50 Jahre Woodstock: Was von der Hippie-Bewegung übrig blieb

Woodstock weckt noch immer eine tiefe Sehnsucht nach dem Freiheitsgefühl der 60er-Jahre. Das hat es mit dem Meilenstein auf sich.

Woodstock, jenes Festival, das heute als Meilenstein der Musikgeschichte gilt, stand anfänglich unter keinem guten Stern. Das begann schon bei der Auswahl des Festivalgeländes, denn eigentlich hätte die Veranstaltung an einem komplett anderen Ort ausgetragen werden sollen. Doch immer wieder scheiterten die Veranstalter an den Protesten der Anwohner. Langhaarige Jugendliche, Hippies und Gegner des Kriegs waren nicht gerne gesehen.

Zahlreiche Drohanrufe folgten

Nachdem die Veranstalter aus dem namensgebenden Ort Woodstock vertrieben wurden, fiel die Wahl auf Wallkill – dort hat das Team eine 250 Hektar große Fläche auftreiben können. Howard Mills verpachtete die Wiese an Woodstock Ventures – zahlreiche Drohanrufe folgten. Mills stieg aus. Woodstock wurde erneut verscheucht. Und das zu einem Zeitpunkt, als bereits knapp 60.000 Tickets an den Mann und die Frau gegangen sind.

Michael Lang auf dem Festivalgelände.
Michael Lang auf dem Festivalgelände.

Es brauchte einen damals 34-jährigen Verbündeten, der Teil der Handelskammer in White Lake war und somit über eine dauerhafte Genehmigung für Musik- und Kunst-Festivals im Stadtgebiet verfügte. Außerdem besaßen seine Eltern ein Motel, das an eine kleine, sumpfige Wiese anschloss. Elliot Tiber griff zum Telefon, wählte die Nummer von Veranstalter Michael Lang und – nachdem sich herausstellte, dass Tibers Wiese ungeeignet war – verkuppelte die Hippietypen mit dem Farmer Max Yasgur. Elliot Tibers Rolle in der Realisierung des gigantischen Hippie-Festivals wurde später von Ang Lee verfilmt und Tiber Teil der Legende Woodstock.

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„Dürfen wir eine deiner Wiesen pachten?“

Es muss nach einem einfachen Deal geklungen haben, als Lang an der Seite seiner anzugtragenden und blumenpflückenden Mitstreiter über Max Yasgurs Wiese stapfte. Ohne es zu wissen, wurde Yasgur durch seine Entscheidung für das Festival zum Schutzpatron von Woodstock und gab einer ganzen Generation für ein Wochenende ein Zuhause. Und das war nicht leicht: Auch er wurde im Vorfeld von Nachbarn bedroht. Die streitlüsternen Anwohner gingen sogar so weit, Yasgurs Milch zu boykottieren. Doch der Mann stellte sich auf die Seite des Festivals und wurde so Teil der Gegenkultur. Ohne Max Yasgur wäre die Musikgeschichte wohl um einen bahnbrechenden Meilenstein betrogen worden.

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Der 49-jährige konnte genauso wenig mit der Musik, den Drogen und der Kultur der neuen Generation anfangen, wie die meisten Menschen in seinem Alter. Yasgur aber dachte anders, er unterschied sich von ihnen: Er war der Ansicht, dass jeder Mensch das Recht auf ein friedliches Leben habe. Und da gehöre auch dazu, seine Meinung zu vertreten, gegen den Krieg zu demonstrieren, der unzählige Leben einforderte.

Kilometerlange Staus auf dem Weg zum Gelände.
Kilometerlange Staus auf dem Weg zum Gelände.

Woodstock war Protest

Woodstock passierte nämlich nicht einfach irgendwann, sondern in einer sehr empfindlichen Zeit: Martin Luther King Jr. wurde 1968 ermordet, Richard Nixon im Januar 1969 eingeschworen und der Vietnamkrieg spaltete das Land. 1969 befanden sich über eine halbe Million amerikanischen Soldaten in Vietnam, fast genauso viele Festival-Besucher protestierten zeitgleich gegen den Krieg. Woodstock war ohne Zweifel eine Anti-Kriegsveranstaltung.

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Menschenmassen, so weit das Auge reicht

400.000 Menschen erreichten das Festivalgelände, während 250.000 Fans irgendwo im Verkehrschaos stecken blieben. Die Straßen um das Festival herum glichen einem Parkplatz, der Ausnahmezustand wurde ausgerufen. Diejenigen, die das Festival besuchen wollten, mussten ab einem gewissen Zeitpunkt ihre Autos zurücklassen und wanderten im Schnitt 24 Kilometer, bis sie das Festivalgelände erreichten. Eine knappe halbe Million Menschen schafften es, doch das Festival war für weitaus weniger Besucher ausgelegt. Folglich teilten sich 400.000 Hippies 600 Toilettenhäuschen. Da der Menschenstrom nicht nachzulassen schien, mussten die Veranstalter und zahlreiche Helfer improvisieren: Die überwältigende Situation veranlasste Michael Lang und seine Mitstreiter dazu, das Festival zu öffnen. Woodstock stellte die Bands gratis auf die Bühne, doch Gagen mussten natürlich trotzdem gezahlt werden.

Menschenmassen.
Menschenmassen.

Nachträglich wurden über 600 Kilogramm Konserven, Obst und Sandwiches eingeflogen – die Straßen waren schließlich dicht – Frauen des jüdischen Gemeindezentrums im nahegelegenen Monticello schmierten 30.000 Brote, Ordensschwestern drückten diese den hungrigen Hippies in die Hand. Woodstock war für kurze Zeit eine komplette Stadt, in der Babys geboren, Drogen genommen und Frühstück im Bett serviert wurde.

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Eine Oase des Friedens

Woodstock war ein unglaublich gewaltfreies Festival. Die „3 Days of Peace and Music“ hielten, was sie versprachen. Zwar kamen während der Veranstaltung zwei Menschen ums Leben, doch handelt es sich in beiden Fällen um tragische Unfälle. Die absolut unüberschaubare Situation, die Woodstock war, hätte sich auch anders entwickeln und – allein der schieren Vorbereitungslosigkeit und des ungeahnten Ausmaßes wegen – einige Opfer fordern können. Doch womöglich war während des kompletten Festivals der gewalttätigste Ausrutscher Pete Townshend von The Who, der während des Auftritts einen Kameramann trat und von der Bühne stieß.

Swami Satchidananda eröffnete das Festival.
Swami Satchidananda eröffnete das Festival.

Michael Lang war ein Visionär und hatte ein ungemeines Verständnis für die aktuelle Hippie-Bewegung, Artie Kornfeld verfügte über zahlreiche Kontakte, während Joel Rosenman und John Roberts das nötige Kleingeld beiseite gelegt hatten. Gemeinsam bildeten sie den Kern der Woodstock Ventures, und gemeinsam mit zahllosen Helfern kreierten sie eine Oase des Friedens inmitten einer sich bekriegenden Welt, auf dem Höhepunkt der Hippie-Bewegung.

Das Ende der Generation Woodstock

Und nur vier Monate später schlug die Hippie-Bewegung auf dem Boden auf: Während Woodstock friedlicher nicht hätte sein können, wurde das Altamont-Festival Zeuge einer schrecklichen Gewaltspirale. Die Rolling Stones engagierten – auf Empfehlung der Band Greatful Dead hin – die Hell’s Angels als Sicherheitspersonal. Als die Stimmung in der Menschenmenge umschlug, stellte sich dies als tragische Fehlentscheidung heraus: Die Hell’s Angels gingen mit Billardstöcken auf das Publikum los, wiesen sie sogar mit ihren Motorrädern zurecht und – als Gipfel der Gewalt – ermordeten den 18-jährigen Afroamerikaner Meredith Hunter mit fünf Messerstichen. Das Ende der Ära von Frieden und Liebe war besiegelt.

Dass Woodstock nicht wiederholbar ist, haben zahlreiche Versuche bewiesen. Fast immer wurden nachfolgende Festivals vergleichbarer Bedeutung von gewalttätigen Auseinandersetzungen überschattet. Auch Michael Lang und Woodstock Ventures blieben nicht verschont: Zum 30. Jubiläum des Meilensteins veranstalteten sie Ende Juli 1999 in Rome, New York die dritte Edition von Woodstock – bereits fünf Jahre zuvor fand Woodstock II statt. 30 Jahre nach dem Original kippte die Stimmung schnell, es kam zu Handgreiflichkeiten und Ausschreitungen erschreckenden Ausmaßes: Sanitäranlagen wurden zerstört, eine der Bühnen ging in Flammen auf, Kamerateams mussten evakuiert werden. Während des Auftritts von Limp Bizkit wurde eine Frau von mehreren Männern direkt vor der Bühne vergewaltigt. Der krasse Gegensatz zum friedlichen, schwester- und brüderlichen Woodstock könnte nicht erschütternder sein.

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Unsere Welt braucht klare Köpfe

Der heutigen Gesellschaft ist es vielleicht nicht mehr möglich, eine Hippie-Bewegung zu generieren, wie sie in den 60er-Jahren stattgefunden hat. Doch unsere Welt benötigt – dringender denn je – klare Köpfe, die verstehen, wie man in Frieden miteinander lebt, kommuniziert und Kompromisse schließt. Pazifistische Kämpfer und Kämpferinnen, wie jene um Greta Thunberg, machen es vor. Und auch Festivals haben noch immer das Potenzial, Statements gegen Hass zu setzen, man denke nur an „Wir sind mehr“ und „Wir bleiben mehr“ in Chemnitz.

Richie Havens mit seiner Hymne „Freedom“.
Richie Havens mit seiner Hymne „Freedom“.

Doch ein zweites Woodstock wird es niemals geben, hat es niemals gegeben, zu einzigartig war die unglaublich unübersichtliche Situation, die viel zu leicht in absolutem Chaos hätte enden können. Aber es kam ganz anders. Hunderttausende Hippies stürmten das Feld eines gutherzigen Milchbauerns, verstopften die Straßen, hüpften nackt in den See. Nebenbei werden sie zum Vorbild nachfolgender Generationen, setzten ein Zeichen des friedlichen Zusammenlebens und wecken noch heute eine tiefe Sehnsucht nach dem Freiheitsgefühl der 60er-Jahre. Und über das Line-up, die Musik wurde noch gar kein Wort verloren.

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