Anna von Hausswolff: „Meine Fantasie ist einfach zu mächtig“

Mythen, Märchen, Übersinnliches: Die Organistin und Songschreiberin ANNA VON HAUSSWOLFF erklärt ihre frostige Wunderwelt

Anna von Hausswolff musste erst lernen, Angebote abzu­lehnen, die nicht zu ihr passen. Zweimal ließ sie sich zu Modeaufnahmen überreden. Heute undenkbar für die Künstlerin, die im schwarzen Rollkragenpullover zum Interview erscheint und am liebsten nur noch schwarz-weiße Fotos, die sie von hinten zeigen, zu Promozwecken herausgeben würde. „Ich habe mich nie wieder in meinem Leben so lächerlich gefühlt“, erinnert sich die 29‑Jährige an das Shooting. „Die Stylistin hängte mir eine grässliche, viel zu große Lederjacke um. Dazu sollte ich rote Ballonhosen tragen, die aussahen, als gehörten sie zu einem Clown. Ich fragte: ,Haben Sie sich meine Musik mal angehört?‘ “

Youtube Placeholder

An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

Episches über den Tod

Wenn man der zierlichen, blonden Schwedin mit dem schüchternen Lächeln gegenübersitzt, fällt es tatsächlich schwer, sie mit dieser morbiden, apokalyptischen Musik zusammenzu­denken. Ihr Debüt, „Singing From The Grave“, war mit intensivem Klavierpop in ihrer Heimat ein Überraschungserfolg; mit dem Nachfolger, „Ceremony“, machte Anna von Hausswolff jedoch unmissverständlich klar, dass man sie bis auf Weiteres weder im Radio hören noch in Hochglanzmagazinen sehen würde.

In überlangen, überwältigenden Stücken wie „Deathbed“ oder „Funeral For My Future Children“ singt sie, von einer Kirchenorgel begleitet, Episches über den Tod und die unbeteiligte Grausamkeit der Natur. Gewidmet ist das Album ihrem verstorbenen Großvater und einem engen Freund, der bei einem Snowboard-Unfall ums Leben kam. „Der Berg hat ihn verschluckt“, wie sie sagt.

Reise ins Herz der Finsternis

Auf ihrem neuen Album, „The Miraculous“, setzt von Hausswolff ihre Reise ins Herz der Finsternis konsequent fort. „Der Sound hat sich im Laufe der vergangenen zwei Jahre auf der Bühne immer mehr vergrößert“, erzählt die Musikerin, die als 16-Jährige in einer Black-Sabbath-Coverband Schlagzeug spielte. „Alles wurde heavier, dynamischer, die Songs wurden länger, wir brachen immer mehr Regeln klassischer Kompositionsstrukturen.“
„The Miraculous“ soll das Gefühl ihrer Konzerte einfangen, die mit spärlicher, fahler Beleuchtung oft spiritistischen Andachten gleichen.

(PYMCA/UIG via Getty Images)
(PYMCA/UIG via Getty Images)

Von Hausswolffs geliebte Kirchenorgel (auf Face­book postete sie während der letzten Tournee immer wieder begeistert Fotos besonders eindrucksvoller Orgelpfeifen) tritt zugunsten von Schlagzeugdonner und schweren Gitarrenriffs in den Hintergrund, ebenso ihre Stimme, die sich nur noch gelegentlich in die Täler der groß anschwellenden Klanglandschaften schiebt: „Die Erde! Die Sonne! Die Ratten! Der Staub!“, raunt sie biblisch am Ende des neunminütigen „Dis­covery“. Dann brechen die unheilvollen Klänge wieder los, die in ihrer Wucht stellenweise an den basslastigen, gedehnten Doom-Drone-Metal von Bands wie Sunn O))) und Earth heranreichen.

Die Erde! Die Sonne! Die Ratten! Der Staub!

Bis zum Selbstporträt als Horrorphantom auf dem Cover ist „The Miraculous“ ein Flirt mit der Ästhetik skandinavischer Black- und Death-Metal-Bands – eine Vorliebe, die sie in der Vergangenheit fast die Karriere kostete. 2013 tauchte ein Foto auf, das die damals noch etwas pausbäckige Sängerin in einem T-Shirt der kontroversen norwegischen Einmannband Burzum zeigte. Deren Gründer, Varg Vikernes, saß fast 15 Jahre wegen Mordes und Kirchenbrandstiftung im Gefängnis und machte die Behörden auch nach seiner Freilassung immer wieder mit antisemitischen und rechtsextremen Blog-Einträgen auf sich aufmerksam. „Plötzlich ging das Gerücht um, ich wäre ein Nazi und eine Faschistin“, bedauert von Hausswolff ihre naive Kleiderwahl. „Linke Organisationen schrieben Hassmails an mich und riefen zum Boykott meiner Konzerte auf. In Russland musste ich eine Tour absagen. In England stellte man mir Bodyguards vor die Bühne. Eine surreale Erfahrung, die ich nicht noch einmal machen will.“

Sie versichert, dass sie die Weltsicht des egomanischen Nazi-Nerds (zuletzt veröffentlichte Vikernes ein Fantasy-Rollenspiel, in dem ein heiliges nordisches Land von ehrlosen Immigranten unterwandert wird) nicht teilt. Die für Black-Metal-Verhältnisse relativ eingängigen Melodien seiner Frühwerke hätten ihr lediglich die Ohren für das Genre geöffnet. Als Einflüsse auf ihre Musik seien die Avantgardistin Diamanda Galás und John Cage jedoch weitaus wichtiger gewesen, betont von Hausswolff, die an der Uni in Kopenhagen in einem Studiengang für Konzeptkunst eingeschrieben ist.

Wie der Vater, so die Tochter

Ihre Faszination für das Okkulte teilt Anna Michaela Ebba Electra von Hausswolff, wie sie mit vollem Namen heißt, mit ihrem Vater, dem in Avantgardekreisen nicht eben unbekannten Klangkünstler Carl Michael von Hauss­wolff. Für sein Projekt „Operations Of Spirit Communication“ will dieser – in der Tradition von Thomas Alva Edisons sagen­umwobenem Geisterphonographen – mithilfe von Radar und Oszilloskop Botschaften aus dem Jenseits aufgezeichnet haben. „Meine Schwester und ich hörten uns dieses in Spukhäusern aufgenommene Rauschen stundenlang an, ab und zu stoppte unser Vater aufgeregt das Band und fragte: ,Habt ihr das gehört?‘ “ Meistens verstand man überhaupt nichts, aber manchmal hörte man tatsächlich deutlich Wörter, ich erinnere mich an ‚Pass auf!‘ und ‚Ich rieche dich‘. Das Gruseligste aber war eine Stimme, die klang, als würde sie leise vor sich hin singen.“

(Photo by Ragnar Singsaas/WireImage)
(Photo by Ragnar Singsaas/WireImage)

Auf mehreren Stücken von „The Miraculous“ besingt von Hausswolff ebenfalls einen Ort, an dem die Toten noch unter den Lebenden umhergehen: ein kleines Dorf außerhalb ihrer Geburts­stadt, Göteborg, das sie mindestens zweimal pro Jahr zur Inspiration besucht. „Es liegt ein unerklärlicher Nebel über dieser Landschaft, kein sichtbarer Nebel, mehr eine Art außer­weltliche, dunkle Energie, die sich zwischen Himmel und Erde angesammelt hat. Ich kenne diesen Ort seit meiner Kindheit. Die vielen Legenden, die sich um ihn ranken, haben meine Wahrnehmung sicher beeinflusst.“ Es sind Legenden, die wie klassische Schauer­geschichten klingen. Da gibt es einen See, aus dem die Schatten unzähliger Ertrunkener an nebligen Tagen langsam über die Weiden auf das Dorf zumarschieren. Einen unehelichen Sohn einer Magd, der tief im Wald in einer Hütte eingesperrt lebte und keinen Kontakt zur Außen­welt hatte, bis er 15 Jahre alt war. Eine alte Frau, die sommerlang kleine Kinder aushungerte, um sie dann zum Betteln zu schicken. Und es gibt einen Bauernaufstand, der mit einem blutigen Massaker endete.

Meine Fantasie ist einfach zu mächtig

„Ich wäre gern eine rationale, logisch denkende Person“, sagt von Hausswolff, „aber meine Fantasie ist einfach zu mächtig.“ Ein Architekturstudium hat sie abgebrochen, davor arbeitete sie ein Jahr lang als Apothekerin und „sortierte in weißem Kittel, Haarnetz und Handschuhen Pillen“. Beides passte nicht zu ihr. Erst in der Kunst fand sie ein Ventil fürihre dunkle Vorstellungskraft. „Es gibt viele uner­klärliche Phänomene, bloß gilt man gleich als Hippie, wenn man offen darüber spricht“, schimpft sie.

Musik als unerklärliches Phänomen

Auch Musik ordnet von Hausswolff in die Reihe der unerklärlichen Phänomene ein, auch sie sei „eine spirituelle, außerweltliche Erfahrung“. Wer sich schon mal bei einem ihrer Konzerte in einer Kirche oder einem alten Konzertsaal vom druckvollen Sound in den Eingeweiden hat wühlen lassen, ahnt, wovon sie spricht. „Wenn ich meine Bandmitglieder anschaue, kann ich lesen, wie sie sich fühlen – und wenn einer von ihnen die Musik gerade aus ganzem Herzen genießt, pflanzt sich das in mir fort. Schließlich gibt man diese Energie auch ans Publikum weiter und bekommt sie potenziert wieder zurück, es ist ein unbewusster Austausch auf allen Ebenen, eine Kettenreaktion, durch die 500 Menschen in einem Konzertsaal in Verbin­dung treten können. Ich liebe das.“
Musik als spukhafte Fernwirkung: Es klingt fast logisch, wenn Anna von Hausswolff so darüber spricht.

PYMCA UIG via Getty Images
Ragnar Singsaas WireImage
Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates