Cash On Record

Elvis hatte Sex, Jerry Lee Lewis Killerinstinkt, Carl Perkins den Rockabilly, Roy Orbison eine Stimme vom anderen Stern, Johnny Cash nur diesen tiefen, resonanten Bariton. Dazu traurige, welterfahrene Songs und, last not hast, den stoischen, unerbittlichen Boom-Chicka-Boom-Beat der Tennessee Two. Sein Produzent, Sun-Supremo Sam Phillips, setzte auf diese stählerne Legierung aus Melancholie und Monotonie, ließ Cashs nackter Stimme viel Raum, gab Luther Perkins‘ Gitarre ordentlich Reverb und folgte ansonsten seiner Devise: Weniger ist mehr. Zu hören auf den frühen, fulminanten Singles. Und auf Cashs erstem Album, “ With His Hot And Blue Guitar!“, erschienen 1957.

Wenige Wochen danach übernahm Jack Clement den Produzenten-Stuhl und begann, Cashs Sound zu verdichten und musikalisch variabler zu gestalten. Mittels Piano oder Chören, oft ingeniös, zuweilen hart an der Grenze zum Kitsch, etwa wenn er die Gene Lowery Singers im Background von Cashs Hank-Interpretationen jubilieren ließ. Im Herbst 1957 unterschrieb Cash einen Vorvertrag mit Columbia, der endgültige Wechsel wurde am 1. August ’58 vollzogen. In der Zwischenzeit nahm Cash zahlreiche Tracks auf, die von Sun Records die gesamten 60er Jahre über in immer neuen Zusammenstellungen veröffentlicht wurden. Mindestens drei dieser LPs sind essenzielle Teile jeder Cash-Sammlung: „Johnny Cash Sings Hank Williams And Other Favorite Tunes“ (1960), „Now Here ’s Johnny Cash“ (1961) und „All Aboard The Blue Train“ (1963).

Im November ’58 erschien das erste Album auf Columbia: „The Fabulous Johnny Cash“. Dem Vorbild Elvis folgend, ging Cash noch einen Schritt in Richtung Pop, blieb gleichwohl Country, schrieb mit „I Still Miss Someone“ seinen bis heute besten Song und ergänzte schon bald darauf seine Begleitgruppe um den Schlagzeuger W.S. Holland zu The Tennessee Three. Es folgten rund 20 LPs bis 1967, die entweder um einen Hit zentrierten wie „Ring Of Fire“ (1963) oder einem Konzept folgten. Johnny Cash sang sakrale Lieder in „Hymns By Johnny Cash“ (1959), besang das amerikanische Kulturerbe in „Songs Of The Soil“ (1959), antizipierte Americana in „Ride This Train“ (1960), gab den Tribun für Arbeiter in „Blood, Sweat And Tears“ (1963), für Indianer in „Bitter Tears“ (1964) oder Cowboys in „Ballads Of The True West“ und „Mean As Hell“{beide 1965).

Auf Betreiben des Columbia-Haus-Produzenten Bob Johnston, der bereits Bob Dylan und Simon & Garfunkel soundtechnisch betreute, willigte die Plattenfirma ein, Cash live vor Gefängnisinsassen aufzunehmen. „At Folsom Prison“ (1968) und „At San Quentin“ (1969) gerieten spektakulär, warfen den Welthit „A Boy Named Sue“ ab und machten Cash weit über Country-Gefilde hinaus populär. Ein Hoch, das ins Studio gerettet werden konnte, für ein Album indes nur: „Hello, l’m Johnny Cash“ (1970) unterlegt den Twang der Tennessee Three mit kongenial arrangierten Bläsern zu exzellenten Songs, darunter „Blistered“, „See Ruby Fall“ und das Sucht-Fanal „To Beat The Devil“ aus der Feder des jungen Kris Kristofferson.

Cashs LPs der 70er Jahre haben kaum Substanz, sind oft soft und sülzig. Johnny sang Weihnachtslieder, Kirchenlieder, Kinderlieder. Erst 1980 gelang ihm mit „Rockabilly Blues“ wieder ein durchweg potentes Album, mithilfe seines Schwiegersohnes Nick Löwe. Ansonsten brachten auch die 80er Jahre nur Mittelmaß, sogar gemeinsam mit Jerry Lee Lewis und Carl Perkins als „The Survivors“ (1982) oder als „Highwayman“(1985) neben Willie Nelson, Wayion Jennings und Kris Kristofferson. Ein Marketing-Plot, wenig mehr. Worauf die Mercury-Jahre folgten, 1987 bis 1992, mit erratischen Alben, routiniert gefertigt, ohne Feuer, ohne Mut.

Johnny Cash hatte mit dem Musikgeschäft abgeschlossen, war völlig desillusioniert, als Rick Rubin in sein Leben trat. Das Country-Radio spielte Cash-Hits nur sporadisch, seine aktuellen Veröffentlichungen schon seit Jahren nicht mehr, Cashs Tourneen wurden seltener, weil sein betagtes Publikum nicht mehr so konnte oder wollte wie dazumal. Es fehlte an Fan-Nachwuchs. Rubin änderte das, indem er den Nashville-Komplex entfernte, den Schmand und Tand, und Johnny Cash aufs Wesentliche reduzierte, auf puren Folk und denkwürdige Geschichten.

Die „American Recordings“ (1994) waren mehr als ein künstlerischer Triumph. Für Johnny Cash war dieses Album eine Wiederauferstehung. „Unchained“(1996), „Solitary Man“ (2000) und „The Man Comes Around“ (2002) ergänzen die „American“-Tetralogie in Würde und mit Weisheit, Teil IM wurde in dieser Zeitschrift zum Album des Jahres gekürt. Der Nachlass soll umfangreich sein, Johnny Cash still walks the line.

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