Berlinale 2016: Literature meets Cinema (2)

Die 66. Berlinale tritt in ihre literarische Phase, mit Romanen von Hans Fallada und Philip Roth, einem japanischen Krimi sowie der Geschichte von Tom Wolfe und seinem legendären Verleger. Danis Tanovic beeindruckt mit der Verarbeitung eines Bühnenstücks von Bernard-Henri Levy.

Bebilderte Briefe

Tolle Bilder, schwierige Erzählung. Ivo M. Ferreiras cineastische Inszenierung der Briefe aus dem Angolakrieg des portugiesischen Schriftstellers António Lobo Antunes betört und verstört.

Ein betörendes und irritierendes Bilderwerk haben der portugiesische Regisseur Ivo M. Ferreira und sein Kameramann João Ribeiro mit ihrer filmischen Verarbeitung der Briefe, die der portugiesische Nationalschriftsteller António Lobo Antunes seiner Frau aus dem Krieg in Angola geschrieben hat, geschaffen. In traumhaft schönen Schwarz-Weiß-Bildern haben sie die Landschaft Angolas eingefangen, dazwischen mengen sich Impressionen aus den Militärlagern der portugiesischen Armee.

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Unter die betörenden Naturpanoramen in diesem ästhetischen Bilderreigen ist der monotone Ton unterlegt, mit dem Auszüge aus den Briefen vorgelesen werden. In diesen spricht Antunes über die Schönheit des Landes und die Anmut seiner Bewohner, er berichtet von den Zuständen in den verschiedenen Militärcamps, in denen er als Arzt eingesetzt wurde, und beschreibt die Kampfeinsätze, in die seine Einheit zog. Vor allem aber schüttet er sein vor Sehnsucht blutendes Herz aus, was seinen Höhepunkt in einer mehrminütigen Aneinanderreihung von Kosenamen für die In Portugal Zurückgelassene findet.

Antunes ist Humanist und Poet ersten Ranges, seine kritische Haltung gegenüber Krieg und Gewalt dringt wie in seinem übrigen Werk auch in seinen Briefen durch. Dennoch gerät die Schuld dieses kolonialen Verbrechens der Portugiesen vollkommen ins Abseits, wird in »Cartas da Guerra« – auch aufgrund der literarischen Vorlage – zur Nebensache der Wehmut und Sehnsucht des Autors. Das nimmt dem Sujet nicht nur seine Relevanz, sondern gibt diesen bezaubernd fotografierten Film auch eine verstörende Note.

Der unheimliche Nachbar

Mit »Creepy« präsentiert die Berlinale Special einen japanischen Arthouse-Thriller ersten Ranges.

Kiyoshi Kurosawas Thriller Creepy, der auf dem gleichnamigen Roman des japanischen Mystery-Autors Yutaka Maekawa (der in Japan besonders wegen der großen Spannung seiner Romane gelobt wird), ist beklemmend, obwohl das Setting relativ schnell offengelegt ist. Polizeikommissar Takakura (Hidetoshi Nishijima) quittiert nach dem Amoklauf eines Psychopathen seinen Dienst, um als Dozent für Kriminalpsychologie neu anzufangen. Mit seiner Frau Yasuko (Yuko Takeuchi) zieht er in ein neues Haus, der Job erfüllt ihn, alles scheint perfekt. Nur die abweisende Nachbarschaft trübt das Glück.

Umso dankbarer ist Takakura, als sich Herr Nishino (Teruyuki Kagawa) von nebenan öffnet. Der geheimnisvolle Mann sendet jedoch unterschiedliche Signale aus. Während er Takakuras Frau höflich und entgegenkommend begegnet, äußert er Takakura gegenüber sein Missfallen ob des Kontakts. Bevor sich dieser aber Gedanken über die Motive seines seltsamen Nachbarn machen kann, wird er von seinem ehemaligen Kollegen Nogami (Masahido Higashide) um Unterstützung bei der Aufklärung eines mysteriösen Falles gebeten. Es geht um das spurlose Verschwinden einer Familie aus ihrem Haus, in dem die jüngste Tochter zurückbleibt.

Als Herrn Nishinos Tochter Anspielungen macht, gerät der Nachbar ins Visier der Ermittlungen. Doch dann verschwindet Nogami spurlos und Takakura verliert das Vertrauen seiner Frau. Das Grauen, das die Besucher dieses düsteren Arthouse-Thrillers aus Japan beschleicht, liegt in der vermeintlich offenkundigen Wahrheit, die knapp unter der Oberfläche des Sichtbaren ruht. Immer wieder unterläuft der Film sichere Annahmen, nimmt neue Wendungen und führt dabei immer tiefer hinab in den Bereich des Unheimlichen und der Angst. Ein Film, der die Nerven zum Zerreißen strapaziert und die Spannung der Vorlage bis zum Schluss hält.

Die Grenzen der Vernunft

Coming-of-Age meets political and moral discourse – so könnte man James Schamus solide Verfilmung von Philip Roths drittletztem Roman zusammenfassen.

Schamus, der vor zwei Jahren die internationale Jury der Berlinale leitete, hat mit Roth‘ Roman Indignation (dt. Empörung) zu einer perfekten Vorlage für einen Film gegriffen. Der amerikanische Autor und ewige Literaturnobelpreisanwärter Philip Roth beschreibt darin eindringlich die beklemmende Atmosphäre am christlich-konservativen Winesburg-College, das sein Held Marcus Messner besucht, um dem Koreakrieg aus dem Weg zu gehen. Dort wird er nicht nur sein sexuelles Erwachen erleben, sondern auch als vernunftbegabter Mensch besonders herausgefordert. Dennoch wird er dem Einsatz im fernen Osten nicht entkommen, Roth Roman ist als Requiem geschrieben.

Ein einziger Satz in Roth Roman enthüllt die düstere Perspektive, die den Blick auf die Erlebnisse des jungen Messner fundamental verändert. »Körperlos in dieser Grotte der Erinnerung, erzähle ich mir rund um die Uhr in einer uhrenlosen Welt immer wieder meine eigene Geschichte und habe dabei das Gefühl, dies schon seit Millionen Jahren zu tun. Soll das wirklich immer so weitergehen – in Ewigkeit meine mickrigen neunzehn Jahre, während alles andere abwesend ist, meine mickrigen neunzehn Jahre unentrinnbar hier, permanent gegenwärtig, während alles, was diese neunzehn Jahre real gemacht hat, während alles, was einen mitten dort hineingestellt hat, ein unerreichbar fernes Trugbild bleibt?«

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Dieses Trugbild baut Schamus klug auf. Zu Beginn seines Films sieht man, wie ein US-Soldat in einer Art Bunker panisch vor einem koreanischen Soldaten flieht. Man sieht, wie er die engen Gänge entlangeilt, wie er hinter einen Vorsprung auf eine Treppe spring, wie ihm der Koreaner hinterhereilt, am Fuß der Treppe stehenbleibt, ein Schuss fällt, Schnitt. Dann sehen wir, wie Marcus Messner (Logan Lerman) mit seiner Familie auf einer Trauerfeier zu Gast sind. Der Sohn einer befreundeten Familie ist im Koreakrieg gefallen. Um seinen Sohn dieses Schicksal zu ersparen, lässt ihn Vater Messner auf das Winesburg-College gehen, auch wenn dieser dort sowohl seine jüdische Herkunft als auch seine atheistische Haltung unterdrücken muss. Die Erzählung nimmt ihren Lauf, Messner wird eine leidenschaftliche Affäre mit seiner Kommilitonin Olivia Hutton (Sarah Gadon) beginnen und engagierte Debatten mit dem Leiter des Colleges Dean Caudwell (Tracy Letts) über Toleranz und Ehrlichkeit führen (die übrigens zu den Höhepunkten des Films gehören).

Schamus fängt die beklemmende Atmosphäre der McCarthy-Ära zwischen sexuellem Erwachen und politischer Kontroverse in weichgezeichneten Bildern ein. Der junge Logan Lerman spielt seine Rolle als überzeugter Rationalist, der in einer ideologisch verklärten Welt nur gegen Wände rennen kann, allerdings formidabel. Was in dem Film allerdings verloren geht ist die von Roth im Roman angelegte Blutspur, die sich von Messners Kindheit in der väterlichen Fleischerei bis in den Koreakrieg zieht.

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