Arne Willander über das primitive Elend der so genannten deutschen Popmusik und die bevorstehende Punkwerdung des Andreas Frege

Man mag Andreas Frege nicht gern Recht geben, doch manchmal spricht er die Wahrheit: Der Erfolg der Sozialarbeits-Truppe Bro’Sis sei pervers, ließ der Mann, der sich Campino nennt, irgendwo verlauten. Grund genug für eine Nachricht, die auch an „“Bild“ nicht vorbei geht, die eben noch Die Toten Hosen für ihr Durchhaltevermögen und eine neue Nr. 1-Platte gefeiert hatte. Eine Woche später waren Bro’Sis die Nr. 1, selbstverständlich mit geklautem Plattentitel und wahrscheinlich geklauten Songs. Nur die sechs Flitzpiepen in „“H&M“-Klamotten hatte sich die Plattenfirma exklusiv zusammenstellen lassen. „“Never Forget (Where You Come From)“ ist der hässliche Wechselbalg aus schwerer Kindheit und street credibility, Ehrgeiz und Dummheit, krimineller Energie und passender Erscheinung. Unsympathen wie der Halb-Amerikaner Shaham bevölkern sonst gammelnd und skateboardfahrend die Fußgängerzonen und haben wegen Körperverletzung bereits Vorstrafen (wir erinnern uns: der schwarze Türsteher Nana, irgendwann im letzten Jahrhundert). Die Getto-Kids und Taugenichtse von Bro’Sis, Mitglieder der deutschen Pisa-Studien-Internationale, bekamen von „“Popstars“ ihre zweite Chance. Das freut auch den Johannes Rau, schon sehr entrückt: Für seine Alibi-Veranstaltungen zur Integration von Ausländern dürfen die beliebten Tanzbären im Schloss Bellevue erscheinen, nachdem sie gerade eine Begegnung mit der „“Bild“-Nymphe Jeanette Biedermann total aufregend fanden. Harald Schmidt hält sich feige zurück, als Bro’Sis bei ihm von der Klassenfahrt schwärmen und ein Liedchen anträllern. Nur einmal deutet der Zyniker vitriolisch an, dass ihr Höhenflug bloß ein Jahr dauern wird. Ist ihm doch egal. Das Früchtchen Indira hofft indes auf eine ganz lange Karriere. Vorher hat sie es beim Privatradio versucht, wo sie vermutlich den Programdirektor und die Chargen becircte. Gibt es heute noch Programmdirektoren?

Sarah Connor stammt aus Delmenhorst, spricht so, sieht so aus und ist dennoch zurzeit Popstar. Die von Mariah Carey gestohlene Kreischballade „“From Sarah With Love“, eine selbst in den Charts unübertroffene Anhäufung von Kitsch, hatte sie für Thomas Gottschalks Samstagabendstadl qualifiziert, immerhin dieselbe Ausgabe, in der Mick Jagger um Freunde buhlte. Es wunderte wenig, dass der Spießer Gottschalk begeistert auf ihre nuttige Aufmachung verwies. Die Connor dankte es ihm und war am nächsten Tag die Schlagzeile in „“Bild am Sonntag“; später rief neben den Boulevard-Buden von Sat 1, RTL und Pro 7 auch Günter Jauchs verheucheltes „“stern tv“ an, wo die Connor das patente Mädchen aus Dingsda spielte und beim Vermörteln eines Badezimmers half, diesmal züchtig im Blaumann.

Ebenso putzig sind die zwei goldigen Musikanten von Orange Blue, zwischen die kein Blatt Papier passt. Mit dem Vorkommen in einem Disney-Film und der penetranten Schnulze „“She’s Got That Light“ gelangten der Pianist Vince und der türkische Sänger Volkan zu einigem Ruhm. Die schmierigen Schwätzer stottern bei „“Volle Kanne“ im ZDF von ihren leider zerrütteten Lebensabschnittsbeziehungen. Volkan wird mittlerweile von der ewigen Ansagerin Desiree Nosbusch begehrt, die in den chronisch schreienden Sänger verliebt ist. Volkan eiert zwar über die Bühne wie ein waidwunder Brüllfrosch, doch schon in der Schule soll er der Schwärm aller Mädchen gewesen sein. Vince hat eine Glatze und spielt Klavier. Wer genau Schmachtfetzen wie die Sat 1-Körperverletzung „“Powered By Emotion“ schreibt, wollen sie nicht verraten. Von ihnen beiden vermutlich niemand.

Meine liebste Integrantin aber ist das Ausländerkind Nina aus Hamburg, das immer mit irgendwelchen Schwester-Aufpasserinnen im Osten unterwegs ist und jetzt eine neue Single herausbringt, die schlicht und einfach „“Scheiß drauf“ heißt.

Andreas Frege, der sich leider noch immer Campino nennt, ist in dieser Situation ein Trost. Bei Johannes Baptist Kerner erzählt er, plötzlich melancholisch geworden, vom Tod seiner Mutter, vom Experimentieren mit Drogen, von seinem Steckenpferd, dem Testamentschreiben, und dem Gedanken an den Tod. Campino wird halt bald 40. Der danebensitzende Schnauzbart Jürgen Trittin hat natürlich niemals Rauschgift konsumiert, er verkostet lieber „“einen guten Rotwein“. Soviel Dolce vita kotzt sogar den Sozialdemokraten Campino an, der Rotwein allenfalls direkt aus der Flasche trinkt.

Wenn Campinos Krise so aussieht, könnte eigentlich immer Krise sein. Die Platte „“Auswärtsspiel“, durchaus kein Vergnügen, ist nach Maßstäben der Toten Hosen beinahe subtil geraten. Zwar gelingt es ihnen noch immer nicht, die forcierte Marschmusik und das notorische Bellen Campinos in veritable Songs zu überführen, und sogar etwas so Trauriges wie „“Nur zu Besuch“ wird zum peinlichen Rezitativ. Aber der Mann selbst scheint jetzt in der Lage dazu, seine Gefallsucht abzuwerfen und tatsächlich noch ein Punk zu werden. Er schreibt dann nicht mehr im „“SZ Magazin“, trifft sich nicht mehr mit dem Simpel Bela B., geht nicht mehr zu Kerner, gibt „“Viva“ keine Interviews mehr, hört nur noch Songs von Randy Newman und liest Schopenhauer. Er verliert sein Publikum und ist froh darüber. Pervers.

Dieser Campino steht schon um die Ecke.

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