Eric Pfeils Pop-Tagebuch

Björn, Bowie und ich

Welche Gefahren und Wonnen eine Konzertreise und Plattenaufnahmen mit Männern im besten Alter bergen.

Folge 90

Eine Frage, die mir immer wieder von Rat suchenden Menschen in den Pop-Tagebuch-Briefkasten geschoben wird: Wenn Musiker beisammensitzen, worüber reden die dann eigentlich? Nun, wer bislang annahm, Musiker tauschten sich untereinander ausschließlich über seltene Effektgeräte, die angemessene Bereifung von Tourbussen, schlimmes Catering mit abgelaufenen Wurstwaren oder Erfahrungen mit besonders kauzigen Club-Inhabern aus, der muss nicht gänzlich umdenken. Manchmal spricht man allerdings auch über Bademoden, Mobilfunktarife oder die Inflation veganer Burger-Manufakturen in deutschen Großstädten.

Meine liebsten Musikergespräche führe ich mit Björn Sonnenberg, dem Sänger der geschätzten Band Locas In Love. Kürzlich saßen wir mal wieder bei einer Tasse Bitterlikör beisammen. Wir hatten schon die Themenkomplexe „Tom Pettys Spätwerk“, „Die Zukunft des Albums“ und „Die Zukunft des Dilettantismus in der Popmusik“ gestreift, da fragte Sonnenberg plötzlich: „Warum schreibst du in deiner Kolumne nicht mal über dein eigenes Album?“

Ach, das fände ich schwierig, druckste ich herum, da könnte man doch annehm– „Falsch!“, unterbrach mich Sonnenberg mit schneidender Stimme und bohrte seinen Zeigefinger in die Luft: „Wenn David Bowie so bescheiden gedacht hätte, wäre das auch nie etwas geworden!“ Na ja, warf ich ein, Bowie habe meines Wissens aber auch nie eine Pop-Kolumne geschrieben. Da sei womöglich etwas dran, gab Sonnenberg zu. Nur um nach einer kurzen Pause hinzuzufügen: „Trotzdem! Die Leute interessiert doch sicher, wie so eine späte Indie-Karriere ins Rollen kommt.“

„Indie-Karriere“: Gutes Stichwort. Ich glaube, ich bin tatsächlich so „indie“ wie nur eben möglich. Heißt: Ich organisiere etwa mein
Herumreisen zu nicht unbeträchtlichen Teilen selbst. Da trifft es sich ganz gut, dass ich inzwischen alleinreisender Solokünstler bin. Auf der letzten Tour war noch eine ganze Band mit dabei. Aber wer je das Vergnügen hatte, fünf Gentlemen im besten Alter unter dem Deckmantel des Musikmachens auf die Autobahn zu bringen, weiß um die Fährnisse bei einem solchen Unterfangen: Erklären Sie mal der Familie eines Mannes um die 40, warum es eine ausgesprochen gute Idee sein soll, besagten Mann seiner Familie zu entreißen, um mit ihm für eine überschaubare Gage in einem Reutlinger Club der Kulturtechnik des Indierock-Machens zu frönen.

Wenn ich heute auf Tour gehe, werfe ich meinen Krempel in meinen roten Kleinstwagen, und los geht’s. Alleinreisen birgt Vorteile: Man streitet mit niemandem über die Musikauswahl im Cockpit. Weitere Vorteile fallen mir sicher später noch ein, ich reiche sie dann nach. Der Nachteil am Alleinreisen ist vor allem das Alleinreisen. Gelegentlich schweifen die Gedanken während des Kilometerabreißens oder beim solitären Herumsitzen in Backstage-Räumen schon mal ins Melancholische, manchmal schweifen sie auch weit darüber hinaus.

Bevor es zu trübsinnig wird, schreibe ich lieber über Plattenaufnahmen. Auch mein zweites Werk wurde vom Wunderproduzenten Ekki Maas betreut. Meine Vorstellung, dass man Platten in der Regel spätnachts und im Vollrausch aufnimmt, derweil auf den Ledercouchen im Control-Room spärlich bekleidete Schönheiten und lokale Szene-Impresarios herumlümmeln, wurde bald enttäuscht. Ekki Maas arbeitet am liebsten ab halb neun in der Früh, eine Uhrzeit, zu der ich noch aussehe wie misslungene abstrakte Kunst. Aber meistens saßen wir ohnehin nur rum und führten die eingangs erwähnten Musikergespräche.

Das Schönste am Dasein als Indie-Rocker sind die Interviews, die man gibt. Meine Lieblingsfrage: „Was würdest du denn über dein
eigenes Album schreiben?“ Das tollste Interview meines Lebens gab ich mal einem Frankfurter Radiosender via Live-Schalte am Telefon. „Und jetzt freue ich mich auf meinen Interviewpartner Eric Pfeil“, flötete die Moderatorin. Und fuhr fort: „Eric, du hast … Jetzt hab ich den Faden verloren.“ Er wurde dann auch nicht wiedergefunden.

Björn Sonnenberg hielt seine Tasse Bitter-Likör gegen die Sonne, als wollte er prüfen, ob sie richtig gespült war. „Ach, weißt du was, Eric? Vielleicht hast du recht und schreibst doch besser über etwas anderes.“

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