111 Songs: Die Regierung – „Charlotte“

In der Rolling-Stone-Beilage: "Pop in Deutschland" haben unsere Autoren 111 Bands und ihre besten Songs zusammengetragen. Eric Pfeil erklärt, warum „Charlotte“ von Die Regierung einer davon ist.

Missverständnis Hamburger Schule: Im Grunde war Die Regierung, jene stark vom Punk beatmete Band des Songschreibers Tilman Rossmy, ja eine Essener Band. Dort hatte Rossmy sie als Ein-Mann-Lo-Fi-Projekt schon 1982 gestartet. Erst 1992 und nach zwischenzeitlicher Auflösung siedelte man nach Hamburg um. Im selben Jahr veröffentlichte die inzwischen um Keyboarder Thies Mynther (Phantom & Ghost, Bierbeben) erweiterte Band auch das vielgeschätzte Album „So drauf“ – und zwar auf dem damaligen Hamburger „It“-Label L’Age d’Or. Dort erschien zwei Jahre später dann auch ihr Schwanengesang „Unten“, zur Hälfte in Mülheim an der Ruhr, zur Hälfte in Hamburg aufgenommen.

Und was für ein Album das war: Mynthers Piano perlte unaufhörlich, die einfachen Harmonien evozierten gleichermaßen Country, Pop und Punk, und der damals 34-jährige Rossmy sang mit brummender Nichtstimme ein genialisches Frauennamen-Lied nach dem anderen. Ein Album zum Trennen und Trauern, einmalig in seiner Schnodderigkeit und teilweise dem Deutschrock näher als den meisten diskursfreudigen Hamburgern. Im Booklet waren über Rossmys genialen Bierdeckeltexten für Nachspielwillige gar die Gitarrenakkorde abgedruckt, das kannte man so allenfalls von den Bots.

Der schönste der vier Frauennamen-Songs auf dem Album ist sicherlich „Charlotte“ (die anderen drei heißen „Natalie sagt“, „ Corinna“ und „Nicole“). Der Text von „Charlotte“ fügt dem Begriff Lakonie etliche neue Bedeutungsebenen hinzu: „Hey, Charlotte/ Ich hab dich gleich gemocht/ Ich hab an dich gedacht/ Aber nicht so oft.“ Nach dem Album war mit Die Regierung dann leider Schluss. Rossmy sang noch einmal recht charmant über Studentenmädchen und Wittgenstein, danach wurde es leider zunehmend langweilig. Schade, dass er nie gebeten wurde, für Lindenberg zu texten.

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