40 Jahre „Another Green World“: Als Brian Eno, Phil Collins und John Cale gemeinsam im Studio standen

Im Spätsommer 1975 heuerte Brian Eno ein paar befreundete Musiker an, um vier Songs und neun instrumentale Skizzen aufzunehmen. „Another Green World“ wurde ein wegweisendes Album.

Man kann sich heute nicht mehr vorstellen, dass Phil Collins und John Cale gemeinsam auf einem Album spielen. 1975 war die Welt eine andere. Und es gibt tatsächlich zwei Platten, auf denen sie das tun.

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Cale hatte im Frühjahr „Slow Dazzle“ aufgenommen, das Album mit der fröstelnden Version von Elvis Presleys „Heartbreak Hotel“, auf der Brian Eno den Synthesizer bedient. Im Sommer 75 weilte Cale in London, wo er bei John Peel zu Gast war und mit Eno an seinem sechsten Soloalbum „Helen Of Troy“ arbeitete, das schließlich zum Bruch zwischen dem ehemaligen Sänger, Komponisten und Violaspieler der New Yorker Kultband Velvet Underground und dessen Label Island Records führen sollte. Aber zunächst brauchte Cale einen Schlagzeuger – Eno vermittelte Collins, den er von „The Lamb Lies Down On Broadway“ kannte, dem epochalen Doppelalbum der Prog-Rock-Band Genesis und dem letzten mit Sänger Peter Gabriel, zu dessen Aufnahmen Eno ein paar Synthesizer-Parts und Elektronik-Effekte beigesteuert hatte. So trommelt Collins also auf dem umstrittenen Cale-Album, dessen morbider Höhepunkt, „Leaving It Up To You“, von der Plattenfirma ohne Cales Einverständnis vom Album gestrichen wurde – weil darin von Sharon Tate, Nazis und Panzern die Rede war. Und weil Collins noch ein bisschen Zeit übrig hatte, bevor er bei Genesis vom Schlagzeughocker ans Gesangsmikro wechselte, gesellte er sich im Spätsommer noch einmal zu Eno und Cale ins Studio, um bei den Aufnahmen zu Enos drittem regulären Soloalbum nach der Trennung von Roxy Music zu helfen.

Robert Fripp ließ sich von einem Generator inspirieren

Um diesen eigentümlichen Moment, das Zusammentreffen dreier sehr unterschiedlicher Musiker, die später nie wieder zusammenkamen, soll es hier gehen. Die Platte, die dabei entstand, wurde Ende September vor 40 Jahren als „Another Green World“ veröffentlicht. Für Eno ein Wendepunkt, für die anderen beiden eine Fingerübung. Das Album beginnt mit dem sägenden Instrumental „Sky Saw“, auf dem Percy Jones einen schönen brummelnden bundlosen Bass spielt und Cale Viola. Phil Collins hört man eher in den Hintergrund gemischt klöppeln – und erkennbar jazzrockgeschult. Im zweiten Track, „Over Fire Island“, hält Collins einen swingenden Takt, über den der Bass und Enos warme Synthesizerwellen hüpfen. Später stößt noch Robert Fripp dazu, Enos alter Kumpel und King-Crimson-Gitarrist, mit dem er unmittelbar nach diesen Aufnahmen einfach weiter machen wird – „Evening Star“ heißt das daraus resultierende Album. Auf „Another Green World“ klingt Fripps „wimshurst guitar“ besonders majestätisch und hochtönend; Eno hatte sich einen den Wechselstrom imitierenden Sound gewünscht, wie immer das klingen mochte, Fripp übersetzte den Wunsch in sein fingerflinkes Gedaddel, das er „wimshurst“ nannte in Anlehnung an den Namen eines Generators, der im Studio herumstand.

Eno, kein großer Sänger, aber mit einer sonderbar klaren, fast nüchternen Stimme ausgestattet, singt nur auf vier der 13 Stücke (am schönsten auf „I’ll Come Running“). Viele der Tracks sind kleine Skizzen, reizende elektronische Miniaturen, geisterhafte Kalvieretüden und Instrumentals, in denen vorbeihuschende Percussions, altertümliche Hammondorgeln, Cales Bratsche und diverse „unnatural sounds“ zum Einsatz kommen. Das hat so gar nichts mehr von Roxy Musics größenwahnsinnigem Glam-Rock, es hat überhaupt nicht mehr viel mit Rock zu tun. Eno emanzipiert sich auch von seiner eigenen Geschichte, von seinen ersten beiden Soloalben. Er bereitet auf „Another Green World“ vor, was er ein Jahr später auf „Discreet Music“ erstmals pur und grenzenlos ausbreitet: den stetig wabernden, sich nur minimal bewegenden Ambient-Sound, als dessen Erfinder Eno gelten darf. Auch David Bowie zieht er mit – im Januar 1977 erscheint „Low“, das erste Album aus Bowies Berlin-Trilogie, auf dessen zweiter Plattenseite ausschließlich von Eno stark beeinflusste Instrumentals zu hören sind.

Die Kritik beurteilte „Another Green World“ vor 40 Jahren mit gemischten Gefühlen. Charley Walters schrieb im ROLLING STONE von einem „großen Triumph“, Lester Bangs in der „Village Voice“ von „einlullender Musik“ und der „konzeptuellen Bürde“, die das Album dominiere.

Von Ambient Music über David Bowie bis U2

„Another Green World“ steht heute, 40 Jahre später, als Scharnier zwischen dem exaltierten, expressiven, rockgeprägten und dem esoterischen, soundfixierten, minimalistischen Eno. In den folgenden Jahren wurde Eno ein unerhört erfolgreicher Produzent (Ultravox, Talking Heads, David Bowie, U2) und Designer anspruchsvoller Backgroundmusik („Music For Films“, „Music For Airports“ etc). So zart, brüchig und dem Pop zugewandt wie auf „Another Green World“ war er nie wieder. Und das unwahrscheinliche Zusammentreffen der Musiker Brian Eno, John Cale und Phil Collins währte auch nur einen Sommer lang.

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