Alles uneitel – Jim O’Rourke, Jeff Tweedy und Wilco
Die erste gemeinsame Platte erschien Mitte der Achtziger, hat Jim O’Rourke enthüllt. Ohne die Eckdaten zu nennen, die es dann auch möglich machen würden, die Platte selbst aufzuspüren: Auf einem Compilation-Album mit Noise-Rock aus Chicago ist angeblich der junge O’Rourke mit seiner damaligen Bandvertreten und Jeff Tweedy mit seiner. Sie kannten sich noch nicht. Vielleicht war Jim O’Rourke schon damals der musikalische Freund, den Tweedy suchte und ohne den er rund 15 Jahre später sein bis dahin ehrgeizigstes Werk nie vollendet hätte. Vollendet wohl schon, aber nur als Kompromiss. Auf „A Ghost Is Born“ hat O’Rourke jetzt zwar zum ersten Mal den Credit als Co-Produzent eines Wilco-Albums, aber „Yankee Hotel Foxtrot“ war der eigentliche Beweis dafür, was er und Jeff Tweedy gemeinsam schaffen können.
Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man sie freilich als Gegensatzpaar gegenübersetzen. Jim O’Rourke, der Tonband-Schnipsler und Neutöner, der freie Improvisator und Exponent des Chicago-Postrock-Sounds, Mitglied von Gastr Del Sol und neuerdings von Sonic Youth, gegen den Songwriter Jeff Tweedy, der mit Gitarre und Mundharmonika auf der Bühne steht. Tweedy hat das einmal so erklärt, dass er selbst Musik immer nurnach dem Gehör gespielt, von anderen gelernt und abgeschaut habe, O’Rourke dagegen eine akademische, analytische Herangehensweise pflegen würde – trotzdem seien die Platten, für die sie schwärmen, gar nicht so unterschiedlich. Dass O’Rourke nicht nur tschechische Minimal-Klassik, sondern auch Paul McCartney und die Americana von John Fahey und Van Dyke Parks verehrt, ist kein Geheimnis.
„Alle denken, dass ich in Chicago mit dem und dem und dem rumhänge, aber ich verbringe viel mehr Zeit mit Jeff Tweedy als mit allen anderen zusammen“, hat Jim O’Rourke vor zwei Jahren im Interview zu seinem „Insignificance“-Album gesagt, als er schon nach New York gezogen war. „John McEntire sehe ich vielleicht zwei Stunden pro Jahr. Ich gehe sowieso nicht viel aus. Am liebsten arbeite ich. Oder ich treffe mich mit Jeff zum Plattenhören, aber das artet am Ende auch wieder in Arbeit aus (lacht). Das ist so bei mir, ich verbringe die meiste Zeit mit den Leuten, mit denen ich auch Musik mache. Zwischendurch schalte ich dann den Fernseher an und schaue mir mit Jeff ein ,Whitehouse live in Hamburg 1983′-Video an.“ Diese Nerd-Idylle wird länger halten als Tweedys schwierige Freundschaften mit Jay Farrar bei Uncle Tupelo und Jay Bennett bei Wilco. Die zwei Strubbelköpfe haben denselben Arbeitseifer, und wichtiger: Jim O’Rourke ist zwar ein virtuoser, ideenreicher Musiker, hat dabei aber kein Bedürfnis, sich bei fremden Projekten in den Vordergrund zu schummeln.
Genau das hat Jeff Tweedys Zusammenarbeit mit starken Partnern nämlich bisher immer gestört und zersprengt. „Meine Vorstellung davon, wie die Arbeit bei Wilco funktionieren soll, kann ich nur verwirklichen, wenn alle Beteiligten am gleichen Strang ziehen“, erzählte Tweedy im Frühjahr 2002 zu “ Yankee Hotel Foxtrot“. „Wir sind eine Rockband, ich weiß, aber ich muss nicht alles tolerieren, wenn ich den Leuten nicht abnehme, dass sie die richtige Motivation haben.“ Er meinte Bennett, der kurz vor der Trennung von Tweedy schnell noch viel zu viele Instrumententalspuren auf die „Foxfrot‘-Bänder gespielt hatte. Viele wurden wieder gelöscht, als Jim O’Rourke zur Hilfe kam und mit Tweedy die Musik neu formulierte. „Ich vertraue Jims Feingefühl und Intuitionen. Wir haben Songs umgeschrieben, neu arrangiert, neu strukturiert, neue Parts aufgenommen. Neben den Leistungen der Musiker hat diese Arbeit dem Album erst seine eigentliche Gestalt geschenkt.“
Kein Neid. Die experimentelle Band Loose Fur haben Tweedy und O’Rourke schon 2000 gegründet, mit Drummer Glenn Kotche, der später zu Wilco kam. Auf O’Rourkes letzter Solo-Platte waren Tweedy und Kotche dabei, auf „Ghost“ hört man den Einfluss noch stärker. Eigentlich ist Jim O’Rourke ein Bandmitglied.