Zwischen Blues und Barock

Gitarrist Steve Hackett schaut noch einmal auf seine pastorale Genesis-Vergangenheit und korrigiert ein paar Kleinigkeiten

Gitarrist sucht nach Musikern, die sich wie er um die Überwindung der stagnierenden musikalischen Formen bemühen.“ – Über 40 Jahre ist es nun her, dass Steve Hackett dieses Inserat im „Melody Maker“ aufgab. Es meldete sich der junge Sänger Peter Gabriel, der gerade nach einem neuen Gitarristen für seine Band Genesis suchte. „Damals wohnte ich noch bei meinen Eltern“, erinnert sich Hackett beim Gespräch in Berlin. „Peter kam zu uns nach Hause und improvisierte mit mir und meinem Bruder John ein paar Stücke. In drei verschiedenen Stilen: pastoral, atonal, Blues-geprägt. Am Ende sagte er:, Okay, ich denke, in diesem pastoralen Stil kommen wir gut zueinander. Auf die anderen beiden sollten wir aber verzichten.'“

So komplettierte Hackett im Frühjahr 1971 das klassisch gewordene Genesis-Quintett – mit den Gründungsmitgliedern Peter Gabriel, Mike Rutherford und Tony Banks sowie dem Schlagzeuger Phil Collins, der kurz vorher ebenfalls per „Melody Maker“-Anzeige hinzugekommen war. Bis 1977 hat Hackett dann mit der Band musiziert. Sein komplex solierendes, melodisch und harmonisch avanciertes und sich dabei doch selten in den Vordergrund drängendes Spiel hat die „progressive“ Phase der Band zwischen „Nursery Cryme“ und „Seconds Out“ wesentlich geprägt. Auch war es Hackett, der das damals revolutionäre Mellotron zum Leitinstrument vieler Genesis-Songs machte – der sonderbar ätherische, kalte Klang dieser mit Tonbandschlaufen operierenden Frühform des Samplers passte perfekt zu den spätviktorianischen Gruselgeschichten, die Peter Gabriel sang: von Kindern mit abgerissenen Köpfen und Unkrautmonstern, die die Erde bedrohen.

Gabriel verließ die Band Ende 1974 nach der „Lamb Lies Down On Broadway“-Tournee. Hackett folgte ihm drei Jahre später, weil er seine songwriterischen Ideen immer seltener umsetzen konnte und weil ihn der „pastorale“ Stil langweilte, auf den die Band ihn immer noch verpflichten wollte. Dutzende von Soloalben hat er seither aufgenommen, von dem – noch zu Genesis-Zeiten entstandenen – künstlerisch wagemutigen und kommerziell erstaunlich erfolgreichen „Voyage Of The Acolyte“ (1975) über flotte Pop-Platten wie „Cured“ bis zu improvisierenden Blues-Werken („Blues With A Feeling“) und neobarockem Nylonsaitengezupfe wie auf dem 2005er-Album „Metamorpheus“.

Blues und Barock: das seien immer seine wesentlichen Inspirationen gewesen, sagt Hackett. „Als ich 13 war, hörte ich Brian Jones‘ Slide-Gitarre auf, I Wanna Be Your Man‘; das war einer der aufregendsten Momente in meinem Leben. Bei meinem zweiten Erweckungserlebnis war ich 15: Da hörte ich, wie Andrés Segovia auf der Gitarre Bach spielte.“

Von allen Genesis-Mitgliedern ist Hackett bis ins reife Alter das virtuoseste und wandlungsreichste geblieben. Und als einziges Genesis-Mitglied kommt er bis heute immer wieder auf die Musik der „progressiven“ Phase zurück. Schon 1996 hat er ein „Genesis Revisited“-Album mit neuen Interpretationen der alten Songs aufgenommen. Jetzt ist „Genesis Revisited II“ erschienen – ein monumentales Quadrupel-Album mit 21 Stücken, von überlangen, rhythmisch und melodisch unentwegt hakenschlagenden Suiten wie „Supper’s Ready“ und „Musical Box“ bis zu dem vergleichsweise simplen „The Lamia“, hier mit herzzerreißend traurigem Tenor von Nik Kershaw interpretiert.

Dutzende von Sängern, Gitarristen, Orchestermusikern hat Hackett engagiert, um die Stücke neu einzuspielen; weil es von den Originalen keine Partituren gab, habe er mit dem damals schon dazugehörenden Tontechniker Roger King die harmonischen Folgen computeranalysiert. Große musikalische Variationen hat Hackett dann freilich nicht vorgenommen. Nur die Gitarre steht deutlich stärker im Vordergrund als früher: „Ja“, sagt er, „das stimmt, die Band hat damals immer darauf bestanden, dass ich in den Hintergrund gemischt wurde. Sie hatten kein Interesse an einem Guitar Hero.“

Das ist nun allerdings anders, und nicht zum Schaden der Songs. Auch hat Hackett solche Stücke ins Repertoire aufgenommen, die von seinen Bandkollegen seinerzeit ganz abgelehnt wurden: wie etwa „Shadow Of The Hierophant“, das dann auf „Voyage Of The Acolyte“ landete. Was würde wohl etwa Phil Collins zu dieser Revision der Genesis-Geschichte sagen? Hat Hackett den Mitmusikern von einst das Ergebnis zukommen lassen? „Nein“, sagt er und guckt ein wenig traurig, „ich finde, es wäre an ihnen, sich dazu zu verhalten.“ Glaubt er daran, dass es noch einmal zu einer Reunion in der klassischen Besetzung kommen könnte? „Ich habe immer gesagt, dass ich es nicht ausschließe. Aber es gibt absolut keine Pläne dafür.“

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