffentlichten, das im Oktober 2013 auch in Deutschland erschien. Und schon haben die eifrigen Punkrocker ihren Nachfolger fertig: Auf „Surfing Strange“ drosseln die Amerikaner die Geschwindigkeit ein wenig. Die Platte klingt ruhiger, durchdachter, nicht aber weniger brüchig. Immer noch kratzen die Gitarren in den Obertönen, türmen sich laut auf, werden wieder leiser und wechseln sich mit ruhigem Akustik-Geschrammel ab. In der Breeders-Reminiszenz „Dust In The Gold Sack“ ist von „cracks in the ceiling above us“ die Rede – die Risse an der Decke, die Allison Crutchfield im Refrain besingt, hört man im Sound ebenso.

Zusammen mit dem Bassisten Keith Spencer und dem Schlagzeuger Jeff Bolt sind Crutchfield und Gilbride das erste Mal auf Konzerttournee durch Europa. „Voriges Jahr hätte ich noch nicht mal geglaubt, dass wir unser Album an mehr als 300 Leute verkaufen“, sagt Bolt und grinst breit. Vor Swearin‘ spielte Allison mit ihrer Zwillingsschwester Katie Crutchfield in der Punkband P. S. Eliot, mit der sie es in ihrer Heimat Alabama zu lokaler Berühmtheit brachten. Sie buchten ihre Touren selbst, tingelten durch nachbarschaftlich organisierte Kulturzentren und Kellerbars und verkauften in Eigenregie aufgenommene Platten. „Ich wollte schon immer zusammen mit meiner Schwester in einer Band sein. Und weil die schon Gitarre spielte, fing ich mit 14 an, Schlagzeug zu lernen.“ Die beiden wohnen noch immer zusammen, gehen jedoch inzwischen getrennte musikalische Wege.

Dass die Musik von Swearin‘ so sehr nach den Neunzigern klingt – nach The Breeders, Built To Spill, nach Grunge und College Rock – ist kein Zufall, sagt Gilbride: „Natürlich ist das auch ein nostalgischer Sound. Es klingt nach der Musik, mit der wir aufgewachsen sind. Als Teenie war ich geradezu besessen von den Pixies.“ Über das übliche Retro-Nachahmen hinaus schaffen es Swearin‘ aber auch, einen Teil der spröden Energie von damals zu revitalisieren, bevor Alternative und Punk ein Dutzend Mal für tot erklärt wurden. Vielleicht kann Punkmusik ja doch noch in Würde altern.

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