Canterbury Tales

Wie aus britischem Beat eine Avantgardeszene erwuchs, die zunächst vor allem eines im Sinn hatte: Veränderung. Irgendwann wurde daraus ein richtiges Geschäft, und der Glamrock elektrisierte die Massen.

Die Geschichte könnte auch an tausend anderen Orten ihren Ausgangspunkt haben, doch wir beginnen sie jetzt einfach mal in einem ländlichen Garten in Brentwood/Essex: Es ist der Sommer des Jahres 1967, und Marc Bolan hockt im Schneidersitz neben einem Apfelbaum. Mit klagendem Vibrato und hängender Unterlippe singt er ein Stück namens „Hippy Gumbo“, begleitet von seiner Akustikgitarre, auf der er eine Art gedämpften Bo-Diddley-Beat schrammelt. Als er fertig ist, meldet sich ein arbeitsloser DJ zu Wort: „„Das war wirklich schön, Marc“, flüstert John Peel in seinem schnurrenden Liverpooler Tonfall. Bolan wischt sich seine schwarzen Locken aus dem Gesicht. „Danke, Mann“. Der Garten gehört Monni Aldous, die jetzt Milchkaffee und Nusstorte serviert. Monni schreibt ansonsten Gedichte für ein Magazin namens „Gandalf’s Garden“, das in der Rangliste der britischen Alternativpresse knapp hinter den „„International Times“ und „„Oz“ den dritten Platz belegt. Sie tut alles, was sie kann, um John Peels tendenziell abseitigem Musikgeschmack ein Forum zu geben. Mit dem Verbot des Piratensenders Radio London ist nämlich auch Peels nächtliche Radioshow „„The Perfumed Garden“ gestorben. Monnis nachmittägliche Gartenparty soll all die Leute zusammenbringen, denen die Show etwas bedeutet hatte. Das unausgesprochene Motto jener Ära lautet nämlich, dass nichts passiert, solange du es nicht passieren lässt, dass du die Welt verändern kannst, wenn du deine Welt veränderst.

Marc Bolan weiß das alles. Der 20-Jährige ist ein Meister darin, sich ständig neu zu erfinden. Er hat bereits ein halbes Dutzend Identitäten und Bühnennamen hinter sich, war Skiffle-Sänger, Folkie, Hardcore-Mod und Fotomodell. In diesem Jahr ist er ein Elbe aus Tolkiens Reich, allerdings einer mit ausgeprägtem Geschäftssinn. Inmitten all der Eigentümlichkeiten von Pink Floyd und der Incredible Strfng Band sucht er einen gangbaren Weg. Er hat bereits Syd Barretts Exfreundin June Child rekrutiert und einen Deal mit Pink Floyds Management an Land gezogen. Er erzählt mir, dass er gerade eine Band namens Tyrannosaurus Rex gegründet hat. Er glaubt, den Durchbruch zu schaffen. Dann quetschen sich er, Peel und June in Johns Kleinwagen, und es geht zurück nach London. Die Party läuft weiter.

Espressobars und Kunststudenten

Die richtige Zeit, der richtige Ort, die richtigen Leute – alle drei Faktoren müssen in einem dynamischen Verhältnis zueinander stehen, damit sich Veränderungen auch durchsetzen können. Bisweilen sind die dabei wirkenden Kräfte aber auch reichlich trivialer Natur. Produzent und Manager Giorgio Gomelsky, der in frühen Jahren die Rolling Stones und die Yardbirds betreut hatte, bewies Scharfsinn: „Die ganze britische Jugendbewegung basiert auf zwei Importen aus Italien: der Espressomaschine und dem Lambretta-Roller.“ Als der gebürtige Georgier Gomelsky 1955 in England ankam, war London eine der ödesten und grauesten Hauptstädte Europas. Man litt noch unter den ruinösen Kosten, die der Krieg verschlungen hatte, Lebensmittel waren noch rationiert und die Pubs schlössen früh. Britische Popmusik hatte wenig Eigenständiges zu bieten, auch der Skiffle-Boom – Jazz mit einem „Folk-Beat“ -, der vor allem von Dixielandmusikern getragen wurde, war eigentlich nichts anderes als recycelte US-Jugband-Music aus den zwanziger Jahren.

Doch wie schnell sich das alles änderte! Die neuen Cafes mutierten zu Clubs, und in den Pubs gab es wieder mehr Livemusik, ebenso in den Schulen und Universitäten. Jugendliche in den frühen Sechzigern interessierten sich nicht nur für die Beatmusik aus den Charts, sondern auch für modernen Jazz, für Blues, zeitgenössische Poesie, Folk und Protestlieder. Dutzende Rockstars in spe besuchten mittlerweile die Art Schools, und manche von ihnen, darunter Pete Townshend und Ray Davies, dachten über den Einfluss der Pop Art auf die Popmusik nach – und über die Popmusik als Kunstform, was damals als revolutionär galt.

The Soft Machine aus Canterbury verkörperten das genaue Gegenteil, ihr Verhältnis zum Pop-Mainstream war eher experimenteller Natur: Lasst uns unsere Musik einfach mal Pop nennen, und dann sehen wir mal, was wir unter diesem Label so alles anstellen können. Vielleicht können wir der Welt sogar experimentelle Musik verkaufen! Der Gitarrist Daevid Allen hatte 1962 in Paris mit dem Beat-Romancier William Burroughs und dem Avantgardekomponisten Terry Riley zusammengearbeitet, der ihn in die Mysterien der Komposition mit Tonband-Loops einweihte. Allen gab sein Wissen an Robert Wyatt, Kevin Ayers, Mike Ratledge und Hugh Hopper weiter, aus denen schließlich The Soft Machine wurde.

Soft Machine ws. Pink Floyd

Zur Hochzeit der Londoner Underground-Clubs wie dem UFO und dem Middle Earth konkurrierten The Soft Machine mit Pink Floyd – an deren kommerzielle Erfolge sie allerdings nie herankamen. Aber die Band hatte Einfluss und eingefleischte Fans. Was nicht zuletzt auch an einem aktiven Netzwerk von Musikern lag, das als „„Canterbury Scene“ in die Geschichte einging. Womit nicht nur die Herkunft aus der gleichnamigen Stadt in der Grafschaft Kent gemeint war, sondern ein ganzes Subgenre aus progressiven Rockbands, die – personell mitunter verflochten – die gleichen künstlerischen Ziele verfolgten. Die Lokalhelden waren The Soft Machine und Caravan, beide hervorgegangen aus den Wilde Flowers, dazu gesellten sich weitere Bands, die jene Mixtur aus Experimentierfreude, Exzentrik und musikalischer Intelligenz mit Leben erfüllten: Gong, Hatfield ft The North, Henry Cow, Egg, Delivery, Matching Mole, Quiet Sun, Gilgamesh und andere mehr.

Sänger wie Kevin Ayers und Robert Wyatt pflegten ebenso wie Syd Barrett eine Abneigung gegen den aufgesetzten US-Akzent, was nicht nur eine Abkehr von bisherigen Beat-Idealen bedeutete, sondern einer wichtigen Unabhängigkeitserklärung gleichkam. The Soft Machine mochten die besseren Instrumentalisten als Pink Floyd sein, doch für den durchschnittlichen Hippie-Hörer waren letztere weitaus leichter verdaulich. Pink Floyd spielten ursprünglich vor allem mit Klangeffekten, die Barretts trippigen Songs über Gnome, Fahrräder und die Weiten des Weltalls die richtige Atmosphäre verliehen: Abzählreime, untermalt mit Science-Fiction-Sounds. Doch so stoned Syd Barrett auch sein mochte, und wie sehr er sich in seinen nüchternen Momenten auch gewünscht haben mag, ein angesehener Avantgarde-Gitarrist zu sein (er verehrte John Rowe von der Improvisationsband AMM als Helden), blieben Pink Floyds Stücke doch immer zusammenhängend und in sich logisch. The Soft Machine hingegen stürzten sich kopfüber in einen Komplex aus Avantgarde á la Olivier Messiaen, Cecil Taylors Jazz-Improvisationen und nordafrikanischen Schamanengesängen. Pete Townshend, der The Soft Machine im UFO-Club gehört hatte, formulierte es so: „Sie klangen wie eine Acidrock-Band, die John Coltranes Musik spielt.“ Live konnten Soft Machines „„Popsongs“ ihr überschäumendes Temperament nämlich kaum verbergen, da Allen, Ratledge und Wyatt mal in diese, mal in jene Richtung abdrifteten. Joan Hills innovative Lightshows waren Teil des Konzepts und eine Herausforderung an jeden Konzertbesucher, all die Farben, Formen und Klänge irgendwie auf die Reihe zu kriegen. Jede Show war ein einzigartiges Gesamtkunstwerk.

Jimi Hendrix, der sich mit The Soft Machine das Management teilte, liebte die Band. Regelmäßig improvisierte man zusammen im UFO oder im Speakeasy, und 1968 nahm er sie als Support Act mit auf seine ausschweifende US-Tournee, die durch das ganze Land führte. Während des zweiten Teils dieser Tournee stieg Andy Summers – der später mit The Police zu Ruhm kommen sollte – kurzzeitig als Soft Machines neuer Gitarrist ein. In seiner Autobiographie „„One Train Later“ erinnert er sich: „„In der Mitte des Sets spielten wir ein Stück namens ‚We Did It Again‘, der Song basierte nur auf dieser Textphrase, die über den Rhythmus von ‚You Really Got Me‘ gelegt war. Zwei Akkorde, und wir spielten den Song 30 bis 45 Minuten lang. Bewusstseinsveränderung durch repetitive Musik wurde damals von Avantgardisten wie Terry Riley, La Monte Young und Steve Reich betrieben, aber in der Rockmusik war das absolutes Neuland.“

Jazz und Dilettantismus

Zurück in England, widmete sich die Band verstärkt dem Jazz. Die besten jungen Instrumentalisten der Londoner Szene rissen sich darum, über Mike Ratledges verwinkelte, rhythmisch komplexe Kompositionen improvisieren zu dürfen. Noch bevor Miles Davis „Bitches Brew“ aufnahm, hatten bereits The Soft Machine die Möglichkeiten des elektrischen Jazz ausgelotet. Was für Kevin Ayers einfach zuviel war: „„Ich hatte nicht die technischen Fähigkeiten eines Jazz-Fusion-Bassisten, also dilettierte ich alleine weiter.“ Der Sohn eines BBC-Produzenten hatte seine Kindheit in Malaysia verbracht und von Musik schlichtweg keine Ahnung, als er in Canterbury auftauchte. Um ein Teil der Szene zu werden, brachte er sich selbst das Gitarren- und Bassspiel bei. Dazu Robert Wyatt: „„Kevin war von Anfang an in der Lage, perfekte Popsongs zu schreiben. Er brauchte offenbar niemanden, der ihm zeigte, wie es funktioniert.“ Ayers selbst schätzt seine Fähigkeiten weit geringer ein: „„Was ich da tue, kann man doch nicht Singen nennen“, erzählte er mir einmal, „„es ist höchstens eine Art von halbwegs melodischem Sprechen.“ Tatsache ist, dass Ayers‘ Songs stets den perfekten Rahmen für allerlei Verrücktheiten lieferten. Was am eindrucksvollsten bei seiner wunderbar anarchischen und leider sehr kurzlebigen Band Kevin Ayers & The Whole World zutage trat.

Zu deren Line-Up gehörte 1970 der Saxophonist Lol Coxhill, ein freigeistiger Improvisateur, den Ayers als Straßenmusiker auf einer Themsebrücke kennengelernt hatte. Am Keyboard saß der zeitgenössische Komponist David Bedford, der in Venedig bei Arnold Schönbergs Schwiegersohn Luigi Nono studiert hatte. Den Bass spielte der 17-jährige Mike Oldfield, damals noch drei Jahre entfernt von seinem Welterfolg „Tubular Bells“. Wenn es Soft Machines Terminkalender zuließ, verdingte sich Robert Wyatt als Schlagzeuger und Gelegenheitssänger. Ayers sang seine Songs, doch zwischen den Strophen konnte alles mögliche passieren – frei improvisierte Einakter ebenso wie eine Bauchrednerparodie, bei der dann der eigentlich recht stattliche Coxhill als alberne Puppe auf Bedfords Knie zu sitzen kam. Ich erinnere mich an eine Show im Londoner Roundhouse, deren Pausenprogramm Bedfords zweijährige Tochter bestritt, indem sie über die Tasten von Papas Orgel lief. Coxhill improvisierte dazu auf dem Sopransaxophon, Wyatt lieferte Scatgesang und Ayers wischte mit seiner E-Gitarre den Boden: Zufallsklänge von geisterhafter Schönheit.

Bedford schrieb wunderbare Arrangements für einige von Ayers‘ Soloalben, was ihn alsbald Kontakt zu anderen Musikern knüpfen ließ: Er kooperierte ebenso mit dem Folksänger Roy Harper wie mit jenen rudimentären Politrockern, die heute wie das Bindeglied zwischen Black Sabbath und The Clash anmuten: der Edgar Broughton Band. Ungewöhnliche Gesellschaft für einen Mann, der gleichzeitig als Hauskomponist für das Queen’s College tätig war, was allerdings gut in die freigeistige Stimmung der damaligen Zeit passte.

Die Raststätte und der Park

Alle Musiker hatten etwas gemein: Man fuhr die M1 auf und ab und dinierte in einer fettigen Raststätte namens Blue Boar in der Nähe von Watford. Roy Harper widmete ihr sogar einen Song: „Watford Gap, Watford Gap / Plate of grease and a load of crap“. In der Blue-Boar-Tankstelle traf man Folkmusiker und Jazzer, Spacerocker und Bluesbands, die sich über Teller mit Würsten, Pommes Frites und pappigen Pasteten hermachten. Wer als „„Alternative Band“ unterwegs war, hatte selten genug Geld für ein Hotel, also raste man nach Norden, spielte seinen Gig in Leeds oder Sheffield, kehrte um Richtung London und pfiff sich unterwegs noch Fastfood ein. Wenn das Management auf Zack war, gab es vielleicht noch einen zweiten Gig, spät nachts im Speakeasy oder UFO. Danach ging’s ins Bett.

Das Blue Boar war ein seltsamer Ort, an dem sich die Musiker näher kamen. Ein anderer war der Hyde Park, in dem zwischen 1968 und 1971 eine Reihe illustrer Freikonzerte über die Bühne gingen. Organisiert von Pete Jenners Blackhill Enterprises, schafften es diese Freikonzerte tatsächlich, Underground-Acts ins Licht der Öffentlichkeit zu bringen und einer neuen Generation von Hörern vorzustellen. Die erste Show fand im Juni 1968 vor etwa 10.000 Zuschauern statt, Roy Harper sang „„McGoohan’s Blues“, gefolgt von einem Sopransax-Solo, für das Lol Coxhill frenetisch gefeiert wurde – bei einem heutigen Popfestival komplett undenkbar. Marc Bolan nutzte mit Tyrannosaurus Rex die Gunst der Stunde, indem er sanften Akustik-Boogie zum Besten gab, mittlerweile unterstützt von Steve Tooks pluckernden Bongos. Die damals völlig unbekannten und arg zerzausten Jethro Tull – oh mein Gott, vier Penner haben eine Bluesband gegründet! – sorgten für Begeisterungsstürme. Dann legten Pink Floyd den „Interstellar Overdrive“ ein, wobei David Gilmour den Geist des abwesenden Syd Barrett beschwor: Gitarren-Glissandi, die flammende Sounds in den frühabendlichen Himmel schickten. Bei „„Set The Controls ForThe Heart Of The Sun“ kehrte Roy Harper auf die Bühne zurück und unterstützte Nick Mason am Schlagzeug. Er grinste dabei von einem Ohr zum anderen.

Das Ende der Unschuld

Ein friedlicher Nachmittag im Park also, besucht von 10.000 Leuten, und eine reichlich improvisierte Angelegenheit: Den Strom für die P.A.-Anlage hatte man einfach bei einer Laterne abgezapft. Ein Jahr später: 120.000 Zuschauer bei Blind Faiths Live-Debüt, 200.000 bei den Rolling Stones. Es mag Zufall sein oder nicht, aber viele Bands, die im Park spielten, fanden sich ganz schnell in den britischen Albumcharts wieder. Family aus Leicester etwa gaben zwei fulminante Shows, wobei viele der Meinung waren, dass sie mit ihrem zweiten Auftritt sogar die Stones an die Wand gespielt hätten. Family hatten für derlei Vergleiche keine Zeit, sie mussten weiter zu einem Gig in Dagenham. Ihr Album „„Family Entertainment“ schoss allerdings auf Platz sechs der Charts. Ähnlich liefs bei King Crimson. Fairport Convention, die damals noch hauptsächlich Cover-Versionen, ergänzt um einige Eigenkompositionen ihres extrem talentierten Gitarristen Richard Thompson, spielten, erreichten ebenfalls die Bestenlisten. Und selbst die kompromisslos unkommerziellen Soft Machine stürmten nach ihrer Show im Park die britischen Top 20 – mit ihrem Doppelalbum „„Third“, das ganze vier Stücke enthielt.

Die Industrie wachte schließlich auf und verwandelte die Park-Konzerte in reine Marketingveranstaltungen. EMI brachte Pink Floyd 1970 zurück in den Park, wo die Band ihr neues Werk „Atom Heart Mother“ vorstellte, unterstützt von einem Chor und einem Bläserensemble. Erstmals gab es einen Pressebereich und ein VIP-Zelt, das prompt von Kevin Ayers und der versammelten Kritikerschaft in Beschlag genommen wurde. Die Zeit der Unschuld war vorbei. Sämtliche Bands, die auftraten, standen bei EMI unter Vertrag; auch Roy Harper, der jedoch allen Versuchungen der Musikindustrie widerstand. Er hatte mehr Hyde-Park-Shows als jeder andere gespielt, war über den Status eines „Geheimtipps“ aber nie hinausgewachsen.

Talentiert und leidend, charismatisch und kompliziert, hatte Harper Monate in der Psychiatrie und ein Jahr im Gefängnis verbracht, bevor er als 20-Jähriger in London aufschlug. Ein zorniger junger Mann aus Blackpool, der den Folkblues auf seiner Akustikgitarre besser als jeder andere spielte. Er sang über Themen, an die sich bislang kein Folkie herangewagt hatte: „„I Hate The White Man“ etwa war eine wüste Tirade gegen den destruktiven, westlichen Fortschrittswahn. Eine Zeitlang wirkte er wie die transatlantische Version von Phil Ochs: Er schrieb lange – sehr lange – Stücke, die zwischen Poesie, sozialem Engagement und schierer Angepisstheit changierten. Eine typische Reaktion auf einen neuen Harper-Song: „„Schönes Stück, aber hört es irgendwann auch mal wieder auf?“ Sein Hang zur Andersartigkeit, zur Opposition, machte die Dinge nicht leichter, sorgte jedoch dafür, dass er zum Helden, Maskottchen oder guten Gewissen all derer wurde, die beim Verkauf ihrer Musik und ihrer Seele weit weniger Skrupel kannten. Harper sah, wie sie alle durchstarteten. All seine Freunde – T.Rex, Pink Floyd, Led Zeppelin – wurden immens populär, während er auf der Stelle trat und die Welt verfluchte. Robert Plant und Jimmy Page nahmen den Tribute-Song „„Hats Off To (Roy) Harper“ auf, Pink Floyd ließen ihn den Track „Have A Cigar“ singen, Paul und Linda McCartney lieferten den Backgroundchor bei Harpers „„One Of These Days In England“. Als er 1974 im Rainbow Theatre auftrat, spielten in seiner Begleitband Jimmy Page, Ronnie Lane von den Faces sowie Who-Schlagzeuger Keith Moon.

Von Dada bis Doo Dah

Ein weiterer Außenseiter, den Moon unter seine Fittiche nahm, war Vivian Stanshall, Frontmann der Bonzo Dog Doo Dah Band, deren schräge Rollenspiele Roy Harper beinahe normal aussehen ließen. Wenn Keith und Viv Anfang der Siebziger ein bisschen Spaß haben wollten, dann stolzierten sie in Naziuniformen durch London, sangen „Deutschland über alles“ und ließen sich aus allen Szeneclubs rauswerfen. Was als Performance-Kunst gedacht war. Stanshall: „„Die Idee bestand darin, die uniformierten Clubgänger mit einer anderen Uniform zu konfrontieren. Beide Uniformen waren lächerlich.“ Dennoch: Ein Jahrzehnt zuvor hatte Stanshall in der Wohngemeinschaft der Bonzos immer wieder Hitler-Reden gehört – in einem Raum, an dessen Decke ein Hakenkreuz prangte. Es hieß, „er liebte die Hysterie“ in Adolfs Vortrag.

Es gibt Kunst, Anti-Kunst und Dummheit, wobei die Grenzen dazwischen fließend sind. Die Bonzo Dog Doo Dah Band war ursprünglich die Bonzo Dog Dada Band, ein Bündnis von Kunststudenten, die Marcel Duchamp hochleben ließen und – wenn sie gerade nüchtern genug waren – brave Bürger schockierten. Oder besser gesagt: jeden, der gerade vorbeikam. Vierzig Jahre vor „„Switch Reloaded“ hatten die Bonzos Hitler zur Comedy-Figur erhoben: „„Und hier, er wirkt heute sehr entspannt, Adolf Hitler am Vibraphon… mmmh, sehr schön.“ Mit warmen Worten kündigte Stanshall auf der Bühne die Mitglieder seiner fiktiven Albtraumcombo an, darunter Big John Wayne am Xylophon, Prinzessin Anne an der Tuba, Harold Wilson an der Violine und General de Gaulle am Akkordeon – „„das war wirklich wild, vielen Dank, Sir“. John Peel klassifizierte die Bonzos einst als Band, „die selbst für „die sechziger Jahre zu seltsam war“. Zu Beginn des Jahrzehnts hatten sie noch Parodien auf Tradjazz und Musical-Hall-Schlager gespielt. Stanshall auf die Frage, ob sie diese Musik mochten: „„Nein, wir wollten sie umbringen.“ Was ihnen bestens gelang, wenn Stanshall etwa zu musikalischer Begleitung Texte aus der Tageszeitung sang. Sie entwickelten sich zum absurden Musiktheater weiter, wobei sich vor allem Gitarrist Roger Spear hervortat. Er konstruierte Roboter, die sich daneben benahmen, verstärkte die Geräusche einer Bügelmaschine, die er dann explodieren ließ: „Überall Rauch und Teile von Männerhosen“. Die ßonzos tourten in einem Krankenwagen durch England, angezogen wie Dandys aus der Hölle, und sangen ihre Lieder, die von Kleiderschränken, Abflussrohren, Ferien am Meer und Mädchen mit Schnurrbärten handelten.

Berühmt wurden sie 1967, als sie zur Hausband des TV-Kinderprogramms „Do Not Adjust Your Set“ avancierten, dem direkten Vorläufer von „Monty Pythons Flying Circus“. Endlich trafen sie auf Gleichgesinnte (Keyboarder Neil Innes wurde Teil des Python-Teams) und eine treue Fan-Gefolgschaft, zu der auch die Beatles gehörten. Stanshall und Lennon wurden Kumpels, Paul McCartney lud die Band ein, im Beatles-Film „Magical Mystery Tour“ den Song „„Death Cab For Cutie“ zu präsentieren, der 30 Jahre später einer US-Band zu ihrem Namen verhelfen sollte.

Die Runderneuerung

Die Bonzos hinterließen Spuren in den seltsamsten Winkeln, wie Michael Bracewell kürzlich in seinem Buch „Roxy, The Band That Invented An Era“ darlegte. Roxy Musics Saxophonist Andy Mackay: „Die Bonzos spielten in Reading und waren großartig. Ihre Wiederentdeckung von Dada entsprach dem Geist, der damals durch englische Art Schools wehte. Ich war mir nie sicher, ob die Bonzos von Anfang an eine Comedy-Band sein wollten, oder einfach nur das spielten, was beim Publikum am besten ankam – und das war nun mal ihre Comedy.“ Selbst innerhalb der Bonzos herrschte kein Konsens darüber, in welche Richtung man gehen sollte, hinter der Bühne wurde stets bis aufs Blut gestritten. Ein Verhaltensmuster, das in vielen großartigen Bands jener Zeit zu finden war, bei Cream ebenso, wie bei der Incredible String Band und Soft Machine. Man lebte in einem Zustand dauerhafter künstlerischer Spannungen, und wenn sich eine Band auflöste oder Mitglieder rauswarf, war stets von „musikalischen Differenzen“ die Rede.

Ganz anders bei Roxy Music, die „„musikalische Differenzen“ von vornherein zum Konzept erhoben. Zehn Jahre lang hatten Kunststudenten Bands gegründet, doch diese hier wurde von einem Kunstlehrer entworfen: ein absolut künstliches Gewächs, das Bryan Ferry da in Anlehnung an Andy Warhols Begeisterung für Plastik und alles Unnatürliche kreiert hatte. Roxy Music wurde wie eine Rauschenbergsche Pop-Art-Collage konzipiert, deren Elemente miteinander im Widerstreit liegen. Der Stil – im Sinne Ferrys ein eklektischer Stil – war die Hauptsache, die Musik diente nur zur Illustration. Die Roxy Music des Jahres 1972 waren ein Echo auf Kevin Ayers & The Whole World: Im Mittelpunkt stand ein verbindlicher Balladensänger, der die Songs schrieb, umgeben von eigenwilligen Charakteren, die für die nötigen Kontraste sorgten. Keyboarder und Elektroniker Brian Eno war das Bindeglied zur zeitgenössischen Avantgarde, eine Rolle, die David Bedford bei Kevin Ayers gespielt hatte. Gitarrist Phil Manzanera liebte The Soft Machine und Pink Floyd, bis heute verbinden ihn enge Freundschaften mit Robert Wyatt und David Gilmour. Seine musikalischen Beiträge atmeten den tradierten Hippie-Geist, während Paul Thompsons geradliniges, nüchternes Schlagzeugspiel eher an den Soul der nordenglischen Clubs erinnerte. Bryan Ferry: „„Verglichen mit Pink Floyd oder The Soft Machine stand bei unserer Musik und unserer Präsentation ein intellektueller Aspekt im Vordergrund. Wir hatten diese elektronische, atmosphärische Seite, aber eben auch einen Groove. Ich mochte Pink Floyds Musik, ihre Bildhaftigkeit, fand sie aber dennoch ein wenig freudlos. Ich wollte ein bisschen Ethel Merman und Otis Redding dabei haben. Jedes Plattencover, jedes Album, jeder Song sollte eine andere Stimmung ausdrücken.“

Während der allerersten Proben konkretisierte er in seinem Notizbuch, wie die Musiker auf der Bühne am effektvollsten in Szene zu setzen seien: „„Rosafarbener Spot auf Bryan … dann das Licht flackern lassen und in einen grünlichen Schimmer wechseln.“ Das war nicht mehr die Lightshow á la Soft Machine oder Pink Floyd, bei der Musiker komplett in einem halluzinogenen Wirbel verschwanden, sondern eine kunstvolle Inszenierung der Bandmitglieder – ein völlig neuer Ansatz. Ferry und Eno betrachteten sich nämlich selbst als Kunstwerke, die man hören und auch sehen sollte.

Blieb nur noch die Frage zu klären, wie dieser Kunstrock aus der Designschule die Welt erobern könnte. Etwa, indem man den Manager engangierte, der Marc Bolan vom Lotussitz in die Charts gebracht hatte. David Enthoven, mittlerweile Manager von Robbie Williams, nimmt für sich in Anspruch, Bolans Bandnamen von Tyrannosaurus Rex zu T.Rex gekürzt zu haben. Kein Kauern mehr auf samtenen Kissen, dafür eine elektrische Les-Paul-Gitarre: „„Wenn du aufstehst, wird dein Publikum ebenfalls aufstehen.“ Und so geschah es auch. Roxy Music passten perfekt in diesen Kontext, platziert irgendwo zwischen Bolan und Bowie, den neuen Helden des frisch vom Band gelaufenen Glamrock: runderneuerte Veteranen, ausstaffiert als schwule Außerirdische und bereit für die Herausforderungen eines neuen Jahrzehnts.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates