Blues in Deutschland

Blues in Deutschland? Die Vermutung liegt nahe, daß viele Menschen dabei an einen korpulenten TV-Unterhalter in schrillen Hemden denken, der seine musikalischen Gäste stets so gewichtig ankündigt, als habe er sie persönlich in einer verrauchten Kaschemme entdeckt. Wenn das exotische Genre - wg. Mangel an Crossover-Potential, Sex-Appeal und Marketing-Power - gerade mal nicht in der ersten Reihe der Fernseh-Unterhaltung Platz nehmen darf, wird es immer noch in täglicher Kleinarbeit von anonymen Enthusiasten gepflegt. Hier drei repräsentative Beispiele ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Zum Beispiel Thomas Ritter. Der 32jährige Slim Harpo-Fan kam beim Indie-Vertrieb Indigo (als Betreuer des Berliner „Zensor-Labels) „mit dem Blues-Markt als solchem“ in Berührung. Die Entscheidung, ihn in Eigenregie zu beackern, fiel 1994, nachdem ein Auftritt von B. B. 8C The Blues Shacks gängige Vorurteile erschüttert hatte. Er sei, so Ritter, fest davon überzeugt gewesen, deutscher Blues sei „ganz fürchterlich – wie englischer Blues-Rock, mit 20minütigen Soli“. Beim flotten Jump’n’Jive des Quartetts um die Brüder Michael 8C Andreas Arlt aber „fiel mir die Kinnlade runter“.

Als sie wieder oben war, hob Ritter das Label „Stumble“ aus der Taufe. Inzwischen umfaßt der kleine Katalog 11 Veröffentlichungen, deren Cover-Optik sich an US-Vorbildern wie „Bullseye“ oder „Blacktop“ orientiert, darunter CDs des in Hamburg aktiven Exil-Amerikaners Tom Shaka und des texanischen Entertainers Memo Gonzalez, der mit den Bluescasters aus Münster spielt und merkwürdigerweise „unglaublich viel“ in Belgien verkauft. Alles relativ natürlich: 1500 Verkaufte sind bei Ritter Soll; springt das Doppelte raus, klappt wieder die Kinnlade runter. Das Gros seiner Platten verkauft der Enthusiast aus Hamburg auf Konzerten und über Mailorder. Im Handel hingegen „wird es immer schlechter“, und das Internet spielt (noch) keine Rolle im Verkauf, wenngleich es „relativ viele Zugriffe“ auf die Web-Site „quer durch alle Altersschichten“ gebe. Er sei, sagt Ritter, in eine kleine Marktlücke gestoßen, „ohne es zu wollen“. Es habe vorher einfach kein Label gegeben, das sich mit hiesigen Akteuren abgebe. Die Situation für deutsche Bands sei aber letztlich „nicht schwieriger als generell für Blues“, abgesehen mal von den „speziellen Vorbehalten meist älterer Leute, die bereits lange in der Blues-Szene dabei sind und vielleicht sogar noch die These verfechten, Weiße dürften keinen Blues spielen. Die interessieren mich aber eh nicht.“

Ein Dogma ist der Stammbaum für ihn nicht Ritter: „Ich würde auch ’ne japanische Band machen.“ Was indes in der Praxis kaum funktionieren würde: „Wenn eine Band nicht live beständig präsent ist, kann man’s so gut wie knicken.“

Eine Einschätzung, die – Beispiel 2 – Thomas Ruf teilt. „Touren, touren, touren“ laute das Motto des gemeinen Blues-Eichhörnchens, das sich ohne Radio, ohne Fernsehen und oft bestenfalls mit lokaler Tagespresse bekannt(er) machen und redlich ernähren wilL Doch die Rezession nagt oft schon an der Existenz vieler kleiner Clubs, die zuletzt statt 150 bis 200 Leuten „nur noch 80 im Schnitt“ Einlaß gewähren durften. „Die können keine Gagen mehr zahlen – die Bands können nicht mehr touren“, resümiert Ruf, der auf die Befreiung von der Ausländersteuer auf Gagen bis DM 4 000 hofft, was der „toten“ Club-Szene zumindest „etwas helfen“ würde.

Wie Ritter installierte der 32jährige Bauernsohn mit Management-Erfahrung das nach ihm benannte Label mangels Alternative um einen Künstler herum, in diesem Fall Luther AUison, der nicht zuletzt dank Ruf- noch den späten Triumph in den heimatlichen USA auskosten durfte. Sogar die begehrte Klinke von Lippes „Geld oder Liebe“-Tür hatte der lange im europäischen Exil lebende Altmeister im letzten Jahr schon fast in der Hand, doch „leider ist er dann ja kurz davor gestorben“ (Ruf).

Allison Senior ist tot, doch Ruf Records lebt und veröffentlicht u.a. den Allison-Junior Bernard und einen weiteren Sproß mit Crossover-Qualitäten: AJ. Croce (Jims Sohn). Mit acht festen Mitarbeitern ist das 1994 gegründete, in Lindewerra ansässige Label inzwischen als einziges aus Europa weltweit präsent und auch im hart umkämpften US-Markt mit seinen Anzeigen-Materialschlachten und dem hohen Retouren-Risiko im Handel halbwegs etabliert. „Ich investiere drüben das Geld, das ich hier verdiene“, lautet die Maxime des Label-Chefs. „Die Leute rennen mir die Türen ein.“ Es gebe „wahnsinnig viele Bands und leider halt auch viel Schrott“. So gesehen habe die aktuelle Rezession vielleicht sogar ihre gute Seite, trenne sie doch mal wieder „die Spreu vom Weizen. Heute setzt sich nur noch Qualität durch.“

Deutsche Acts? Im Prinzip schon, in der Praxis eher nicht. Ruf: „Mein System ist international aufgebaut, auch was die Leute auf der Gehaltsliste betrifft. Da kann ich schlecht bestimmte Künstler nur regional verkaufen. Aber wenn hier die geniale Band käme, die auch in den USA eine Chance hätte, würde ich das schon machen.“

Auf reichlich Erfahrung mit amerikanischen Geschäftspartnern kann auch – Beispiel 3 – Detlev Hoegen bauen. Immerhin bringt der 46jährige „deutsche Blues-Papst“ (Insider-Kosename) sein Trademark „Crosscut“ schon seit 1981 unter die Leute, und zwar – ähnlich wie die Kollegen von Taxim – als Label und Mailorder. Sein Konzept, so Hoegen, „bedingte beides von Anfang an, denn damals hing der Blues ja noch mehr in der Nische als heute“. So konnte mit den größeren Gewinn-Margen aus dem Direktvertrieb „ein Teil der Produktionskosten“ wieder eingefahren werden. Zudem lizensierte Crosscut in den 80ern erfolgreich Acts wie RobertCray, John Campbell und Ronrue EarL, die noch heute mit Stückzahlen um die 20 000 die interne Bestsellerliste anfuhren. Hoegen: „Damals kümmerte sich in den USA kaum jemand um Blues, weder kleinere Label noch die großen Firmen. So konnten wir sogar Künstler wie Charlie Musselwhite direkt unter Vertrag nehmen.“

Der ist inzwischen für den Virgin-Ableger Pointblank aktiv, wie sich überhaupt der Blues in den USA „doch sehr populär entwikkelt“ habe. Die Zeiten, da man einfach mal rübergeflogen sei „mit der Hoffnung: So, jetzt entdecke ich mal jemanden!“, seien einfach vorbei. „Es werden Geheimtips gehandelt, die machen ein Indie-Album und schwupps, schon sind sie beim Major“, resümiert Hoegen, der besorgt den stetig steigenden Altersschnitt seiner Mailorder-Kundschaft registriert. Sein ernüchtertes Fazit: „Blues ist für den Jugendmarkt völlig uninteressant.“

Heute veröffentlicht die erste Bremer Blues-Adresse in Lizenz das kalifornische Label Blue Rock“ Records von Patrick Ford, Bruder des Gitarristen Robben Ford. Das, was daneben komplett in Eigenregie produziert wird, spiegelt allein den Geschmack des Chefs wieder, der es „entweder ausgefallen oder traditionell“, aber definitiv „weniger rockig“ mag und zuletzt – „bloßer Selbstdarstellung“ an der Gitarre überdrüssig – sein Faible für große Stimmen wiederentdeckt hat. Etwa für die des Soul-Blues-Preachers Mighty Sam McClain.

Haben deutsche Acts bei Crosscut überhaupt eine Chance?

„Die Situation hat sich erheblich verbessert. Es gibt zumindest einige gute Bands, die dem europäischen Standard standhalten. Das Problem liegt eher in der Vermarktung, weil wir bis zu 90 Prozent exportieren. Deshalb konzentrieren wir uns eher auf US-Künstler, um international eine Chance zu haben. Gegen deutsche Bands gibt’s immer noch starke Vorbehalte, auch im Mailorder. Das Angebot ist einfach riesig. Da haben es deutsche Bands schwer, sich durchzusetzen.“

So wie beim fälligen Fernsehmoderator mit den schrillen Hemden.

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