Chart-Analyse: Jetzt versuchen es Frei.Wild mit Ska, aber zum Glück gibt’s Billy Talent

Top Ten Club: Viel neuer Schwung. Rock gegen die Angst von Billy Talent. Und Ska gegen anhaltende Rechtsrock-Vorwürfe bei Frei.Wild.

Nach dem Stillstand der letzten Wochen kommt Bewegung in die Offiziellen Deutschen Albumcharts. Gleich sechs Neueinsteiger in den Top Ten, von denen Billy Talent mit „Afraid of Heights“ die Auszählung der Midweek-Liste auf Platz eins anführt. Gefolgt vom Ska-Ausflug der heimatverbundenen Alpenrocker Frei.Wild. Auf den Plätzen folgen Powerwolf, die Descendents und die deutschen Düstermänner von Lord Of The Lost.  Auch nach dem kleinen Sommerloch bleibt also die Hard-und-Heavy-Fraktion verkaufstechnisch am Drücker.

Als „Manifest gegen die Angst“ möchte Ben Kowalewicz, Sänger des kanadischen Hau-Drauf-Quartetts Billy Talent, ihre bislang wildeste Scheibe verstanden wissen. Gitarrist Ian D’Sa flankiert: „Eine Platte, die hammermäßig ist und richtig Krach schlägt“. Eine Kopf-Hoch-Stimmung wollen die ehemaligen Provinzpunks verbreiteten und gleichzeitig ein wenig die Rockmusik retten. Viel Schrumm Schrumm und gitarrenmäßig auf die Hymnenglocke. Gleichzeitig, so Kowalewicz beflissen, würden DJs einen tollen Job machen. Einen Song mit Skrillex, nebenbei bemerkt, hüstel „ein guter Freund  von uns“, aufnehmen: Warum nicht, wenn es sich ergibt. Im Alternative Rock scheint alles möglich.

Zerdepperte Heckscheiben

Das sehen mittlerweile auch die Heimatrocker von Frei.wild so. Bei ihrem Sommerkonzert in der Berliner Wuhlheide vor 17.500 Fans flammten noch einmal die alten Reflexe auf. „Offenbar linke Gewalt gegen Fans“, meldete entrüstet das Online-Forum unser-tirol. „Selbsternannte Antifaschisten der Antifa“ hatten offenbar diverse getönte Heckscheiben mit Hirschgeweih-Logos zerdeppert. Polizei im Kampfoveralls mussten dazu ein Gerangel vor einer Kneipe runterkochen.

Im bundesdeutschen Alltag also weiterhin Alarm rund um die Südtiroler, deren Jubiläumsalbum „15 Jahre Deutschrock und SKAndale“ standesgemäß hoch eingestiegen ist. In der Wuhlheide gab es die Scheibe als Gratis-Dreingabe an den Merchandising-Ständen obendrauf. Alpenliebhaber erhielten dort eine Feierplatte mit reichlich Bläsereinsätzen, die eher gemütlich als gefährlich erscheint. Greatest-Hits-Popmusik einer Stilrichtung, die traditionell offensiv für das Zusammenspiel von Menschen schwarzer und weißer Hautfarbe wirbt. Alles weiterhin nur Strategie, wie Gegner der Blut-und-Boden-Gutfinder aus Brixen mutmaßen?

Auf Schmuse- und Distanzierungskurs

Seit ihrer Verbannung vom Musikpreis Echo 2013 ist das Quartett um Sänger Philipp Burger jedenfalls auf Schmuse- und Distanzierungskurs. Zahlbare Erfolge im Showbiz sind ihnen offensichtlich lieber als ständiger Polit-Stress. Damit wählen Frei.wild den Weg der Böhsen Onkelz, die sich schon vor Jahren in eine taktisch kluge Grauzone begeben haben. Für die eigenen Anfangstage und sinistre Gestalten im Fanlager möchten auch Frei.wild nicht mehr verantwortlich sein.

Mit ihrer aktuellen Hinwendung zu einem Gitarrengeschunkel a la Dropkick Murphys gibt es kaum neue Angriffsflächen. „Ehrlichkeit, Standhaftigkeit und Durchhaltevermögen gegen Engstirnigkeit und Ausgrenzung“ propagierten sie vieldeutig beim Echo 2016, zu dem sie die heimische Musikindustrie nun offiziell geladen hatte. Zurückgerudert vom rechten Rand – ein funktionierendes Erfolgsmodell deutschsprachiger Popmusik unser Tage.

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