Das „Ende“ der Love Parade

Wenige Tage nach der Katastrophe in Duisburg beherrschen Trauer und Anteilnahme, aber auch Kritik und Wut die Berichterstattung. Mit Marek Lieberberg und dem "Love Parade-Gründer" Dr. Motte melden sich zudem namhafte Kritiker zu Wort. Ein Blick auf Reaktionen und Erkenntnisse.

„Es gibt nur einen Zugang zum Gelände und der ist unter einer langen Brücke. Was passiert wenn hier Panik ausbricht?“ Ein Userkommentar unter einem Artikel auf derwesten.de, der bereits wenige Tage vor der Love Parade in Duisburg auf die Sicherheitsrisiken der Massenveranstaltung hinwies. Die Diskussion, die man hier nachlesen kann, und die gestern zum Beispiel auch in den ZDF-Nachrichten Thema war, lässt eigentlich nur den Schluss zu, dass es sich hier um eine Katastrophe mit Ansage handelte. Denn wenn schon die potentiellen Besucher im Vorfeld anhand der Fakten Böses ahnten, darf man sich dann doch fragen, was die Offiziellen bewogen hat, die Love Parade in dieser Form zu genehmigen.

Auch die Erkenntnisse von Spiegel Online, denen nach eigenen Angaben ein internes Verwaltungsdokument der Stadt Duisburg vorliegt, wirft Fragen auf: „Die maximale Personenzahl, die sich gleichzeitig auf dem Veranstaltungsgelände aufhalten darf wird (…) auf 250.000 Personen begrenzt.“ So heißt es dort. Die Veranstalter hatten wenige Stunden vor dem Unglück jedoch noch stolz von 1,4 Millionen Teilnehmern gesprochen. Außerdem zeigten die Zahlen der letzten Jahre (Essen 2007: ca. 1,2 Millionen, Dortmund 2008: 1,6 Millionen) ungefähr an, was man an Besuchern erwarten dürfte.

Die Bilanz des Wochenendes ist bekanntlich eine erschütternde: 19 Tote und über 340 Verletzte. Nachdem die offizielle Pressekonferenz am Sonntag eher ein Musterbeispiel an Sprach- und Herzlosigkeit war und außer abgelesenen Statements wenig Konkretes mit sich brachte, beginnt nun die Suche nach den Schuldigen. Wie die Kollegen von Welt Online hier zusammengetragen haben, stehen dabei vor allem Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland sowie der „McFit“- und „Lopavent“-Geschäftsführer Rainer Schaller in der Kritik. Letzterer war es auch, der in der Pressekonferenz verkündete: „Die Loveparade wird immer von dieser Tragödie überschattet sein, und aus Respekt vor den Opfern werden wir keine Loveparade mehr durchführen. Die Loveparade ist damit gestorben.“

Manch einer wird nun sagen, Schaller habe sie (mit) zu Grabe getragen. Einer derjenigen, die offen Kritik an den Veranstaltern üben, ist Dr. Motte, der ja bekanntlich als Gründer der Love Parade gilt. Er gab dem Magazin Raveline schon am Samstagabend ein kurzes Interview: „Ich empfinde größtes Mitleid für die Opfer und die Verwandten der Opfer. Und ich rate jedem Angehörigen, die Verantwortlichen der Loveparade wegen fahrlässiger Tötung zu verklagen. Man kann Menschenleben nicht einfach wegwerfen. Aber genau das ist in Duisburg passiert.“ Auf die Frage, ob die Love Parade nun gestorben sei oder schon tot war, sagte er: „Ich denke, die Loveparade war nicht tot. Nur ihr Name ist von McFit verbrannt worden, da die Marke verkauft wurde.“ Die Inhalte, der Spirit seien bei ihm in Berlin geblieben, nur der Name sei auf Reisen gegangen.

Auch der für den Rock am Ring verantwortliche Veranstalter Marek Lieberberg äußerte gegenüber der Presseagentur dpa Kritik an den Organisatoren sowie der Stadt Duisburg: „Das war keine höhere Gewalt wie ein Treppeneinsturz oder ein Unwetter, sondern das Ergebnis eines verhängnisvollen Zusammenwirkens von völlig überforderten Behörden und inkompetenten Organisatoren, die weder mit derartigen Großveranstaltungen vertraut noch in der Lage waren, auf Notsituationen zu reagieren“, teilte Lieberberg heute in Frankfurt mit. Über das Konzept, dass es nur einen Tunnel als Ein- und Ausgang gibt, urteilte Lieberberg: „Ein einziger Eingang über einen Tunnel ist nach der Gesetzeslage eigentlich überhaupt nicht zulassungsfähig. Aber offensichtlich wollten die Verantwortlichen der Stadt Duisburg die Veranstaltung um jeden Preis und haben deshalb offensichtlich über alle notwendigen Sicherheitserwägungen hinweggesehen.“

Für Aufregung sorgte auch der Kommentar der ehemaligen „Tagesschau“-Sprecherin Eva Herman, der auf der Website des „Kopp-Verlags“ (bei dem Herman ihre ebenso streitbaren Bücher veröffentlicht) zu lesen war. Dort schwadronierte Herman unter dem Titel „Sex- und Drogenorgie Loveparade: Zahlreiche Tote bei Sodom und Gomorrha in Duisburg“ von „höheren Mächten“ und meint: „Wer sich die Bilder der Loveparades aus den zurückliegenden Jahren ansieht, glaubt, in der Verfilmung der letzten Tage gelandet zu sein, wie sie in der Bibel beschrieben werden.“ Am Ende frohlockt sie gar: „Für die Zukunft wurden jedoch Weichen gestellt: Denn das amtliche Ende der ‚geilsten Party der Welt‘ (Zitat aus der BILD vom vergangenen Freitag), der Loveparade, dürfte mit dem gestrigen Tag besiegelt worden sein! Eventuell haben hier ja auch ganz andere Mächte mit eingegriffen, um dem schamlosen Treiben endlich ein Ende zu setzen. Was das angeht, kann man nur erleichtert aufatmen!“ Immerhin gesteht sie noch ein: „Grauenhaft allerdings, dass es erst zu einem solchen Unglück kommen musste.“ Wenn man das so liest, mag man sich zu Recht fragen, wann der einst so geschätzten Journalistin eigentlich der gesunde Menschenverstand abhanden gekommen ist. Ihre Reaktion auf die Kritik, die man hier lesen kann hilft dabei auch nicht weiter. Zumindest liefert sie uns einen Schuldigen: Die „Achtundsechziger“ und der von ihnen herbeigeführte „Sittenverfall“ waren es.

Die Vorfälle in Duisburg beherrschen derweil nicht nur die deutschen Medien. Beileidsbekundungen kommen auch von internationalen Medien und von hochrangigen Politikern sowie dem Papst. Ein Überblick der Reaktionen und Statements findet man hier.

Zu guter Letzt bleibt neben den vielen offenen Fragen auf der Suche nach den Schuldigen auch noch die schon länger aktuelle Frage, ob der Event, der dort veranstaltet wurde, tatsächlich noch etwas mit der ursprünglichen Love Parade zu tun hatte, und ob Schaller sich folglich überhaupt rausnehmen darf, deren „Tod“ zu verkünden. Gerade dieser Punkt wird nun in der Techno-Szene diskutiert werden. Hier sei stellvertretend Raveline-Redakteur Steffen Schüngel zitiert, der auf der Magazinwebsite sehr richtig bemerkte: „So aber soll die Idee Loveparade stellvertretend für die Fehler vieler zu Grabe getragen werden. Besser man opfert die Idee mit unglaublich vielen anderen, fremden Menschen friedlich und in Einklang zu feiern, als etwas an den Ursachen zu ändern und Antworten auf die offenen Fragen zu finden. Die Idee Loveparade verdient es, als eindrucksvolles Beispiel für friedliches und gemeinschaftliches Feiern zu überleben. Sie gehört aber dazu wieder in die Hände derjenigen, die dort auch tatsächlich feiern und sie gehört an Orte, die diesen Gedanken unterstützen wollen und nicht Mittel für politische Entwicklungen darin sehen oder mit Gedanken an Imagegewinn entscheiden. Sie muss aber auch wieder räumlich und zeitlich entzerrt werden, denn nur als Parade, so wie sie ursprünglich gedacht und entstanden ist, macht sie Sinn.“

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