Willander Sieht Fern

Babos unterwegs – Kabarett trifft Hip Hop in „Durch die Nacht mit…“ auf Arte

Eine Sternstunde des Dokumentarfilms mit Haftbefehl und Oliver Polak - beim Kulturkanal Arte

Oliver Polak steigt an der imbissbude aus, er hat Blümchen für Haftbefehl mitgebracht: „Schokolade gab’s nicht.“ Polak ist Stand-up-Comedian, er geht nach vorn: „Du kommst aus Frankfurt?“ – „Offenbach“, sagt Haftbefehl, der wie eine Mischung aus Atze Schröder und Donald Fagen aussieht und eine große Sonnenbrille trägt. „Supermegabeschissene Taxifahrerin“, schimpft Polak. „Warum?“ fragt Haftbefehl. „Weiß nicht, die hat’s nicht drauf.“ Polak: „Ich bin ehrlich – ich kenn nur einen Song von dir. Ich hör wenig deutschen HipHop.“ – „Ami?“, fragt Haftbefehl. „Indie-Rock, Elektro, Udo Jürgens …“ – „Sagt mir nix.“ – „Udo Jürgens? Der Typ, immer am Ende des Konzerts im weißen Bademantel! ,Ich war noch niemals in New York‘, den Song kennst du!“ – „Nee.“ – „Du verarschst mich! Was hörst du denn?“ – „Rap-Musik. B.I.G., Jay-Z und 50. New York.“

Als das geklärt ist, bestellt Haftbefehl ein paar Rindswürste. Polak, der eine grüne Bomberjacke und schwarze Jogginghosen trägt, erzählt: „Ich bin jüdisch, und meine Eltern haben eine Zeitlang versucht, koscher zu essen – die haben sich Rindswürste aus Frankfurt bestellt.“ Sie steigen in eine geräumige Limousine. „Warst du mal im Knast?“, fragt Polak, denn sie fahren zum Knast. „Nee, ich war mal zwei Wochen in Jugendarrest.“ – „Übel oder ging?“ Haftbefehl ist unentschlossen und schaut nach draußen. „Geht.“ Dann gähnt er. „Ich sollte auch mal in den Knast“, erinnert sich Polak, „weil ich irgendwas nicht gezahlt hatte.“

Im Gefängnis melden sie sich mit „Arte“ an. „Kennst du das, wenn die einen abtasten?“, fragt Polak. „Manchmal macht einen das so ’n bisschen geil. Versehentlich.“ Ein grauhaariger Beamter führt sie in eine Zelle. Sie gehen gleich wieder. „Das ist einer der top-unangenehmsten Menschen, die ich in den letzten Monaten getroffen habe“, sagt Polak. „Die Leute, die hier arbeiten, sind halt abgewichst, Alder“, weiß Haftbefehl. „Was meinst, wie oft der in die Fresse gekriegt hat, der …“

In der Limousine fragt Haftbefehl, ob Polak mal Crystal Meth konsumiert habe. Polak weicht aus. Haftbefehl: „Man sollte die Finger komplett von den Drogen lassen. Sag isch, mein isch.“ Er schaut aus dem Fenster. „Wie bist du denn drauf?“, fragt Polak. Haftbefehl liegt breitbeinig auf dem Polster. „Was verdienste mit deiner Comedy?“ – „Normal.“ – „Wie viele Leute kommen denn so?“ – „In Deutschland so 500, in Österreich kamen 2.500.“ – „Geil.“

Polak echauffiert sich: „Die können nicht verstehen, dass Witze über Vergewaltigung lustig sein können. Oder über den Holocaust. Oder über Sodomie, Pädophilie.“ Haftbefehl: „Das sind Themen, über die würde ich keine Witze machen. Du machst es, verdienst dein Geld damit. Ich würde keine Witze über Mohammed machen. Oder über Jesus.“ Polak: „Aber ich kann doch einen Witz über dich machen und trotzdem Respekt vor dir haben.“ Haftbefehl murmelt: „Das ist was anderes.“

Nun sind sie bei dem Hochhaus angelangt, in dem der Vater von Haftbefehl einst eine Eigentumswohnung erwarb. Sie schauen vom Balkon. „Mit 18 bin ich abgehauen, hab drei Jahre in der Türkei gelebt.“ Polak: „Wa-rum?“ – „Weil ich ’nen Haftbefehl hatte.“ Vor dem Haus grüßt er höflich eine ehemalige Nachbarin. „Was passiert denn hier nachts?“, fragt Polak. „Betrunkene, Stechereien, Prügeleien, Schlägereien, schon ekelhaft.“ Auf der Kirmes fragt Haftbefehl: „Was gibt’s Besseres als Kirmes?“ Polak sagt: „Ein, zwei Sachen. Essen.“ Aus einem Karussell tönt ein Stück von Haftbefehl, wie Haftbefehl bemerkt. Ein paar Kinder verfolgen sie zur Limousine. „Meine Mutter hat schon wieder angerufen“, sagt Polak. Man hört Mutters Stimme aus dem Mobiltelefon. Polak gibt das Gerät an Haftbefehl. „Schönen guten Abend, Frau Polak. Wir dreh’n hier gerade mit Ihrem Sohn für ’n Fernseher.“

Haftbefehl hat eine Frage: „Sind deine Eltern reich?“ – „Warum fragst du?“ – „Weil Juden meistens reich sind.“ Haftbefehl lacht scheppernd. Polak erklärt, dass es sich um ein Klischee handelt. „Ich wurde auch schon als Antisemit dargestellt“, sagt Haftbefehl. „Na ja, wenn du denkst, dass alle Juden reich sind, dann ist das auf jeden Fall ein antisemitischer Gedanke.“ – „Echt?“

In einer Apfelweinwirtschaft mit angeschlossenem Kabarett-Theater erklärt Polak dem triefäugigen Wirt, dass deutsches Kabarett „ziemlicher Dreck“ sei. Der Wirt wendet sich an Haftbefehl: „Dir sagt man nach, dass du fast dadaistisch unterwegs bist.“ Haftbefehl schaut verständnislos: „Was ist das?“ – „Eine Kunstform.“ Polak sagt: „Aber dadaistisch ist doch so abrupt, abgehackt.“ – „Macht er ja“, sagt der Wirt.

In einem Restaurant werden Garnelen und Rindersteak serviert. Ein Klavier steht im Raum. „Kannst du Klavier spielen?“, fragt Polak. „Nee, ich kann aber schlafen. Schlafen ist das Beste, Alder.“ Dann stellen sie fest, dass heute die Feiertage Jom Kippur und Bayram sind, und stoßen mit den Fäusten an. Satt falten sie die Hände über den Bäuchen.

„Ich trage nur Jogginghosen“, sagt Polak.

„Beste“, sagt Haftbefehl.

Des Autors liebste Begegnungen der Reihe „Durch die Nacht mit…“ waren bisher Klaus Maria Brandauer und Campino sowie Uli Jon Roth und Billy Corgan.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates